Hamburg. Die Künstlerin spricht im Abendblatt-Podcast über Musik auf den Dächern von Paris, die Sehnsucht nach ihrem Publikum und ihre neue CD.
Auf ihrem ersten Album, 2013 bei einem kleinen Label erschienen, spielte die Cellistin Camille Thomas russische Kammermusik. Sieben Jahre und einen Plattenvertrag mit einem ungleich größeren Label später sieht ihre Welt ganz anders aus. Der Pianist und Komponist Fazil Say hat ein Cello-Konzert für sie geschrieben. Die aktuelle CD, außerdem mit Musik von Mozart bis John Williams, kam wegen Corona mehrere Monate später als geplant. Sie saß in Paris fest – und hin und wieder mit ihrem Stradivari-Cello auf dem Dach ihres Wohnhauses in Montmatre. Der erste Konzert-Termin ist zumindest in Sichtweite, es könnte also wieder weitergehen, nur eben anders als bislang.
Hamburger Abendblatt: Wie geht’s Ihnen? Schwierige Frage momentan.
Camille Thomas: Ich freue mich, jetzt endlich „gut“ sagen zu können. Die letzten Monate waren schwer für mich. Aber jetzt kommt die Hoffnung wieder, es gibt Konzerte, die im Sommer kommen werden…
… Sie waren in Paris, wo die die Lockdown-Maßnahmen ja durchaus massiv waren.
Thomas: Mein letztes Konzert war in Berlin, am 8. März, und mein letzter Flug ging dann nach Paris. In zwei, drei Tagen war alles weg: Kein Plan mehr, kein Konzert. Ich bin ein bisschen verrückt geworden, denn seit einigen Jahren war ich es gewohnt, höchstens einige Tage hintereinander zuhause zu sein. Plötzlich nichts mehr zu haben? Da habe ich gemerkt, wie sehr ich dieses Leben liebe. Und das ist am Ende sehr positiv.
Haben Sie täglich in den Mails mitverfolgt, wie ein Termin nach dem anderen verschwand, oder war Ihnen das zu frustrierend?
Thomas: Das habe ich ziemlich lange gemacht. Jeder Tag begann mit dem Gedanken, heute sollte ich da oder dort sein. Es hat anderthalb Monate gedauert, dann habe ich es einfach vergessen.
Von Ihnen gab es aber, soweit ich weiß, keine Streams mit Musik aus dem Wohnzimmer heraus. Haben Sie sich das hart verkniffen oder war diese Art von Lebenszeichen nie eine Option für Sie?
Thomas: Wie alle Musiker habe ich mein Publikum sehr vermisst, die Kommunikation in den sozialen Medien ist wirklich berührend. Wenn man eine CD aufnimmt, bemüht man sich um die beste Technik, um Schönheit mit einem großen S zu schaffen. Und ich fand es wirklich schwer, etwas aus dem Wohnzimmer schön zu machen. Ich habe mein Leben der Musik gewidmet und ich wollte nicht etwas nicht so gut machen. Das Haus, in dem ich wohne, hat ein Dach, auf das ich gehen kann. Und eines Abends gab es einen wunderschönen Sonnenuntergang, da habe ich dann gespielt, Gluck, und das aufgenommen, und es gab mehr als eine Million, die das online gesehen haben. Es gab so viele Nachrichten aus der ganzen Welt, dass das Menschen geholfen hat. Das war sehr berührend. Danach habe ich noch einige andere Videos auf dem Dach gemacht.
Sie haben es mit Dächern, oder? Fast alle Fotos von Ihnen zeigt Sie auf irgendwelchen Pariser Dächern.
Thomas: Jemand hat mir auf Facebook geschrieben, ich sei eine stegophile Cellistin, also jemand, die gern auf Gebäude klettert (lacht). Das ist aber kein Marketing-Plan von mir. Ich liebe einfach die Aussicht, ich wohne in Montmatre, es ist einfach so. In Hotels gehe ich immer ans Fenster und sehe, ob es hoch genug ist, das hilft mir, mich gut zu fühlen.
