Ihre Fehler hätte die Uni Heidelberg bemerken müssen – sagt die Europa-Abgeordnete selbst. Harsche Kommentare zu Koch-Mehrin.
Heidelberg/Hamburg. Dem früheren Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg waren schon die ersten Hinweise so peinlich, dass er gleich seinen Doktortitel niederlegte. Doch den Dr. kann nur entziehen, wer ihn verleiht: die Universität. Das tat die Uni Bayreuth auch später und strafte damit die abgekupferte Jura-Dissertation Guttenbergs ab. Da war der Minister schon längst von allen Ämtern zurückgetreten. Bei der abgeschriebenen Doktorarbeit von Silvana Koch-Mehrin (FDP) und der Universität Heidelberg ist das komplizierter: Sie will trotz des offensichtlichen Plagiats, das ihr die Uni nachgewiesen hat, gegen die Hochschule vorgehen. Tenor: Ihr hättet meine schwache Arbeit besser prüfen müssen.
Nach Silvana Koch-Mehrin droht zwei weiteren FDP-Politikern die Aberkennung ihres Doktortitels. Sowohl die Plagiatsvorwürfe gegen den Europa-Abgeordneten Jorgo Chatzimarkakis als auch gegen den Bundestagsabgeordneten Bijan Djir-Sarai würden weiterhin geprüft, sagten Sprecher der Universitäten Bonn und Köln auf dapd-Anfrage. Chatzimarkakis soll am kommenden Montag vor der Philosophischen Fakultät in Bonn Stellung beziehen. Bei Djir-Sarais Dissertation sei noch unklar, ob es sich um eine klassische Täuschung handle oder nur die Methodik nicht sauber gewesen sei. „Wir versuchen, die Vorwürfe mit Hochdruck zu klären“, sagte ein Sprecher der Universität Köln, an der Djir-Sarai vor drei Jahren promoviert hatte. „Wir möchten niemanden vorverurteilen.“
Inzwischen wollen die Plagiatsfahnder von „VroniPlag“ an mindestens 78 Textstellen von Djir-Sarais Doktorarbeit „Ökologische Modernisierung der PVC-Branche in Deutschland“ fündig geworden sein. Bei Chatzimarkakis' Doktorarbeit sollen auf knapp 72 Prozent der Seiten abgeschriebene Textpassagen ohne entsprechende Kennung stehen. Der Politiker hatte erklärt, in seiner Promotion habe er „nach aktueller Prüfung“ verschiedene Zitierweisen verwendet. Dies schaffe Raum für Spekulationen.
Harsch fallen die Urteile aus, die sich über Koch-Mehrin ergießen. „Der schöne Schein war auch Koch-Mehrin offenbar wichtiger als das schnöde Sein“, höhnte die „Nordwest-Zeitung“. Sie habe „patzig“ auf die Begründung der Uni reagiert. „Die Universitäten sollten schleunigst dem fatalen Eindruck entgegenwirken, Prominenz sei beim Verfassen einer wissenschaftlichen Arbeit schon die halbe Miete.“ Die „Rhein-Neckar-Zeitung“ aus Koch-Mehrins früherer Hochschulheimat Heidelberg schrieb: „Im Grunde sind die Plagiatsaffären eine Werbestunde für das Internet – und eine Sternstunde dazu. Ohne dieses Medium wären weder Guttenberg, 39, noch Koch-Mehrin, 40, überführt worden. Um die medial gut aufbereitete Jagd jedoch einem konstruktiven Ende zuzuführen, ist die Einführung von Plagiatsprüfungen zwingend erforderlich. Für jeden Hochschulabsolventen. Damit akademische Titel auch in Zukunft mehr Wert sind als das Papier auf dem sie stehen.“
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Die Universität Heidelberg teilte mit, Koch-Mehrins Dissertation bestehe „in substanziellen Teilen aus Plagiaten“. Koch-Mehrin kündigte an, sie wolle die Rechtmäßigkeit der Entscheidung prüfen lassen. Sie war vom Promotionsausschuss der Universität zu den Plagiatsvorwürfen angehört worden. Am Mittwoch informierte der Vorsitzende des Ausschusses, Dekan Manfred Berg, Koch-Mehrin über die Aberkennung des Doktortitels.
Zur Begründung hieß es, dass auf etwa 80 Seiten der Arbeit mit dem Titel „Historische Währungsunion zwischen Wirtschaft und Politik: Die Lateinische Münzunion 1865 – 1927“ über 120 Stellen seien, die als Plagiate bewertet worden seien. Die Textstellen stammten aus mehr als 30 verschiedenen Publikationen, von denen Koch-Mehrin zwei Drittel nicht im Literaturverzeichnis ihrer Dissertation aufgeführt habe. „Angesichts der Vielzahl und des systematischen Charakters der Plagiate kann kein Zweifel daran bestehen, dass sich Frau Koch-Mehrin in ihrer Dissertation fremdes geistiges Eigentum angeeignet und als das eigene ausgegeben hat“, sagte Berg.
Koch-Mehrin erklärte, ihre Arbeit sei zwar „nicht frei von Schwächen, nicht selten ungenau, oberflächlich und manchmal geradezu fehlerhaft“. Die wissenschaftlichen Ergebnisse ihrer Arbeit beruhten jedoch auf ihrer eigenen Leistung. Während des über zwei Monate langen Prüfungsverfahrens sei ihr nie der Vorwurf der Täuschung gemacht worden, behauptete die Politikerin. Die Entscheidung der Universität Heidelberg komme auch überraschend, weil sie bisher keine Akteneinsicht gehabt habe. „Ich werde prüfen lassen, ob sie rechtswidrig ist“, erklärte Koch-Mehrin.
Die Sprecherin der Universität entgegnete, dass Koch-Mehrin umgehend nach der Entscheidung Akteneinsicht gewährt worden sei. Vorher sei dies nicht möglich gewesen. Die Unterlagen umfassen auch die internen Protokolle des Promotionsausschusses. Der Vorwurf der Täuschung habe seit dem 2. Mai im Raum gestanden, als Koch-Mehrin offiziell über das Verfahren wegen eines Plagiats in Kenntnis gesetzt worden war.
Im Mai hatte Koch-Mehrin ihre Parteiämter als Vorsitzende der FDP im Europäischen Parlament und als Mitglied im FDP-Präsidium niedergelegt und war auch als Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments zurückgetreten. Sie sagte, sie wolle ihre Partei und ihre Familie schützen. Europa-Abgeordnete wollte sie jedoch bleiben.
Die baden-württembergische Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) ermutigte die Universitäten, Regelverstöße konsequent zu ahnden. „Wissenschaft lebt von Redlichkeit. Wer plagiiert, schädigt nicht nur sein eigenes Ansehen, sondern auch das Ansehen der Wissenschaft insgesamt“, sagte Bauer. (abendblatt.de/ryb/dapd)