Ein Gotteshaus als Lesungsort für ein Mafia-Buch? Geht das, passt das? Das Harbour Front Festival macht’s in der St.Pauli-Kirche möglich.

Hamburg. Eine Kirche als Lesungsort für ein Mafia-Buch? Geht das? Man könnte glauben: Ja! Das Harbour Front Festival macht’s jedenfalls möglich: Der Hamburger Journalist und Autor Francesco Sbano las jetzt in der St.Pauli-Kirche am Pinnasberg aus seinem bei Heyne erschienenen Werk „Die Ehre des Schweigens. Ein Boss packt aus“. Bei dem Boss soll es sich um Guiliano Belfiore handeln. Angeblich die „Nummer 3“ der kalabrischen Mafia-Organisation `Ndrangheta.

Für den 1963 in Kalabrien geborenen Autor ist die Lesung ein Heimspiel. Etliche der etwa 100 Zuhörer kennen den großgewachsenen, schlanken Autor persönlich: Landsleute und Freunde begrüßen den stilvoll in einen dunklen Anzug und Hemd gekleideten Grauhaarigen herzlichst. Sie werden musikalisch auf das eingestimmt, was thematisch kommen wird: Sbano hat vor Jahren die CD-Trilogie La Musica della Mafia mit herausgebracht. Seine Kritiker, etwa der ZEIT-Autor und frühere Abendblatt-Redakteur Christian Denso meinen, er habe damit „der ehrenwerten Gesellschaft eine Gelegenheit zur Selbstdarstellung als Folkloretruppe“ gegeben. In Italien wurde die CD-Sammlung längst als gefährliche Propagandakampagne umfänglich dokumentiert.

Kritik muss Sbano an diesem Abend allerdings nicht fürchten: Als Moderator sitzt ihm Andreas Ulrich, Mafia-Experte beim SPIEGEL, zur Seite. Ulrich und Sbano kooperieren, nachdem dieser nach den Mafia-Fehdemorden im August 2007 in Duisburg einem Autorenteam des SPIEGELS Kontakte zur `Ndrangheta verschafft haben soll. In Verbundenheit hat Ulrich auch das Vorwort zu „Die Ehre des Schweigens“ verfasst.

Ulrich liefert in seiner Einleitung unstrittige Zahlen und Fakten zur `Ndrangheta: Die Mafia-Organisation aus der Region Kalabrien trat in den 1970er Jahren aus dem Schatten der Cosa Nostra und avancierte seither zu einem weltweit agierenden Konzern, der beim Kokain-Handel eine Monopol-Stellung einnimmt. Der Jahresumsatz der auf etwa 1.500 Mitglieder geschätzten Vereinigung wird mit rund 44 Milliarden Euro beziffert.

Das waren allerdings auch die letzten Fakten an diesem Abend: Sbano, der sein Werk in Ich-Form geschrieben hat, will über Jahre mit dem Mafia-Boss Guiliano Belfiore immer wieder Gespräche geführt haben, auf denen das Buch basiert. Der Name Guiliano Belfiore ist ein Pseudonym. Was nicht weiter verwundert, weil Mafia-Kenner wissen, dass Bosse nicht über ihr Tun reden – mit Journalisten schon gar nicht. Es sei denn, sie wollen sie als Sprachrohr für die Sache der Mafia nutzen. Um Belfiore zu schützen, habe Sbano deshalb alles daran gesetzt, eine Identifizierung des Mannes zu verhindern. So ist auch eine zeitliche Einordnung des Geschehens nicht möglich. Alles, was Belfiore dem Autor in die Feder diktierte, will er mit einem Anwalt abgestimmt haben. Sbano: „Beim Treffen mit dem Boss der Bosse darf einfach kein Fehler passieren“.

So schildert Sbano in einer blumigen, teils schwülstigen Sprache, teils romantisch-verklärt, wie Belfiore nach fünf Jahren in Hamburg auf dem Bau, beschließt in seiner kalabrischen Heimat der `Ndrangheta beizutreten und seinen Paten findet. Schaurig wird es in der nächsten Leseprobe, in der Belfiore als archaische Mutprobe in schlechter Horror-Manier wie in einem Splatterfilm mit einer Motorsäge ein Pferd „verschwinden“ lassen muss. Hier, wie auch in der folgenden mit Klischees gespickten Episode, in der Belfiore seinen Mafia-Aufstieg in Hamburg vorbereitet, fragt sich der Zuhörer: Was ist Wahrheit, was ist Fiktion, wenn Sbano schreibt?

Ohnehin wird an diesem Abend nicht wirklich deutlich, welches Verhältnis der Autor zur Mafia hat. Auf die Frage Ulrichs, was junge Männer veranlasst, der Mafia beizutreten, klingt es von Sbano schon fast entschuldigend, wenn er erklärt, der Grund für diesen Schritt sei im Süden Italiens die Armut, finanziell wie an Bildung. Ein wertendes Wort zur Institution Mafia ist weder in dem Buch zu finden, noch an diesem Abend von Sbano zu hören.

Aber vielleicht wollten die Zuhörer das an diesem Abend auch gar nicht. Ihnen war eventuell mehr an einem Literatur-Erlebnis mit Gruselfaktor gelegen.