Die Veröffentlichung des neuen Albums, an dem Sie lange gearbeitet haben, wurde wegen des Lockdowns von März auf Juni verschoben.
Thomas: Ja, das war ein langer Prozess gewesen. Es sollte noch persönlicher sein und ich wollte mir auch Zeit geben, um auf der Bühne als Musikerin erwachsener zu werden. Das wichtigste Stück ist natürlich das Cellokonzert von Fazil Say. Das habe ich in Paris uraufgeführt, er hat es für mich geschrieben, „Never Give Up“. Seine Antwort auf die Terroristen-Attacken in Paris und Istanbul. Es ist die Botschaft, dass man Schönheit und Menschlichkeit nie aufgeben darf. Die CD sollte eine Reise von Schmerz zu Hoffnung sein. Und kurz vor der Aufnahme dachte ich, dass ich auch Vokalstücke dabeihaben möchte, weil ich immer versuche, mit meinem Cello zu singen, zu sprechen, dass es etwas erzählt. Also auch noch Lieder und Opern-Arien, die das Gefühl vermitteln, dass man besser sein will. Höher auf den Dächern.
So, wie ich Fazil Say kenne, wird es nicht ganz einfach gewesen sein, ihm während des Komponierens zu sagen, was man gern hätte. Oder anders. Hat er auf Vorschläge von Ihnen reagiert oder war das einfach: zack, fertig?
Thomas: Nein, es war nicht zack, fertig. Zuerst haben wir das „Never Give Up“-Thema zusammen entworfen. Für mich symbolisiert er das, die Art, wie er Klaviert spielt – wenn er auf der Bühne ist, brennt er für jede Note. Er gibt alles. Er wird die Musik, die er spielt. In seiner Heimat Türkei engagiert er sich stark für Redefreiheit und gegen jede Art von Einschränkung. Dann kamen die Anschläge, und er hat sehr schnell danach sein Konzert komponiert. Das war seine Antwort, das waren seine Schmerzen. Dann hat er mir die Noten auf Whatsapp geschickt, das Stück war da schon fertig, er hat nur gefragt, ob einige der Stellen spielbar wären. Aber er schreibt eigentlich sehr gut für Cello. Ich habe meinen Part gelernt und bin nach Istanbul geflogen. Das war ein magischer Moment, ich werde das nie vergessen. Er hat das Orchester am Klavier gespielt und ich habe endlich gehört, wie das klingt.
Wie war die Publikumsreaktion? Wenn man in Paris ein Stück uraufführt, in dem es auch um den Anschlag aufs Bataclan geht, ist das schon speziell.
Thomas: Es war wirklich einzigartig, eine Emotion, wie sie im Théâtre des Champs-Élysées war, habe ich noch nie erlebt. Direkt danach habe ich gedacht: Das will ich aufnehmen. Das Stück spricht über unser Leben, es ist so aktuell. Egal, wo ich es gespielt habe, die Leute haben immer geweint. Aber es war ein schönes Weinen, ein Weinen der Hoffnung.
Kommen wir mal auf das Cello an sich. Wie geht für Sie der Satz weiter: „Der Klang meines Cellos…“?
Thomas: … ist meine Freude.“ Wirklich! Ich habe auch nicht irgendein Cello, es ist ein Stradivarius, das „Feuermann“. Und jedesmal, wenn ich in den Lockdown-Monaten gespielt habe, war ich glücklich.
Das „De Munck-Feuermann“ von 1730 also. Sie hatten davor ein anderes Cello, das war auch nicht aus dem Supermarkt. Von Stradivari gibt es nur etwa 60 Celli, aber über 600 Geigen. Wie fiel Ihre Wahl auf das „Feuermann“? Muss man sich erst miteinander anfreunden? Oder hört es nie auf, mit so einem Charakter-Instrument zu ringen?
