Ex-Minister Manfred Lahnstein bei abendblatt.de zur Debatte um Günter Grass. Der Literat sei “Möllemann in neuem Gewande“.
Hamburg. Trotz seiner provokanten Kritik behauptet Literatur-Nobelpreisträger Günter Grass , ein Freund Israels zu sein. Auf diese "Verbundenheit" könne man verzichten, schreibt der frühere Bundesfinanzminister und Wirtschaftsminister, Prof. Manfred Lahnstein in einem Beitrag im Hamburger Abendblatt.
Es gibt Leute, die den Größten Annehmbaren Unsinn behaupten können und es damit trotzdem auf die Titelseite deutscher Zeitungsfeuilletons schaffen. Zu diesen Leuten gehört Günter Grass. Der hat sich in einem Text, den Flattersatz und Zeilenabstände wohl bedeutsamer erscheinen lassen sollen als er es in der Sache ist, auf den iranisch – israelischen Konflikt eingelassen.
Da ist der Iran. Dessen Präsident hat von der Tribüne der Vereinten Nationen und bei anderen offiziellen Anlässen die Vernichtung des Staates Israel zum politischen Ziel erklärt, den Holocaust geleugnet und den Terroranschlag auf das World Trade Center kaum verhüllt als Werk der amerikanischen und israelischen Geheimdienste deklariert.
Den Moralisten Grass hat all das nicht zum Sprechen gebracht – etwa nach dem Motto seiner jüngsten Einlassung: „Was gesagt werden muss“. Ahmadinedschad ist für ihn lediglich ein „Maulheld“, der allerdings das iranische Volk unterjocht hat. Das ist für einen Maulhelden schon eine außergewöhnliche Leistung! Was die keineswegs nur von Israel geäußerte Annahme angeht, der Iran strebe seine nukleare Bewaffnung an, so ist das für Grass lediglich eine „Vermutung“, die „als Befürchtung von Beweiskraft sein will“.
Da ist Israel. Nach Günter Grass „behauptet“ Israel „das Recht auf den Erstschlag“ gegen den Iran. Damit unterstellt er die Absicht auf einen nuklearen Angriff. Diese Unterstellung ist nicht nur komplett absurd, sondern ungeheuerlich. Er braucht aber diese Erfindung, um seine zentrale These begründen zu können: „Die Atommacht Israel gefährdet den ... Weltfrieden“. Schlimmer, ja perfider geht es nicht – oder doch? Grass sieht in Israel geradezu den „Verursacher“ der Gefahr. Bei dieser totalen geistigen Verirrung kommt einem mehr als nur die Galle hoch.
Und da ist Deutschland. Mit der Lieferung eines U-Bootes an Israel könnten wir nach der singulären Logik des Autors „Zulieferer eines Verbrechens“ werden. Nun kann man ja Gesinnungspazifist sein. Aber deshalb darf man nicht den Verstand zu Hause lassen. Wer im Nahen und Mittleren Osten bedroht denn eigentlich wen? Und wo war Günter Grass eigentlich, als die Bundesregierung den Export von Leopard-Panzern in die arabische Welt genehmigte? Das Ganze wird dann noch mit einer gezielten Sottise verziert: Die U-Boot-Lieferung werde „mit flinker Lippe als Wiedergutmachung deklariert“. Es sollte sich selbst nach Lübeck herumgesprochen haben, dass die Zeit der Wiedergutmachung längst beendet ist.
Mit dem Begriff der „Wiedergutmachung“ wird aber auch die Brücke zum dumpfen Stammtisch geschlagen. Grass, so legt er dar, hat bisher geschwiegen, weil „meine Herkunft, die von nie zu tilgendem Makel behaftet ist“ es ihm bislang verboten hat, „diese Tatsache als ausgesprochene Wahrheit dem Land Israel zuzumuten“. Da ist er, der Möllemann in neuem Gewande. Nein – andersherum wird ein Schuh daraus: Was Grass als „Wahrheit“ ausgibt, das ist eine Zumutung!
+++ Das vollständige Gedicht: "Was gesagt werden muss +++
+++ Leitartikel: Was für ein Irrsinn! +++
Er gibt auch noch eine andere Begründung für sein bisheriges Schweigen (von ihm der eigenen Bedeutung bewusst als „Verschweigen“ bezeichnet). Das ist der behauptete „Zwang, der Strafe in Aussicht stellt, sobald er missachtet wird; das Verdikt ‚Antisemitismus’ ist geläufig“. Nun wird man mit dem Gebrauch des Begriffes „Antisemitismus“ in der Tat vorsichtiger umgehen müssen, als es in der öffentlichen und veröffentlichten Meinung zuweilen geschieht. Aber – von Zwang kann keine Rede sein, und seit wann hätte sich Günter Grass vor auch polemischer Kritik gefürchtet?
Jetzt aber muss er sprechen, muss seine Wahrheit ans Licht, weil er der „Heuchelei des Westens überdrüssig“ ist. Das internationale Ringen um einen Iran ohne Atomwaffen wäre also „Heuchelei des Westens“? Na ja, es muss eben alles ins altlinke, antikapitalistische Weltbild passen. Geht es nicht auch eine Nummer kleiner? Heuchelei ist es allerdings, wenn Herr Grass behauptet, dem Land Israel verbunden zu sein und bleiben zu wollen. Das ist eine nämlich eine Art von „Verbundenheit“, auf die man gut und gerne verzichten kann.
Ansonsten aber sollten wir bedenken, dass Grass den Nobelpreis für Literatur, nicht den für Frieden gewonnen hat. Bei einem Stürmchen im Wassergläschen sollte es also bleiben. Mit feiner Ironie hat Regierungssprecher Seibert auf die „Freiheit der Kunst“ hingewiesen. Und was alles Kunst ist, das muss eben weit ausgelegt werden.
Prof. Manfred Lahnstein, 74, war Bundesfinanzminister und Wirtschaftsminister. Lahnstein arbeitete außerdem als Topmanager für die Bertelsmann AG, engagiert sich unter anderem für die Bucerius Law School Hamburg und die Universität Haifa in Israel, die sich für das Miteinander von Israelis und Palästinensern stark macht, sowie in der Deutsch-Israelischen Gesellschaft.