Jeder Schummler musste im Schnitt 105,99 Euro Strafe zahlen. Bürgerbeauftragte erwartet Chaos nach Neuregelung von Hartz IV.

Hamburg/Berlin/Kiel. Die Bundesagentur für Arbeit hat nach Informationen der „Berliner Zeitung“ im vergangenen Jahr so viele Hartz-IV-Empfänger beim Schummeln erwischt wie noch nie. Wegen Leistungsmissbrauch seien 226.269 Straf- und Bußgeldverfahren eingeleitet worden, berichtete das Blatt unter Berufung auf Zahlen der Nürnberger Behörde. Das seien 61.636 Fälle oder 37,4 Prozent mehr als 2009. Die Summe der Verwarnungs- und Bußgelder stieg um knapp 30 Prozent auf 4,8 Millionen Euro. Die Strafzahlungen lagen im Schnitt bei 105,99 Euro. „Die aktuellen Zahlen sagen nicht, dass immer mehr Hartz-IV-Empfänger betrügen“, betonte BA-Vorstandsmitglied Heinrich Alt. „Vielmehr wird damit bestätigt, dass wir in den Jobcentern gut aufgestellt sind.“ Die Mitarbeiter seien heute sensibilisiert.

Schleswig-Holsteins Bürgerbeauftragte für soziale Angelegenheiten, Birgit Wille, beklagt derweil einen „unrühmlichen Höchststand“ bei Beschwerden und Problemen zum Komplex Hartz IV: Es habe 1585 Eingaben gegeben, erklärte sie. „Fehlerhafte und unverständliche Bescheide, unzureichende Beratung, Betreuung und Vermittlung sind an der Tagesordnung.“ Beklagt werde zudem ein oft als diskriminierend und abwertend empfundener Umgang der Jobcenter mit den Hilfesuchenden, sagte Wille. In vielen Einzelfällen kann sie helfen, etwa einer Petentin, der die Krankenkasse kein Krankengeld mehr zahlen wollte. Die Bürgerbeauftragte überzeugte die Kasse, es doch zu tun, weil die Auszubildende für ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit nach zwei Knie-Operationen immer noch arbeitsunfähig war.

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Von allen erledigten zulässigen Eingaben verbuchte Wille 88 Prozent unter „positiv abgeholfen“. In 6 Prozent der Fälle hieß dies, dass die jeweilige Verwaltungsentscheidung geändert wurde. Bei 82 Prozent bestand die Hilfe in Auskunft und Beratung. Mit einer Verbesserung der Gesamtsituation im laufenden Jahr rechnet Wille nicht: „Es ist vielmehr zu befürchten, dass die Umsetzung der Hartz-IV-Neuregelungen, insbesondere das Bildungspaket für Kinder, mit einem zusätzlichen, nicht unerheblichen bürokratischen Prüf- und Abwicklungsaufwand verbunden sein wird.“ Unklar sei zum Beispiel wer Nachhilfe-Unterricht gebe und wie das bezahlt wird.

Wille riet den Empfängern von Hartz-IV-Leistungen, Wohngeld und Kinderzuschlägen, sich genau über neue Ansprüche zu informieren. Insgesamt laufe es bei Hartz IV nicht gut, aber ob eine grundsätzliche Neuregelung die Lösung wäre, sei zu bezweifeln. „Es müssen alle ruhiger werden in dem Bereich“, sagte Wille. Die Verwaltung brauche Zeit, ihre Aufgaben zu bewältigen – und hoch qualifiziertes Personal statt Mitarbeitern, die nur für drei oder sechs Monate beschäftigt werden.

Die Bürgerbeauftragte kritisierte auch, dass Pflegebedürftige und ihre Angehörigen nicht überall im Land die gleiche Unterstützung, Hilfe und Beratung erhalten. So gebe es in den Kreisen Ostholstein, Schleswig-Flensburg, Steinburg und Stormarn nicht die notwendige Hilfe durch einen Pflegestützpunkt. „Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Diese Lücken müssen geschlossen werden.“ Enttäuschend ist für sie auch, dass 2010 keine landeseinheitliche Regelung über eine Sozialstaffel für Kitas erreicht werden konnte. „Im Sinne einer annähernden Gleichbehandlung aller Eltern und ihrer Kinder sollte eine solche Regelung baldmöglichst auf den Weg gebracht werden.“ Hier seien Landtag und Landesregierung gefordert. (dpa/abendblatt.de)