Die Vertragsverlängerung für ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender wird zum Kräftespiel von Medien und Politik. Es geht auch um die journalistische Unabhängigkeit des Senders.

Bleibt Nikolaus Brender Chefredakteur des ZDF? Intendant Markus Schächter hat bereits bekannt gegeben, den 60-Jährigen für eine dritte Amtszeit vorzuschlagen, am 27. März soll der Verwaltungsrat über die Personalie entscheiden. Doch hinter den Kulissen tobt ein Kräftespiel zwischen Parteien und Medien. Dabei stellt sich auch die Frage nach der journalistischen Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Senders und nach seiner Staatsferne.

Dass die Vertreter der Unionsparteien im ZDF-Verwaltungsrat die Absetzung des unbequemen Journalisten betreiben, war in den vergangenen Wochen aus den ansonsten so verschwiegenen Sitzungen durchgesickert. Allen voran Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU). Offiziell spricht er von der schlechten Entwicklung der Zuschauerzahlen bei den von Brender verantworteten Sendungen "heute" und "heute-journal", bei "Länderspiegel" und "auslandsjournal". Richtig ist, dass die meisten Nachrichten- und Informationssendungen Zuschauer verlieren, problematisch an Kochs Kritik ist, dass zum öffentlich-rechtlichen Programmauftrag nicht zuerst das Erreichen bestimmter Quotenziele gehört. Inoffiziell - so wird vermutet - geht es um Parteienproporz und Unabhängigkeit.

Brender gilt als unbequem, Politiker habe er angewiesen, ihre Beschwerden und Anliegen nur noch schriftlich vorzubringen. Die Union erwarte jedoch ein "genehmeres Verhalten von einem Chefredakteur", sagte Kurt Beck (SPD), der ZDF-Verwaltungsratsvorsitzende. In dem 14-köpfigen Gremium sind fünf Mitglieder als SPD oder SPD-nahestehend verortet, dazu gehören Matthias Platzeck (Ministerpräsident Brandenburg) und der Ex-DAG-Chef Roland Issen. Auf der anderen Seite sitzen u.a. der Verwaltungsrats-Vize Roland Koch, Peter Müller (Ministerpräsident des Saarlands), Edmund Stoiber, Bernd Neumann (Staatsminister für Kultur und Medien). Am 27. März entscheiden diese 14 über Nikolaus Brenders berufliche Zukunft und die Unabhängigkeit des ZDF. (kaf/khr/vlta)

Von Uwe Kammann

Eine Farce? Ach, wenn es das doch wäre. Allein, im Parforceritt des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch, der als Mitglied des ZDF-Aufsichtsrates eine Personalentscheidung in seinem und im Sinne von Machtgenossen herbeizwingen will, deutet sich vielmehr eine Tragödie an: die grobe und höchst fahrlässige Beschädigung eines Senders. Und damit zugleich eines ganzen Systems - des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als möglichst staatsfernes Medium einer sich selbst aufklärenden Gesellschaft.

Es ist wahr: Über die Bestellung des Chefredakteurs - so wie über die des Programm- und des Verwaltungsdirektors - darf der Verwaltungsrat laut Satzung mitreden. Der Intendant kann solche Dienstverträge nur "im Einvernehmen", wie es heißt, mit dem Verwaltungsrat schließen; mindestens drei Fünftel der vierzehn Mitglieder dieses Gremiums muss er von seinem Vorschlag überzeugen.

Hier liegt nun die große Versuchung für die Verwaltungsratsmitglieder: diese Personalien als Machthebel zu nutzen; hier zu demonstrieren, wo der Hammer hängt; hier Richtungen vorzugeben oder Haltungen zu kanalisieren. Das alles ist natürlich nicht verbrieft; das alles widerspricht auch dem Prinzip eines staatsfernen Rundfunks. Doch richtig ist auch: Die absolute Staatsferne kann und wird es nicht geben, ganz unabhängig davon, ob die Dichte von Parteien- und Regierungsvertretern in den Rundfunkgremien so stark ausgeprägt ist wie beim ZDF.

Als Kerngedanke ist gleichsam in die Konstruktion eingebaut: Die Kontrolleure müssen sich indirekt selbst kontrollieren - damit sie nicht weit über die Maßen allein ihre ureigenen Interessen verfolgen.

