Karl-Theodor zu Guttenberg lässt sich beim Karneval von seinem Bruder vertreten. Derweil erhöhen neue Details den Druck auf den Minister.
Hamburg/Aachen. Philipp zu Guttenberg steht auf der Bühne des Aachener Karnevalvereins, das Haar glatt zurückgekämmt wie der Bruder, schwarzer Anzug mit Fliege, an seinem Hals baumelt der Orden "Wider den tierischen Ernst". Der gehört nicht ihm, sondern seinem Bruder Karl-Theodor. Er sei lediglich das Plagiat, sagte Philipp zu Guttenberg. Lachen im großen Saal des Aachener Eurogress. Dann der Tusch, bumm-tääää, bumm-tääää.
Der Verteidigungsminister hatte die Veranstaltung am Sonnabend schon vor einiger Zeit wegen der angespannten Lage in Afghanistan abgesagt. Und doch: Karl-Theodor zu Guttenberg ist da. Allerdings nur als Pappfigur neben seinem Bruder auf der Bühne, wie Angus Young, mit Schuluniform und einer E-Gitarre lässig um die Schulter gespannt. Es ist ein Bild, das an Guttenbergs gute Zeit erinnert, im Sommer 2009, als der Fan der australischen Rockgruppe AC/DC mit seiner Ehefrau das Konzert in München besuchte. Der Aufstieg des damaligen Wirtschaftsministers nahm da erst richtig Fahrt auf.
2011 dagegen ist bisher Guttenbergs Jahr der Entschleunigung. Im Moment sind es andere Bilder, die vom Verteidigungsminister gezeichnet werden. Immer neue heikle Details zu seiner Doktorarbeit werden bekannt. Nach "Spiegel"-Informationen hat er auch die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages für seine unter Plagiatsverdacht stehende Dissertation benutzt. Ministerialrat Dr. Dr. Ulrich Tammler verfasste 2004 für Guttenberg ein zehnseitiges Papier zum Gottesbezug in der US-Verfassung. Obwohl Abgeordnete den Wissenschaftlichen Dienst nur im Rahmen ihrer mandatsbezogenen Arbeit nutzen dürfen, habe Guttenberg den Text nahezu vollständig in seine Dissertation eingefügt. Tammler selbst werde namentlich in keiner von Guttenbergs Fußnoten zitiert. Lediglich die Arbeit des Dienstes erwähnt Guttenberg auf Seite 391.
Doch man demonstriert maximale Gelassenheit im Hause Guttenberg. Bruder Philipp lästert in seiner Knappenrede in Aachen über die Eitelkeit des älteren Guttenberg, er witzelt über das gegelte Haar, über die CSU und kündigte an, die Auszeichnung "mit der Feldpost" zu seinem Bruder zu schicken. Eine Anspielung auf die bereits etwas zurückliegenden Vorwürfe gegen das bundeswehreigene Postsystem. Klar, am Ende stellt sich Philipp zu Guttenberg noch einmal entschieden hinter seinen Bruder, denn dieser sei "ein netter Kerl und stinknormal".
Die Opposition in Berlin nimmt die Plagiatsaffäre mit wenig Humor - und erhöht den Druck auf den Verteidigungsminister. "Erheblich sind die neuen Vorwürfe, Karl-Theodor zu Guttenberg habe für seine Doktorarbeit den wissenschaftlichen Dienst des Bundestages genutzt", sagte die Parteichefin der Grünen, Claudia Roth, dem Hamburger Abendblatt. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) müsse dafür sorgen, dass dieser Vorgang lückenlos aufgeklärt werde. Auch Guttenberg solle Stellung beziehen.
Zudem zeigte sich Roth erstaunt über den Umgang der "konservativen Seite" mit den erhobenen Vorwürfen gegenüber der Dissertation von Guttenberg. "Sonst tragen konservative Politiker bei jeder Gelegenheit die vermeintlich rein bürgerlichen Werte wie Anstand, Ehrlichkeit, Korrektheit und Disziplin vor sich her", sagte Roth. "Aber wenn es um einen Spitzenpolitiker aus ihren Reihen geht, dann drücken sie offensichtlich doch gerne beide Augen zu, dann sollen plötzlich andere Maßstäbe gelten", hob die Grünen-Chefin hervor.
Der "Süddeutschen Zeitung" zufolge hat Guttenberg mindestens 19 Autoren in seiner Dissertation unkorrekt zitiert. Mindestens 50 seiner 400 Seiten umfassenden Arbeit enthielten Plagiate. Der "Spiegel" zählte 62 Textstellen. Die Plagiate-Jäger des Internet-Projekts "GuttenPlag Wiki" kamen bis gestern Nachmittag auf 268 Seiten, jeder Hinweis müsse jedoch geprüft werden. Heute wollen die Initiatoren einen Zwischenbericht veröffentlichen. Mit jeder verdächtigen Textpassage nehmen nun die Anschuldigungen gegen den CSU-Politiker zu. Und die SPD bringt ihn jetzt ins Spiel, den bösen Verdacht: Guttenberg hat seine Arbeit gar nicht selbst geschrieben. "Es entsteht der Eindruck, dass Teile der Doktorarbeit von Ghostwritern in der Bundestagsverwaltung geschrieben wurden", erklärte Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann. Er verlangte Auskunft, ob der Wissenschaftliche Dienst zu Privatzwecken eingesetzt wurde und Guttenberg seine Promotion auf Kosten der Steuerzahler geschrieben habe.
Ghostwriter, Missbrauch des Amtes, mangelnde Glaubwürdigkeit - all das sind Vorwürfe, mit denen zu Guttenberg jetzt konfrontiert ist. Die Forderung nach einem Rücktritt des Ministers nimmt bisher kaum jemand in den Mund - allenfalls die Linkspartei.
Guttenberg selbst antwortete dem "Focus" auf diese Frage: "Unsinn!" Und auch die Mehrheit der Deutschen will den CSU-Politiker im Amt halten. 57 Prozent sehen in ihm keinen Schwindler. Das ergab eine Emnid-Umfrage für "Bild am Sonntag". Eine Mehrheit von 52 Prozent hält allerdings die Glaubwürdigkeit des Ministers für beschädigt, 41 Prozent sehen dies nicht so.
Witze über den "Plagiator" machen viele Menschen dennoch - und veröffentlichen sie in Blogs und auf Facebook. "Guttenberg schummelte auch beim Doktorspielen", steht dort. Oder: "Ob der Gutti seine Dissertation schon bayreuth hat?" Sein Bruder, Philipp zu Guttenberg, hätte hier noch viel satirisches Futter für seine Rede gefunden.