Thomas: Ich habe das Cello nicht tatsächlich ausgewählt. Die Nippon Music Foundation hat mir im letzten August eine Mail geschrieben, dass sie es mir leihen wollen und dass ich es eine Woche später in Tokio abholen kann. Das war so ein Schock, denn ich wollte schon seit einigen Jahren ein besseres Cello haben. Davor hatte ich das „Château Pape Clément“-Gagliano, das war auch sehr gut. Das „Feuermann“ hat Steven Isserlis acht Jahre lang gespielt, ich wusste, das ist sehr schön! Aber man weiß vorher nie, ob es wirklich passen wird. Ich bin aber trotzdem nach Tokio geflogen. Und es war sofort klar: Der Klang ist unglaublich. Es gibt eine Seele in diesem Instrument, die man in anderen nicht findet. Und zehn Tage später sollte ich das Konzert von Fazil für die CD aufnehmen. Das war eine große Herausforderung, denn ich kannte das Cello ja noch nicht. Es ist alles gut gelaufen, ich spiele es seit sieben Monaten und jetzt sind wir wirklich Partner. Ich fühle, dass wir endlich ein richtiges Team sind. Und das wird sich noch weiter entwickeln, das ist das Schönste daran.
Und dann meldet sich jemand aus Tokio und sagt, wir hätten jetzt gern unser Cello zurück.
Thomas: Psst! (lacht) Darüber sprechen wir nicht. Mein Album heißt „Voice of Hope“… Früher hatte ich diesen Stress nie, da dachte ich immer, es ist nur ein Instrument und das Wichtigste ist, wie ich darauf spiele. Aber jetzt: Es ist mehr als ein Cello, es ist wie eine Person, und ich liebe es! Der Tag, an dem ich es nicht mehr haben werde, wird sehr schwer sein. Aber dann wird bestimmt etwas anderes kommen.
Jetzt kommt eine Frage, die Sie wahrscheinlich nervt. Kürzlich stand in einer Kritik über Ihre neue CD: „Camille Thomas ist optisch und musikalisch eine Erscheinung.“ In dieser Reihenfolge. Ich ahne, wie Sie antworten, aber: Wie sehr nervt so etwas?
Thomas: Es nervt mich, aber es ist mir jetzt auch egal. Ich finde es einfach etwas doof. Was ich mache, ist klanglich. Ich versuche einfach, immer besser zu sein und ich hoffe, dass die, die gucken, auch Lust bekommen, mir zuzuhören. Mein Ziel ist: Ich will nur, dass die Leute zuhören. Und ich muss darauf vertrauen, dass sich die Leute im Lauf der Jahre mehr mit der Künstlerin beschäftigen. Vielleicht wird die Reihenfolge in drei Jahren schon eine andere sein.
Wir sind in einem komischen Zwischenzustand. Die alte Welt ist weg, eine neue noch nicht da. Bis zu Ihrem nächsten Tschaikowsky- oder Dvorak-Cellokonzert wird es dauern. Was wird sich wohl in der Welt der Musik ändern? Ist es womöglich sogar gut und dringend notwendig?
Thomas: Eigentlich ist mein nächster Dvorak nicht so weit weg: Ende August in Tokio. Ich bin selbst sehr überrascht, aber das ist nicht abgesagt, wir haben gerade die Visa vorbereitet. Es sieht aus, als ob es stattfinden wird, mit weniger Menschen im Saal. Ich weiß noch nicht, wie es sich entwickeln wird. Zuerst hoffe ich, dass wir sehr bald wieder ein volles Publikum haben werden. Es gibt eine Kommunikation, die ich mit jemandem führe. Ich spiele das Beste nur, wenn Menschen zuhören.
Der Cellist Sheku Kanneh-Mason erzählte mir, dass er ein Flugzeug nur sehen muss, schon schläft er ein.
