Von der Leyen spricht von einer „Allianz der Vernünftigen“. Die SPD hat verfassungsrechtliche Bedenken bei der Reform von Hartz IV.
Berlin. Auch die Länder haben grünes Licht gegeben. Der Bundesrat stimmte kurz nach dem Bundestag am Freitag der Reform von Hartz IV zu. Damit ist die letzte parlamentarische Hürde genommen, um den Regelsatz und die anhängenden Instrumente von Hartz IV verfassungskonform zu machen. Wahrscheinlich müssen sich aber die Verfassungsrichter in Karlsruhe erneut mit dem Gesetz befassen. Klagen von Betroffene sind bereits angekündigt.
Aus Gründen der Koalitionsdisziplin enthielten sich Berlin, Brandenburg, Bremen, Nordrhein-Westfalen und das Saarland im Bundesrat der Stimme. In diesen Ländern sitzen Grüne oder Linke mit in der Regierung. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) räumte Zweifel an der verfassungsfesten Berechnung des Regelsatzes ein. Er sehe „nicht ohne Sorge“ der Überprüfung des Verfassungsgerichts entgegen. Die Einigung sei ein gutes Zeichen für die Demokratie, aber „es war die allerletzte Minute, wenn wir nicht sehr viel Reputation hätten verspielen wollen in der Bevölkerung“. Er sprach von einem „guten Kompromiss“
Die Parteichefin der Grünen, Claudia Roth, hat der SPD mit ihrer Zustimmung zur Hartz-IV-Reform eine Missachtung des Bundesverfassungsgerichts vorgeworfen. „Das kann die SPD doch nicht machen: Dem Regelsatz zustimmen, ihn aber gleichzeitig anzweifeln. Das ist eine Missachtung des Bundesverfassungsgerichts“, sagte Roth dem Hamburger Abendblatt (Sonnabend-Ausgabe). Es habe ganz offensichtlich „inneren Druck“ bei den Sozialdemokraten gegeben, im Wahlkampf das Thema vom Tisch zu kriegen. Roth betonte, es sei bemerkenswert, dass die SPD trotz der Zustimmung zum Gesetz „den Grünen bei ihrer Kritik an der Verfassungsmäßigkeit der Regelsätze Recht gibt.“ Die Parteichefin geht von einem neuen Scheitern der Reform in Karlsruhe aus. Die Richter hätten eine verfassungskonforme Berechnung des Regelsatzes verlangt. Aber es habe sich nichts geändert. „Es wäre eine logische Konsequenz, wenn das Verfassungsgericht auch diesen Regelsatz ablehnt“, sagte sie.
+++ Einigung bei Hartz IV: Das sind die wichtigsten Punkte +++
Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) sagte, die Einigung sei nur möglich gewesen, „weil es im Vermittlungsausschuss eine „sehr geschlossene Haltung der Bundesländer gab“. Dort hatten diese dem Bund noch Zugeständnisse bei der finanziellen Umsetzung des Bildungspaketes abgerungen. Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Wolfgang Böhmer (CDU) sagte, es sei kein Gnadenakt des Bundes gewesen, dass dieser die Kommunen von den Milliardenkosten der Grundsicherung für arme Rentner übernehme.
In namentlicher Abstimmung erhielt das Gesetzespaket am Freitag im Bundestag eine deutliche Mehrheit: 433 Abgeordnete votierten für das Gesetzespaket. Es gab 132 Nein-Stimmen und 2 Enthaltungen. Damit erhalten rund 4,7 Millionen erwachsene Hartz-IV-Empfänger rückwirkend zum 1. Januar einen um 5 Euro auf 364 Euro erhöhten Regelsatz. Anfang 2012 soll dieser Betrag um mindestens weitere 3 Euro steigen. Daneben gibt es für etwa 2,5 Millionen bedürftige Kinder Leistungen aus einem mit 1,6 Milliarden Euro dotierten Bildungspaket. Für 1,2 Millionen Beschäftigte in drei Branchen – darunter die Zeitarbeit – soll es Mindestlöhne geben.
In der Debatte im Bundestag wertete Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) die Einigung als Gemeinschaftswerk von Koalition und Opposition. „Am Ende stand die Allianz der Vernünftigen“, sagte sie. „Wir haben mit dem Bildungspaket etwas richtig Gutes gebaut. Die Hauptgewinner sind die Kinder und die Kommunen.“ Es seien harte Verhandlungen gewesen. „Der Weg war mühsam.“ SPD-Vize Manuela Schwesig sprach von einem guten Kompromiss vor allem in Sinne der bedürftigen Kinder. Die harten und zähen Verhandlungen bis auf die letzten Meter hätten sich am Ende aber gelohnt. Selbstkritisch räumte sie ein: „Sozialpolitische Geschichte haben wir heute hier nicht geschrieben.“
Das vorliegende Ergebnis reiche noch nicht, um die Armut in Deutschland zu bekämpfen und Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt auszugleichen. Dazu seien flächendeckende Mindestlöhne, Ganztagskitas und -schulen sowie viel mehr Investitionen in Bildung notwendig. Die Bedenken der SPD beim Regelsatz seien nicht vollständig ausgeräumt. Die Bundesregierung habe jedoch erklärt, dass der Satz verfassungsmäßig sei, „deswegen müssen Sie dafür die Verantwortung tragen“.
Der Präsident des Sozialverbandes SoVD, Adolf Bauer, erklärte: „Es gilt jetzt rasch zu prüfen, ob die beschlossene Hartz-IV-Reform verfassungsgemäß ist. Das Bundesverfassungsgericht hat der Bundesregierung unmissverständlich in das Stammbuch geschrieben, dass die Regelsatzberechnung transparent und bedarfsgerecht nachvollziehbar sein muss. Dieser höchstrichterlichen Aufforderung wird der heute verabschiedete Hartz-Kompromiss nicht gerecht.“
FDP-Fraktionschefin Birgit Homburger nannte den Regelsatz nach transparenten Kriterien klar errechnet. „Die Koalition hat den Kurs der Vernunft und der Verfassungskonformität in diesem Verfahren durchgesetzt.“ Linken-Fraktionschef Gregor Gysi nannte es unverantwortlich, dass führende SPD-Politiker trotz verfassungsrechtlicher Bedenken der Neuregelung zugestimmt haben. Union, SPD und FDP „haben sich auf dem Rücken der Schwächsten in der Gesellschaft auf ein verfassungswidriges Gesetz verständigt“. (abendblatt.de/dpa/rtr)