Hamburg. Das ensemble reflektor, die Cellistin Camille Thomas und fünf britische Komponistinnen begeisterten in der Elbphilharmonie.

Kaum ist das reguläre Programm des Schleswig-Holstein Musik Festivals (SHMF) mit seinem London-Schwerpunkt beendet, das in diesem Jahr insgesamt 50, in Worten: fünfzig Daniel-Hope-Termine anbietet, da wurde es in der Nachspielzeit des SHMF in der Elbphilharmonie tatsächlich durchgängig interessant und überraschend: Fünf britische Komponistinnen, eine Uraufführung, das ensemble reflektor, das konstant sehr viel richtig macht, deren „Erste Dirigentin“ Holly Hyun Choe – eine Ex-Assistentin von Paavo Järvi – und die Cellistin Camille Thomas als alles und jeden überragende Solistin.

Jeder Aspekt, für sich betrachtet, hat schon was. Doch wenn dann noch das legendäre „Feuermann“-Cello – eines von nur etwa 60 Stradivari-Instrumenten – mit ins Spiel kommt und der Queen-Klassiker „Bohemian Rhapsody“ für vier Celli und einen Schlagzeuger als very british Zugabe, kann man nur sagen: Respekt, volle Punktzahl. Es geht also, man kann mit solchen Abenden überzeugend Publikum begeistern, wenn man sie konsequent durchzieht.

Elbphilharmonie: Volle Punktzahl für dieses Programm und diese Cellistin

Das wohl stärkste, eigenwilligste Stück war die D-Dur-Serenade von Ethel Smyth – eher schon eine kleine, groß gedachte Sinfonie als noch eine Kammerorchester-Fingerübung. Nachdem sich der Kopfsatz scheinharmlos heranbrahmst, wird diese Musik schnell unberechenbarer, sie verdüstert sich grimmig, klart wieder auf, als sei nichts gewesen, stellt das Orchesterchen ständig vor knifflige Herausforderungen, weil sie gedanklich, harmonisch und motivisch immer wieder neue Haken schlägt. Für Holly Choe, die klar und prägnant den Weg wies und die Spur sicher hielt, und die reflektors eine dankbar und energisch angenommene Herausforderung.

Auch die nicht ganz so markant auftrumpfende a-Moll-Sinfonie von Alice Mary Smith (etwa eine Generation früher als Smyth, 1839, im selben Jahr wie Mussorgksy geboren) ist erfrischend anders und eigen; eine lohnend tolle Entdeckung, ganz und gar nicht nischig verschüchtert.

Nach der Pause setzten sich die Streicher auf die Bühne des Großen Saals – die Musik aber kam aus den Rängen, eine historisierende, höfische Blechbläser-Fanfare, von Gustav Holsts Tochter Imogen in den 1960ern für die „Grenadier Guards“ geschrieben, mit Anklängen an ähnlich Prunkvolles von Britten, dessen Assistentin Holst gewesen war.

Nahtlos ging das über in Hannah Kendalls „… I may turn to salt“, eine Auftragsarbeit der letztjährigen Hindemith-Preisträgerin des SHMF. Geschabte, gezupfte, gezogene Klangflächen und -ereignisse, weiter verfremdet durch zwei Spieluhren und einige Mundharmonikas. Zeitgenössisches kann reflektor also auch.

Elbphilharmonie: Thomas’ Auftritt war eine wahre Freude

Bedingt original, aber unbedingt originell war Thomas‘ Auftritt mit Sally Beamishs Debussy-Arrangement „Suite pour Violoncelle et Orchestre”. Bruchstücke und Klaviermusik-Vorlagen, die aber derart raffiniert zu einem fünfsätzigen Bravour-Stück umgearbeitet, dass es eine wahre Freude war, Thomas bei der Jonglage mit ihren Noten zuzuhören. Erst recht, weil dieses Stradivari-Cello ganz bestimmt nicht leicht in den Griff zu bekommen ist. Aber dann, voll und sonor und leidenschaftlich singend, nicht weniger als umwerfend klingt.

Aktuelle CD: Camille Thomas „The Chopin Project“ (DG, 3 CDs, ca. 28 Euro). Konzerte: „ultraBACH III“-Festival in Lüneburg, 30.9. bis 8.10. Buch: Ethel Smyth „Paukenschläge aus dem Paradies. Erinnerungen” (Ebersbach & Simon, 240 S., 24 Euro)