Hamburg. Das Ensemble Reflektor spielt Unübliches abseits der gängigen Adressen und will dabei„Keimzelle und Labor“ sein. Die Hintergründe.
Die Geschichte an sich kommt einem durchaus bekannt vor. Die Namensähnlichkeit ist groß, war aber der reine Zufall – und später nicht mehr zu ändern. Und dass man jetzt regelmäßig in Hamburg spielen würde, war anfangs nicht abzusehen gewesen. Doch das Ensemble Reflektor ist eindeutig nicht mit dem Ensemble Resonanz zu verwechseln. Die einen sind ausschließlich Streicherinnen und Streicher, haben sich an der Elbe als vierte Orchester-Größe etabliert und von hier aus auch international, sie haben eine feste Heimat, berechenbare Einnahmen und eine Residenz im Kleinen Saal der Elbphilharmonie.
Die anderen ebenfalls mit R, mit inzwischen 44 Mitgliedern ein schon stattliches Kammerorchester, gründeten sich vor fast auf den Tag genau sieben Jahren in Lüneburg. Dort ist die Musikschule ihre Stamm- und Probenadresse. Selbstverwaltung, Projektdenken, so ging das los. Das Durchschnittsalter liegt bei Ende 20, eine Altersgrenze nach oben gibt es aber nicht.
Kammerorchester will „Keimzelle und Labor“ sein
Einen festen Dirigenten oder eine feste Dirigentin ebenso wenig. Studenten, Berufsanfänger, Lehrer, aus der ganzen Republik, ein Vorbild damals war die Junge Norddeutsche Philharmonie, ein anderes die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen. „Wir sind das Ensemble unserer Generation“, sagt die Geschäftsführerin Selma Brauns. Experimente, schneller Dinge ausprobieren, sie wollen „Keimzelle und Labor“ sein. Alltag kann jeder.
Einen amtlichen Spielplan für eine ganze Saison im Voraus hätte man schon gern, räumt Brauns ein, hat bislang aber leider noch nicht geklappt. Die Strukturen sind nicht nur schlank, die sind hager. Dieses Ensemble gastiert aber auch mehrmals im Jahr in Hamburg, wie jetzt gerade in der Halle 424, wo es auch probt, wenige Minuten von den Deichtorhallen entfernt, extrem zentral eigentlich. Nur eben – noch – etwas zu sehr unter dem Radar der Publikumswahrnehmung. Und es spielt sich so durch, angetrieben von der bei freien Ensembles branchenüblichen Mischung aus Spaß am Tun und unkonventionellen Konzepten, viel chronischer Zuversicht und viel zu viel Selbstausbeutung.
Orchester spielte schon in der Elbphilharmonie
Nicht dass man inzwischen nicht einiges vorzuweisen hätte: Ein paar Dutzend Förderer im eigenen Verein zur Aufbesserung der Kasse helfen weiter, in Lüneburg sei man gut vernetzt. Immer wieder Projektfördermittel für die jeweils nächste Runde. Im vergangenen Jahr ein Konzert im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festivals, Elbphilharmonie, Großer Saal, von ARTE übertragen, mehr geht ja wohl kaum. Ein Ensemblepreis bei den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern bekam man, nach nur einem einzigen Konzert. Es geht voran, schrittweise.
Auch für zwei Visitenkarten-CDs hat es mittlerweile gereicht, eine dritte wäre schön, aber auch wieder mit Kosten verbunden. Die eine kombinierte Beethovens Fünfte mit Barockem von Rameau; die andere Beethovens Achte mit Liebesliedern von Whitney Houston bis Nena – und Liebesbriefen aus dem privaten Umfeld der Orchestermitglieder. Es fehlt also nicht an speziellen Ideen, die noch neugieriger machen. Veränderung sei ihre Triebfeder, sagt Brauns dazu, „ich habe Angst davor, dass wir in 30 Jahren noch die gleichen Programme spielen.“
Repertoire-Schwerpunkt existiert noch nicht
Mit einem regelrechten Repertoire-Schwerpunkt können sie gerade nicht dienen, sagt Brauns auch, doch das klingt nicht so, als ob das ein größeres Problem für irgendjemanden im Orchester wäre. Eine Zeit lang war es viel Beethoven, alle Sinfonien ohne Chor sind durch, jetzt aber ist Freistil gewollter Trumpf, von Frühbarock wie gleich im Konzert der Purcell bis zu Zeitgenössischem. Oder etwas mit Jazz. Oder mit einer syrischen Band. Mal klein besetzt, mal groß besetzt, je nachdem. Zwei Tage nach dem Hamburger Termin steht Frankfurt im Kalender.
Davor aber gibt es in der gut besetzten und liebevoll zugerümpelten Halle 424 eine interessante Mischung unter dem Motto „Eclipse“: Zweimal Vertonungen von Shakespeares „Sommernachtstraum“, einmal von Mendelssohn, einmal von Purcell, ineinander verschränkt dazu. Danach ohne bremsende Pause, weil seelen- und stilverwandt, die 2. Sinfonie von Emilie Mayer.
Gastdirigentin Holly Hyun Choe brilliert
Emilie wer? Drei Jahre nach dem Hamburger Mendelssohn wurde sie als Tochter eines Apothekers in Mecklenburg geboren, zu Lebzeiten wurde sie wegen ihres stark ausgeprägten Sinns für dramatischen Ausdruck und starke Melodien als „weiblicher Beethoven“ gefeiert. Allein acht Sinfonien, keine davon bekannt, bis vor Kurzem eine kleine, aber verdiente Meyer-Renaissance einsetzte.
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Auch wenn der Klang der alten Halle nun mal ist wie der Klang einer alten Halle: Es macht auch in dieser Location mehr als nur beflissenen Spaß, sich diese Kombination anzuhören. Das liegt einerseits an der klar strukturierten Spielfreude und dem glatten Umschalten von deutscher Wald-und-Elfen-Romantik auf britische Tanzsätze. Andererseits aber auch, und das nicht zu knapp, an der Gastdirigentin Holly Hyun Choe, deren energischer Zeichengebung man ansieht, dass sie in Zürich Assistentin von Paavo Järvi ist.
Kammerorchester: e-Moll-Sinfonie wird ein Hörabenteuer
Sie sorgt für ausgewogene Präzision und hält den Druck im Kessel. So wird aus der e-Moll-Sinfonie ein Hörabenteuer, das nicht ganz große Orchester belebt diese Rarität mit Nachdruck und Begeisterung. Applaus, Zugabe. Feier-Abend fürs Ensemble Reflektor. Wie das manchmal so ist mit Geheimtipps: Die wirklich guten sollten nicht allzu lange Zeit geheim bleiben.
Nächstes Hamburger Konzert: 25. Juni, 20 Uhr, Jazzhall, Hochschule für Musik und Theater. „awake“: Musik von Maddalena Casulana, Thea Musgrave und Louise Farrenc. CDs: „Liebeslied“ (Paschen, ca. 13 Euro) / „Gewaltakt“ (Paschen, ca. 16 Euro). Weitere Informationen: www.ensemble-reflektor.de