SPD-Vize Manuela Schwesig verteidigt Hartz-IV-Reform und legt Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg Rücktritt nahe.
Berlin. Ursprünglich wollte Manuela Schwesig in den vergangenen Tagen Urlaub machen, doch davon blieb so gut wie nichts mehr übrig. Die Hartz-IV-Verhandlungen gingen in die Verlängerung und dauerten bis zum gestrigen Mittag. Insgesamt rang die Opposition mehr als zwei Monate länger als geplant mit der Bundesregierung um die Reform. Die Verantwortung für die Verspätung gibt Mecklenburg-Vorpommerns Sozialministerin der Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU). Das Abendblatt traf die SPD-Verhandlungsführerin im Bundestag.
Hamburger Abendblatt: Frau Schwesig, mit zwei Monaten Verspätung steht die Hartz-IV-Reform. Schulden Sie den Langzeitarbeitslosen und deren Familien eine Entschuldigung?
Manuela Schwesig: Wir haben für die Betroffenen noch viel rausgeholt, zum Beispiel ein warmes Mittagessen auch für Hortkinder und den Erhalt der Übungsleiterpauschale. Wenn sich jemand entschuldigen muss, ist das die Bundesarbeitsministerin. Sie hatte zehn Monate Zeit und hat ein schlechtes Gesetz vorgelegt, das vieler Nachbesserungen bedurfte. Ich hätte es auch besser gefunden, wenn unsere Verbesserungsvorschläge gleich aufgenommen worden wären. Dazu war Frau von der Leyen lange nicht bereit. Ich kann verstehen, wenn sich die Menschen ärgern über die lange Verhandlungszeit.
Regierung und Opposition standen sich lange kompromisslos gegenüber. Wer hat jetzt gewonnen?
Schwesig: Gewonnen haben vor allem die zwei Millionen Kinder, für die wir ein gutes Bildungspaket auf den Weg bringen, und 1,2 Millionen Menschen, die künftig einen echten Mindestlohn erhalten.
Aber der Regelsatz steigt vorerst nicht über die von der Koalition geplanten fünf Euro.
Schwesig: Es wird im nächsten Jahr eine Korrektur auf acht Euro geben. Und zusätzlich kommt eine Angleichung an die Preissteigerung.
Macht zusammen: fünf Euro plus drei Euro plus x. Wie hoch wird der Regelsatz 2012 sein?
Schwesig: Wir können die genaue Höhe nach dem Jahreswechsel jetzt nicht definieren, da wir noch nicht die Preissteigerung in den nächsten Monaten kennen. Das erfolgt zum Jahresende. Wir haben noch keine Berechnungen.
Die Grünen halten die Regelsätze nach wie vor für verfassungswidrig. Zweifeln Sie auch?
Schwesig: Die Bundesregierung hat nicht alle unserer Zweifel ausräumen können. Wir haben noch mehr Korrekturen gefordert, die aber von Schwarz-Gelb abgeblockt wurden. Am Ende wird die Bundesregierung die Verantwortung dafür tragen müssen, wenn die neuen Regelsätze wieder für verfassungswidrig erklärt werden sollten. Aber ich bin sicher, dass das Bildungspaket in Karlsruhe Bestand haben wird.
Sie zweifeln und stimmen trotzdem zu.
Schwesig: Unterm Strich muss man fragen: Verbessert dieses Gesetz die Lebensbedingungen der Menschen in Deutschland? Ich sage: eindeutig ja.
Sehen Sie die Zustimmung im Bundesrat am Freitag noch in Gefahr?
Schwesig: Nach den abschließenden Beratungen im Vermittlungsausschuss bin ich sicher, dass der Kompromiss eine Mehrheit findet.
Sie haben in den Verhandlungen um gleichen Lohn für gleiche Arbeit in der Zeitarbeit gekämpft. Das Thema Equal Pay ist jetzt vom Tisch. Endgültig?
Schwesig: Wir werden für Equal Pay weiter kämpfen. Zeitarbeiter und Stammbelegschaft müssen unter gleichen Bedingungen beschäftigt und deshalb auch gleich bezahlt werden. Mit der Union und der FDP hätte es nur einen faulen Kompromiss gegeben, weil mit ihnen das Prinzip gleicher Lohn für gleiche Arbeit erst nach neun Monaten fast keine Betroffenen erreicht hätte. Darauf konnten wir uns nicht einlassen.
