Der ZDF-Intendant will seinen Sender in die digitale Zukunft führen. Eine wichtige Rolle spielt dabei ZDFneo.

Mainz. Hamburger Abendblatt: Herr Schächter, Sie gelten als profunder Literaturkenner. Konnten Sie in den für Sie beruflich schwierigen Wochen und Monaten, als Sie vergeblich versuchten, den ZDF-Verwaltungsrat von der von Ihnen gewünschten Vertragsverlängerung mit Chefredakteur Nikolaus Brender zu überzeugen, Kraft aus Büchern ziehen?

Markus Schächter: Die Zeit von der Sie sprechen, war keine Zeit für Literatur, sondern für harte Verhandlungen.

Abendblatt: Sie haben von Mitte Februar - als sich abzeichnete, dass der hessische Ministerpräsident Roland Koch eine Vertragsverlängerung Brenders ablehnt - bis heute kein Buch gelesen?

Schächter: So ist es nicht. Zuletzt habe ich in einem Zug die „Atemschaukel“ von Herta Müller gelesen. Aber dies war vor allem eine Zeit harter, sachlicher Auseinandersetzungen, in der die Thematik der Literatur und der Gedichte, die ich gelesen habe, nicht im Vordergrund stand.

Abendblatt: Ist Ihnen während der Auseinandersetzungen der Gedanke gekommen, dass es vielleicht keine schlechte Idee gewesen wäre, wenn Sie einen Beruf ergriffen hätten, bei dem Sie es mit Büchern statt mit machtbesessenen Politikern zu tun haben?

Schächter: Ich habe einen der interessantesten Jobs dieser Republik. Zu diesem Job gehört es, auch härtere Zeiten durchzustehen.

Abendblatt: Woher haben Sie die Kraft genommen, weiter zu machen?

Schächter: Aus dem Wissen, dass es hier um das ZDF geht, um eine der herausragenden publizistischen Adressen Europas, einen Informationssender, der auf einem sehr guten Weg in die digitale Zukunft ist.

Abendblatt: Sie haben nie daran gedacht, die Brocken hinzuschmeißen?

Schächter: Es ging nicht um Markus Schächter, es ging um das ZDF.

Abendblatt: Wann wurde Ihnen bewusst, dass Koch erst Ruhe gibt, wenn die Vertragsverlängerung Brenders gescheitert ist?

Schächter: Wir haben versucht, uns bei einem kontroversen Thema anzunähern. Ich habe bis zuletzt versucht, einen Kompromiss zu finden …

Abendblatt: … auf den Koch aber nicht eingegangen ist. Deshalb kam es auf der Verwaltungsratssitzung vom 27. November zum Showdown. Sie gelten als harmoniebedürftig. Haben Sie irgendwann mal erwogen, Brender fallen zu lassen, um eine solche Situation zu vermeiden?

Schächter: Ich suche in der Regel den Weg der Einigung, aber hier ging es um die Entscheidungsfähigkeit des ZDF, nicht um Harmonie.

Abendblatt: Im Western bleibt nach dem Showdown der Verlierer auf der Strecke. Sie aber machen weiter, als wenn nichts geschehen wäre. Werden Sie Ihren Vertrag bis 2012 erfüllen?

Schächter: Das ZDF muss handlungsfähig bleiben. Wir sind in einer Phase, in der sich die Zukunft des Senders entscheidet. Da geht es nicht, dass der Chef die Bühne verlässt.

Abendblatt: Sie machen also bis 2012 weiter?

Schächter: Sicher

Abendblatt: Stehen Sie auch für eine weitere Amtszeit zur Verfügung?

Schächter: Die Frage stellt sich heute nicht: Bis 2012 vergeht noch viel Zeit, Zeit, in der die Weichen für die digitale Welt gestellt werden. Da werde ich weiter gestaltend tätig sein.

Abendblatt: Sie haben unmittelbar nach der Ablehnung einer Vertragsverlängerung Brenders durch den Verwaltungsrat die Länder als Träger des ZDF aufgefordert, neue belastbare Grundlagen zu schaffen, um die vom Grundgesetz geforderte Programmautonomie Ihres Senders zu sichern.

Schächter: Ich bin froh, dass die Rundfunkkommission der Länder diese Forderung aufgegriffen und auf ihre Tagesordnung gesetzt hat.

Abendblatt: Denkbar wäre auch, dass ein Bundesland oder ein Viertel der Bundestagsabgeordneten ein Normenkontrollverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht anstrengt.

Schächter: Der Vorteil einer politischen Lösung ist, dass Sie sehr viel schneller kommen kann.

Abendblatt: Sie könnten auch klagen - wenn zunächst auch nur vor dem Verwaltungsgericht.

