Bad Oldesloe. Der Landrat Henning Görtz zieht im Gespräch mit dem Abendblatt Bilanz und stellt seine Ziele für die nächsten Jahre vor.
In der finalen Jahressitzung des Kreistags ist Henning Görtz gerade erneut zum Landrat des Kreises Stormarn gewählt worden. Mit 52 von 54 gültigen Stimmen fiel das Votum für ihn noch deutlicher aus, als bei seiner Erstwahl 2016. Im Abendblatt-Interview spricht der 55-Jährige über das Stormarner Modell, schlaflose Nächte und den Tiefpunkt seiner ersten Amtszeit.
Wie haben sie ihr Wahlergebnis aufgenommen?
Henning Görtz: Ein 100-Prozent-Ergebnis war nicht zu erwarten und wäre auch etwas unheimlich gewesen. Das Ergebnis hat mich trotzdem unheimlich gefreut und macht mich ein wenig stolz.
Wie erklären Sie sich diese breite Zustimmung, die ungewöhnlich ist?
Ich habe mich schon als Bargteheider Bürgermeister immer darum bemüht, viel zu kommunizieren, einen offenen, ehrlichen Umgang miteinander zu pflegen und alle gleich fair zu behandeln unabhängig vom Parteibuch.
Sie wirken stets ruhig und gelassen. Verlieren Sie auch mal die Contenance und hauen mit der Faust auf den Tisch?
Nicht in der Öffentlichkeit. Und herumzubrüllen, ist nicht meine Art. Ich fresse aber auch nichts in mich rein. Unter vier Augen kann ich schon mal etwas deutlicher werden.
Können Sie dafür ein Beispiel nennen?
Was ich nicht mag und innerlich aus der Haut fahre, ist, wenn sich Zahlen anders entwickeln als geplant und Abweichungen nicht unverzüglich berichtet und begründet werden. Der Anspruch muss sein, dass die Politik stets verlässliche Haushaltszahlen bekommt.
Wie hat der Kreis Stormarn aus Ihrer Sicht bislang die Corona-Krise gemeistert und was muss verbessert werden?
Was wirklich gut lief, war der Zusammenhalt in der Kreisverwaltung. Wir haben sehr schnell entflechtet und Homeoffice ermöglicht, wo es ging. Da hat der IT-Verbund Stormarn schnell reagiert und einen super Job gemacht. Wir haben Arbeit priorisiert und Personal ins Gesundheitsamt verlagert. Wenn wir durch die Omikron-Variante 2022 jedoch wieder genau da stehen wie Anfang 2020, könnte bei vielen der Geduldsfaden reißen. Dann stünden wir erneut vor einer Riesenherausforderung.
Gab es persönliche Anfeindungen von Corona-Leugnern oder Querdenkern?
Ja, da gab es einiges, per Post, per Mail und über die sozialen Netzwerke. Es ging vor allem um die Maskenpflicht und das Impfen für Kinder, also völlig legitime Diskussionen. Die einen sagten, wir müssten strenger werden und Kinder noch mehr schützen. Die anderen sagten, dass wir würden mit der Gesundheit der Kinder spielen und sie zu Versuchsobjekten machen. Auch Schulschließungen wurden vollkommen unterschiedlich bewertet. Wer mir sachlich schreibt und argumentiert, bekommt von mir auch eine Antwort. Alle anderen nicht.
Hatten Sie auch mal schlaflose Nächte?
Ja, als es Ostern 2020 in der Pflegeeinrichtung in Rümpel den ersten großen Ausbruch im Kreis gab und unklar war, ob wir alles im Griff behalten können. In dieser Zeit ging es wirklich ans Eingemachte, das hat mich auch persönlich sehr betroffen gemacht.
Gerade bei den Haushaltsberatungen ist wieder oft das Stormarner Modell beschworen worden. Zu Recht?
Der Begriff mag zwar etwas abgedroschen klingen. Aber das Modell funktioniert hier wirklich. Weil sich die Fraktionen stets bemühen, gemeinsam zu guten Lösungen zu kommen. Das ist in anderen Kreisen ganz anders. Da gibt es teilweise Regierungs- und Oppositionsmodelle mit Koalitionsverträgen. Das alles gibt es hier nicht. Das schätze ich sehr und macht vieles einfacher.
Gab es in Ihrer ersten Amtszeit auch einen echten Tiefpunkt?
Die geplatzte Fusion der Sparkassen Holstein und Südholstein war für mich eine große Enttäuschung, ein Schlag ins Kontor. Das wäre eine Mega-Chance gewesen, die leichtfertig vertan wurde.