Thomas: Jetzt bin ich sehr eifersüchtig auf ihn. Schlafen ist mein großes Problem, ich schlafe nicht in Flugzeugen und nicht in Hotels und am Ende bin ich sehr müde.
Der Dvorak in Tokio, das erste Konzert nach Monaten, das ist wie eine große Portion Droge – und sicher auch schwierig: auf die Bühne zu gehen und weiterzumachen wie vorher.
Thomas: Ich glaube, ich werde ziemlich nervös sein. Der Jetlag, die Reise, das ist mein Japan-Debüt, und dann in der Suntory Hall, im größten Saal von Tokio… Aber: Ich freue mich so sehr, Dvorak zu spielen! Darauf werde ich mich konzentrieren.
Wie halten Sie es mit dem Üben?
Thomas: Jetzt ist es eine komische Zeit, ein bisschen so wie während meines Studiums. Das „Ich MUSS üben!“ ist sehr stark in meinem Kopf. Doch es gibt nichts konkret vorzubereiten. Es geht nur ums Üben, um allgemein besser zu werden. Ich habe ein bisschen weniger geübt als in der normalen Zeit. Es war einfach schwierig ohne Termine. Aber ich glaube, ich habe mit dieser Distanz auch große Fortschritte gemacht. Vielleicht weniger, aber sehr fokussiert. Und ich habe auch wieder gelernt, wie man übt. Üben war ja das einzige, was ich hatte. So viele haben zuhause Yoga gemacht, und ich habe mir gedacht: Mein Yoga ist Cello spielen. Dieses Bild hat mir sehr geholfen.
Jetzt nicht die klassische Geschmacksfrage Beatles oder Stones – sondern für Sie als Cellistin: Yo-Yo Ma oder Rostropowitsch?
Thomas: Schwierig… Rostropowitsch ist mein Idol. Ich habe zwei: Jacqueline du Pré und er sind für mich die beiden größten Inspirationen. Yo-Yo Ma ist für mich ein bisschen wie Steven Isserlis. Die sind sehr anders als ich. Rostropowitsch würde mehr meine Richtung sein, wie ich spiele: mit Bauch, Feuer, extrem großer Leidenschaft. Yo-Yo Ma ist für mich wie ein Außerirdischer. Ich verstehe fast nicht, wie er macht, was er macht und denke immer nur: wow! Seine Technik, wie er Cello spielt, das ist nicht von unserer Welt. Also: immer weiter üben.
Die Lieblingstitel von Camille Thomas:
- Fazil Say: Mozart Klaviersonate Nr. 10 C-Dur KV 330
- Janine Jansen: J.S. Bach Violinkonzert Nr. 1 a-Moll BWV 1041
- Evgeny Kissin, LSO, Gergiev: Rachmaninov 2. Klavierkonzert c-Moll op. 18
- Leonard Bernstein, New York Philharmonic: Sibelius 2. Sinfonie D-Dur op. 43, Finale
- Stern, Schneider, Katims, Casals, Tortelier: Schubert Streichquintett C-Dur D 956
- Quatuor Ébène: Beethoven Streichquartett Nr. 7 F-Dur op. 58 / 1
- Daniil Trifonov: Chopin Fantaisie-Impromptu cis-Moll op. 66
- C. Tetzlaff, Weithaas, Faust, Batiashvili, Gowers, Kam, Tamestit, T- Tetzlaff, Viersen, Rivinius: Mendelssohn Oktett op. 20, Scherzo
- Martin Fröst u.a. Brahms Klarinettenquintett h-Moll op. 115, Adagio
- Cecilia Bartoli: Ravel Deux mélodies hébraïques, Kaddisch
Aktuelle CD: Camille Thomas „Voice Of Hope” Werke von Ravel, Gluck, Say, Bruch, Wagner, Dvorak, Williams, Bellini, Mozart u.a. (DG, ca. 15 Euro)