Was nun Koch genau geritten hat, den parteilosen Chefredakteur des ZDF frontal anzugreifen und ihm aus seiner Sicht "bittere" Fakten vorzuhalten und deshalb die Vertragsverlängerung infrage zu stellen: Es ist nicht genau erfindlich. Die sogenannten Fakten waren dazu völlig aus dem Zusammenhang gerissen, und eine genaue, eine angemessene Programmdiskussion (eben zu Qualität und Quote) gehört ohnehin in den Fernsehrat. Zu vermuten ist: Hier hat sich der Versuch, im Verein mit Verbündeten (wie dem Ex-Bayern-Ministerpräsidenten Stoiber) eine genehme und der eigenen Partei bequeme Personalie zu installieren und zugleich zügelnden Druck auszuüben, auf schlimmste Weise verselbstständigt.

Mit einer möglicherweise bitteren (und so wahrscheinlich ursprünglich nicht gewollten) Konsequenz: den Intendanten des ZDF zu kippen. Denn der wäre fast gezwungen zurückzutreten, wenn er seinen Personalvorschlag nicht durchbringen könnte.

Die große Frage deshalb: Wird der große und einheitliche Protest gegen die Attacke auf Nikolaus Brender die Position Kochs und seiner Mitstreiter noch verhärten, werden sie trotzig auf ihrer Schein-Kritik beharren, die doch nur höchst löchriger Vorwand für einen tatsächlich unverhüllten Machtanspruch ist? Woraus die noch größere Frage folgt: Wie kann man sie wieder einfangen und einbinden, diese Hasardeure einer Medien-Machtpolitik, damit sie ohne förmlichen Gesichtsverlust aus dieser verfahrenen Situation herauskommen?

Denn sie müssten schon sehr hartgesotten sein, um die große Fehleinschätzung nicht einzusehen - nämlich begrenzt zündeln zu können. Aber wenn sie die innerlich gefühlte und äußerlich ohne Zwang vermittelte Vernunftkurve nicht kriegen, dann gibt es keinen Ausweg. Dann wird es heißen: Augen zu und durch. Und dann, siehe oben, kann das die ganze Senderspitze beim ZDF sprengen.

Wie jetzt die Sache auch ausgeht, ein Handlungsbedarf zeigt sich überdeutlich: Die Struktur der Gremienzusammensetzung beim ZDF ist revisionsbedürftig. Große Zweifel sind nicht nur erlaubt, sondern angebracht, ob die Politlastigkeit nicht die Grenzen des Verfassungsgemäßen schon überschreitet. Eine solche Strukturänderung allerdings ist eine Langzeitaufgabe, fast ein Sisyphosprojekt.

Was heißt: Solange die Dinge sind, wie sie sind, muss man an die Vernunft der Gremienvertreter appellieren, gerade bei den Politikern. Fast, so schien es die letzten Jahre, hätten auch sie verinnerlicht, dass es ein peinlicher Irrglaube ist, die Anzahl von Sendeminuten im mutmaßlich eigenen Farbspektrum entscheide über Publikums- und Wählergunst. Fast, so die Beobachtung, wäre Proporzarithmetik als Zwangsjacke für öffentlich-rechtliche Sender als Kuriosum gewertet worden angesichts einer inzwischen vollkommen offenen, in sich atomisierten Medienlandschaft ohne Generalmarkierung und mediale Leitwölfe.

Im besten Fall war die jetzige Koch&Co.-Intervention ein unbedachter (schlimm genug!) Irrweg, Vorbote von Nervosität im Wahlkampfjahr. Im schlimmsten Fall war es der Versuch, nur vordergründig unterdrückte Altregeln wieder anzuwenden und den so lange lieb gewonnenen Kampf um die parteigefärbte Macht im Rundfunk wieder anzufachen, ohne auch nur einen Gedanken an die komplett veränderten Verhältnisse zu verschwenden. Es wären halt die alten Reflexe - an früheren Exempeln fehlt es bei den einschlägigen Akteuren ja nicht, vom ARD-Zerschlagungsplan bis zu Strategieschwertern unterm Chef-Kürzel SMS (Stoiber-Milbradt-Steinbrück).

So oder so: Das Kind liegt im Brunnen. Jetzt kann nur noch fantasievolle Diplomatie helfen. Auch wenn es noch so schwerfällt.


Unser Gastautor Uwe Kammann (60) ist seit 2005 Direktor des Adolf-Grimme-Instituts in Marl. Die Forschungseinrichtung befasst sich mit Fragen der Medienkultur und Kommunikationspolitik; mit dem Grimme-Preis werden hervorragende Fernsehstücke ausgezeichnet.