Was sind die großen Ziele für die kommenden sechs Jahre?
Die Verwaltungsmodernisierung muss weiter vorangetrieben werden. Beim Projekt Verwaltung 2030 geht es darum, wie wir dann arbeiten wollen und mit welchem Personal. Zudem stehen mehrere wichtige Infrastrukturprojekte auf dem Programm, wie etwa der Bau der neuen Rettungsleitstelle Süd in Bad Oldesloe. Beschäftigen wird uns weiter der riesige Flächendruck im Spannungsfeld zwischen Wohnungsnot und Gewerbeflächenentwicklung. Hier haben wir einen Zielkonflikt, der im Interesse aller gelöst werden muss.
Um der Wohnungsnot zu begegnen, wird oft eine kreiseigene Wohnungsbaugesellschaft gefordert. Wie stehen Sie dazu?
Ich bin kein Gegner, kann aber auch nicht sehen, dass damit auch nur eine Wohnung mehr gebaut wird. Es gibt ja die Wohnungsbau-Unternehmen, die bereit sind zu investieren. Am wichtigsten sind Grundstücke und das nötige Baurecht. Dafür sind aber die Kommunen zuständig. Zurzeit befinden sich kreisweit rund 2000 Wohnungen im Bau. Das ist zwar eine immense Zahl, reicht aber bei weitem nicht aus. Insbesondere im Bereich des bezahlbaren Wohnraums.
Was würden Sie sich für Stormarn wünschen, wenn Geld keine Rolle spielt?
Ich würde noch stärker den großen Ruck in Sachen Digitalisierung angehen. Und das nicht nur in der Verwaltung, sondern auch in den Schulen. Dafür braucht es aber nicht nur Geld, sondern auch andere Rahmenbedingungen.
Und von richtig großen Projekten für den Kreis Stormarn träumen sie nicht gelegentlich, vielleicht von einem eigenen Flughafen oder einem großen Stadion?
(lacht) Was ich mir wünsche und wo sicher noch mehr ginge, wären bedeutende Events und Kongresse und repräsentative Hotels. Das wäre gut für den Tourismus, aber auch die Freizeitgestaltung. Wir haben im kulturellen Bereich ja durchaus tolle Locations, etwa mit dem Marstall in Ahrensburg, dem Kleinen Theater in Bargteheide, dem KuB in Bad Oldesloe und dem Schloss Reinbek. Aber eine Nummer größer als eine Kapazität von bis 350 Personen wäre schon schön.
Wobei können Sie selbst am besten abschalten und entspannen?
Da gibt es gleich mehrere Dinge. Etwa ausgedehnte Radtouren mit meiner Frau Anja. Einmal im Jahr begeben wir uns mit einem befreundeten Paar auf eine einwöchige Tour auf Radwegen an großen Flussläufen. Wir sind bereits an Donau, Mosel und Weser unterwegs gewesen. Im nächsten Jahr soll es an die Isar gehen, den Inn oder nach Südtirol. Wunderbar entspannen kann ich allerdings auch beim Fußball schauen. Am liebsten Spiele des FC Bayern, bei dem ich schon seit 25 Jahren Mitglied bin.
Dutzende Termine in der Woche und repräsentative Pflichten, gern auch am Abend - ist der häusliche Friede da immer gewahrt?
Meine Frau Anja kennt es ja nicht anders. Weil mein Leben schon so war, als wir zusammengekommen sind. Außerdem ist ihr Vater zur See gefahren und war damit auch oft nicht zu Hause. Deshalb nutzen wir unsere kostbare gemeinsame Zeit stets sehr intensiv. Und so oft es möglich ist, begleitet sie mich auch. Die Kreistagssitzungen verfolgt sie regelmäßig auf der Gästetribüne. Wenn die Corona-Krise überhaupt etwas Gutes hat, dann dass ich wegen der vielen Absagen von Veranstaltungen selten so oft zu Hause gewesen bin wie in dieser Zeit.
Würden Sie trotzdem manchmal mit ihrem jüngeren Bruder Matthias tauschen wollen, der Milchbauer in Jersbek ist?
Ich liebe die schöne und sinnstiftende Arbeit in der Landwirtschaft, vor allem draußen auf den Feldern und mit den Tieren. Es war aber ziemlich schnell klar, dass Matthias den elterlichen Hof übernehmen würde. Er macht das mit Leib und Seele. Ich bin einen anderen Weg gegangen und auch glücklich geworden. Früher als Bürgermeister und heute als Landrat konnte und kann ich viel bewegen und beeinflussen, das ist auf eine andere Art sehr erfüllend.
