Alles rund um das Harbour Front Literaturfestival, das zum dritten Mal in Hamburg stattfindet. Heimliches Zentrum ist erneut die “Cap San Diego“.
Es knarzt manchmal. Und mitunter dröhnt es auch auf der "Cap San Diego", aus dem Inneren des Schiffes kommen seltsame Geräusche. Man bildet sich ein, der Museums-Frachter schwanke an seinem Liegeplatz an den Landungsbrücken; aber so heftig ist der Wellengang im Hamburger Hafen nicht. Irgendwie verhält es sich mit der "Cap San Diego" wie mit einem guten Buch: Sie steigert die Imaginationskraft. Sie regt die Fantasie an. Wer dem Charme von Büchern nichts entgegenzusetzen hat, wer sich willenlos in Parallelwelten entführen lässt, der vermag sogar Geräusche beim Lesen zu vernehmen. Sie kommen direkt von den eng beschriebenen Seiten, man ist der einzige, der sie hört.
Das Harbour Front Literaturfestival findet in diesem Jahr zum dritten Mal statt, und sein heimliches Zentrum ist erneut die "Cap San Diego". Man kann diesen Veranstaltungsort ungewöhnlich nennen: Lesungen finden eigentlich in Buchhandlungen, Theatern, manchmal auch Rathäusern statt. Nur beim Harbour Front Festival nicht. Dort ist die "Cap San Diego" ein ganz logischer Ort für eine Lesung, so passend wie die St.-Pauli-Kirche, das Hamburg Cruise Center oder das IBA Dock. In Elbnähe muss der Veranstaltungsort halt sein, an der Hafenkante. Da, wo manchmal eine steife Brise von vorne kommt, haben die Autoren Rückenwind. Neue Bücher im Gepäck, dazu Publikum, das sich begierig auf die frischen Sätze stürzt: Da kann man sich schon mal von der Literatur tragen lassen.
Egal, ob man ein etablierter Autor ist wie Sven Regener oder Richard David Precht, wie Irvine Welsh oder Håkan Nesser - oder ein Frischling wie Eugen Ruge, der mit seinem tollen Debüt "In Zeiten des abnehmenden Lichts" nach Hamburg kommt.
Überhaupt, die Neulinge: Im Debütantensalon (auf der "Cap San Diego") bewerben sie sich um den Kühne-Preis. Wer bisher Unerhörtes vernehmen möchte, ist hier genau richtig. Entdeckerfreude ist jedoch auch bei den anderen Veranstaltungen gefragt: bei den Amerikanern Gary Shteyngart und Tony O'Neill etwa. Oder dem Kreuzberger Koch Tim Raue, der ein autobiografisches Buch geschrieben hat. Das Festival-Plakat, das das Cover dieser Beilage ziert, stammt übrigens aus der Zeichenfeder von Günter Grass. So charmant wie die alte Olivetti ist das Festival auch: Im Mittelpunkt steht die Schrift. (Thomas Andre)