Wie wollen Sie Ihr Ziel noch erreichen?
Schwesig: Die SPD wird im Bundesrat mächtiger, nicht zuletzt durch den Wahlsieg in Hamburg. Wir werden diese Stärke nutzen und das Thema Equal Pay wieder einbringen, sobald wir eine Möglichkeit sehen. Die Bundesregierung muss lernen, dass sie im Bundesrat keine Mehrheit mehr hat.
In Hamburg hat Olaf Scholz für die SPD die absolute Mehrheit geholt. Was kann die Bundespartei von ihm lernen?
Schwesig: Solche Vergleiche hinken immer. Olaf Scholz hat einen Landtagswahlkampf geführt, die Bundespartei führt Bundestagswahlkämpfe. Olaf Scholz hat Klarheit bewiesen und ist sich treu geblieben. Er hat gezeigt: Man darf nicht wackeln. Das können Norddeutsche besonders gut, weil sie gewöhnt sind, dass der Wind ihnen schon mal kräftig ins Gesicht bläst. In Hamburg hat sich zudem ausgezahlt, dass die SPD wirtschaftliche Kompetenz und soziale Gerechtigkeit miteinander verbunden hat. Beides gehört zusammen. Auch die Bundes-SPD verfolgt diesen Kurs.
Wird die SPD in den folgenden Landtagswahlen den Hamburger Erfolg wiederholen können?
Schwesig: Auf jeden Fall gibt uns der Sieg in Hamburg Rückenwind und Mut für die nächsten Landtagswahlen. Aber es wäre wohl übertrieben, jetzt überall eine absolute Mehrheit zu erwarten.
In Ihrem Bundesland Mecklenburg-Vorpommern steht die SPD im September vor der Frage: Rot-Rot oder Große Koalition? Wie soll sie sich entscheiden?
Schwesig: Wir sind offen für die Fortsetzung der Großen Koalition, aber auch für Rot-Rot. Mit beiden Varianten haben wir gute Erfahrungen gemacht. Wir entscheiden am Ende, wen wir für zuverlässiger halten und mit wem wir unsere Ziele am besten durchsetzen können. Wichtig ist, dass Erwin Sellering Ministerpräsident bleibt und die SPD stärkste Partei.
Muss man mit der Linken im Osten anders umgehen als im Westen?
Schwesig: Wir wissen ja, dass man mit der Linken in Mecklenburg-Vorpommern regieren kann. Problematisch ist aber, dass sich in der Linkspartei Vertreter einer realistischen, pragmatischen Politik kaum noch durchsetzen. Deshalb stellt sich die Frage ihrer Regierungsfähigkeit.
Was ist an der Linken jetzt anders?
Schwesig: Herr Ernst fährt mit seinem Porsche durch Deutschland, und Frau Lötzsch sucht Wege zum Kommunismus. Ich frage mich, ob sich die Parteichefs überhaupt noch um die Sorgen der Menschen kümmern. Bei der Hartz-IV-Reform hatte die Linke kein Interesse an einem Ergebnis. Sie kennt nur das Lied der Klage. Sie will sich nur beschweren. Aber sie kann nicht sagen, wie man zu Lösungen kommt.
Frau Schwesig, Sie gelten als Hoffnungsträgerin der SPD. Dem Hoffnungsträger der Union droht das Karriereende. Haben Sie Mitleid mit Karl-Theodor zu Guttenberg?
Schwesig: Nein. Politik ist kein Streichelzoo, sondern ein hartes öffentliches Geschäft. Wer wie Guttenberg immer behauptet, für besondere Werte wie Glaubwürdigkeit und Ehrlichkeit zu stehen, muss sich dann auch an ihnen messen lassen.
Wie kann er sich noch retten?
Schwesig: Der Bundesverteidigungsminister hat gelogen. Das beschädigt seine Glaubwürdigkeit und damit das Vertrauen in ihn als Politiker. Seinen Täuschungsversuch bei seiner Doktorarbeit und seine Verschleierungstaktik der vergangenen Tage kann man nicht von seinem politischen Amt trennen. Wenn er seine hohen Maßstäbe an sich selbst anlegt, bleibt nur der Rücktritt.