Schächter: Bis meine Klage über den Instanzenweg möglicherweise in Karlsruhe ankäme, wären mindestens zweieinhalb Jahre vergangen. In einer Zeit, in der wichtige Weichen gestellt werden, kann der Intendant nicht im jahrelangen Rechtsstreit mit seinem Verwaltungsrat liegen.

Abendblatt: Wurden Sie durch Kochs harte Gangart nicht auch selbst beschädigt?

Schächter: Ich habe in den letzten sieben Jahren auch mit diesem Verwaltungsrat das ZDF nach vorne gebracht. Ich habe in kürzester Zeit mit Peter Frey einen neuen Chefredakteur vorgeschlagen, der einstimmig vom Verwaltungsrat bestätigt wurde. Peter Frey ist unabhängig. Er sitzt auf dem Fahrersitz und wird sich von niemandem ins Lenkrad greifen lassen. Wir sind auf dem Weg nach vorne.

Abendblatt: Der ehemalige SWR-Intendant Peter Voß, der auch für das ZDF gearbeitet hat, sagt, Frey wird dieselben Probleme wie Brender bekommen, wenn er dessen unabhängigen Stil pflegt.

Schächter: Peter Voß weiß am besten, dass er hier jedwede journalistische Freiheit gehabt hat. Es ist an uns, diese Freiheit zu verteidigen.

Abendblatt: Was sagen Sie Leuten, die nach dem Fall Brender das ZDF für einen Regierungssender halten?

Schächter: Schauen Sie sich beispielsweise „heute“, das „heute-journal“, „Frontal21“, „Illner“ und „Berlin direkt“ an. Das sind Sendungen, die wegen Ihrer Qualität, Professionalität Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit in Deutschland erste Adressen sind.

Abendblatt: Die „FAZ“ und das NDR-Medienmagazin „Zapp“ sehen in Ihrer Entschuldigung beim chinesischen Botschafter für einen Beitrag Ihrer Satiresendung „Heute Show“, in dem Chinesen auf der Frankfurter Buchmesse verhohnepiepelt wurden, ein Indiz dafür, dass das ZDF ein Regierungssender werden könnte. Der Beitrag ist aus der ZDF-Online-Mediathek entfernt worden.

Schächter: Ich habe dem Botschafter mein Bedauern ausgedrückt. Das Wort Entschuldigung kommt in dem Brief nicht vor. Das ist ein wichtiger Unterschied.

Abendblatt: Warum verstecken Sie eigentlich die von der Kritik hochgelobten Programme Ihres neuen Ablegers ZDFneo in einem reichweitenschwachen Digitalkanal?

Schächter: Wir stellen uns den Herausforderungen des digitalen Zeitalters: Wir planen komplementär zum Hauptprogramm. Ein einziges Programm kann nicht mehr alle Gruppen der Gesellschaft ansprechen. ZDFneo richtet sich an die Mitte der Gesellschaft, an die 25- bis 50-Jährigen.

Abendblatt: Warum aber nützen Sie die Gelegenheit nicht, um Ihr Hauptprogramm zu verjüngen? ZDF-Zuschauer sind im Schnitt über 60 Jahre alt.

Schächter: In ganz Europa verlieren Sender, die wie wir hauptsächlich Informationssendungen im Programm haben, jüngere Zuschauer. Da Information aber unsere Kernkompetenz ist und bleibt, entwickeln wir um das Hauptprogramm herum eine Programmfamilie entwickeln, die die gesamte Gesellschaft abbildet. ZDFneo ist da ein kleiner, zarter Anlauf. Dass sich die Privatsender darüber so aufregen, zeigt uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Abendblatt: Wäre es nicht sinnvoll, wenn von ZDFneo etwas ins Hauptprogramm diffundiert?

Schächter: Das wird geschehen. Wir sind erst einen guten Monat auf Sendung und haben schon drei bis vier Formate, die wir 2010 ins Hauptprogramm übernehmen können. ZDFneo ist unser Labor, wo wir etwas ausprobieren.

Abendblatt: Ihr Verwaltungsratsvorsitzender Kurt Beck fürchtet, dass ARD und ZDF bis 2020 Mindereinnahmen von bis zu einer Milliarde entstehen könnten. Das ist nicht so ohne weiteres nachzuvollziehen.

Schächter: Wir beobachten, dass sich die demografische Struktur der Bevölkerung verändert. Es gibt immer mehr Menschen die dauerhaft von Arbeitslosengeld Zwei leben und von der Rundfunkgebühr befreit sind. Das sind Fakten, die man hochrechnen muss.

Abendblatt: Das ZDF kommt mit der letzten Gebührenerhöhung doch sehr gut zurecht.

Schächter: Wir haben uns in den letzten sieben Jahren von unserer Schuldenlast befreit. 2013, am Ende der Gebührenperiode, werden wir eine schwarze Null schreiben. Wir kommen mit unserem Geld aus.