War das Leben als Bürgermeister von Bargteheide vergleichsweise ruhiger?
Die Aufgaben sind ja ähnlich, es gibt viele Parallelen. Als Bürgermeister konnte ich noch mit dem Rad ins Rathaus fahren und war den Bürgern viel näher. Es hatte aber auch Nachteile, weil man stärker beobachtet wird. Beim Einkaufen, beim Eis essen, bei privaten Treffen in Cafés und Restaurants.
Wie erleben Sie die Entwicklung ihrer Heimatstadt aus der Perspektive des Landrats?
Jeder Bürgermeister hat seine Art, eine Verwaltung zu führen und setzt auch nach außen eigene Akzente. Ich finde, als Vorgänger sollte man die Arbeit des Nachfolgers, in diesem Fall der Nachfolgerin, nicht beurteilen, das ist für mich eine Stilfrage. Was mir allerdings Sorge bereitet, ist die dauerhafte Disharmonie zwischen der Kommunalpolitik und der Verwaltung. Das kann, vor allem in wichtigen Fragen, lähmend sein.
Ihre Nachfolgerin Birte Kruse-Gobrecht lässt kaum eine Gelegenheit aus, Ihnen Fehler und Versäumnisse vorzuhalten. Wie gehen Sie damit um?
Ich nehme das zur Kenntnis, werde es aber nicht öffentlich kommentieren.
Wie haben Sie als Christdemokrat aufgenommen, dass die CDU bei der Bundestagswahl aus der Regierung geflogen ist?
Im Tennis würde man von einem „unforced error“ sprechen. Die desaströse Niederlage war vollkommen unnötig. Sie war einem schlechten, ungeschickt geführten Wahlkampf mit zahlreichen handwerklichen Fehlern geschuldet. Armin Laschet ist für mich noch immer der bessere Kandidat gewesen. Er hat aus seiner Rolle aber zu wenig gemacht.
Ist Friedrich Merz der richtige Vorsitzende, um die Partei zu erneuern und wieder auf Kurs zu bringen?
Da bin ich selbst gespannt. Er startet jedenfalls mit einem deutlichen Vertrauensvorschuss. Der breite Rückhalt in der Partei mit mehr als 60 Prozent bedeutet eine gute Basis für die schwierige Aufgabe, vor der er steht. Die kann er meistern, wenn er seine Kompetenz einbringt, um das Profil der Partei zu schärfen und alle hinter sich zu versammeln. Ob das gelingt, lässt sich wohl erst zur nächsten Bundestagswahl beantworten.
Wie taxieren Sie die Chancen der CDU bei der kommenden Landtagswahl im Mai?
Ich hoffe, dass Daniel Günther Ministerpräsident bleibt. Aus meiner Sicht hat sich das Jamaika-Bündnis in Schleswig-Holstein bewährt. Der Kreis Stormarn und die Kommunen können sich über mangelnde Unterstützung aus Kiel jedenfalls nicht beklagen, wir sind immer fair behandelt worden. Bei dieser positiven Einschätzung schließe ich die von der FDP und den Grünen geführten Ministerien ausdrücklich mit ein. In der Corona-Krise hat uns gerade das Gesundheitsministerium sehr unterstützt. Und auch ins vom Ahrensburger Bernd Buchholz geführte Wirtschaftsministerium gibt es einen guten Draht.
Das ist der 19. Stormarner Landrat
Henning Görtz wurde am 1. Dezember 1966 in Bad Oldesloe geboren.
Nach dem Abitur studierte er an der Uni Hamburg Betriebswirtschaft und promovierte anschließend an der Uni Potsdam.
Er war von 2005 bis 2008 Leiter des Ministerbüros des schleswig-holsteinischen Finanzministers Rainer Wiegard (CDU), bevor er am 1. Dezember 2008, seinem 42. Geburtstag, erstmals zum Bürgermeister seiner Heimatstadt Bargteheide gewählt wurde.
Die zweite Amtsperiode endete vorzeitig, weil Görtz am 29. Januar 2016 vom Kreistag zum 19. Stormarner Landrat seit 1867 gewählt worden ist.
Der Christdemokrat ist seit 2004 mit Ehefrau Anja verheiratet. Die Versicherungskauffrau hat den heute 28 Jahre alten Sohn Phillip mit in die Ehe gebracht.
Henning Görtz gilt als großer Fan des mehrfachen deutschen Fußballmeisters Bayern München und spielt beim TSV Bargteheide aktiv Tischtennis.
Zu seinen absoluten Lieblingssendungen gehört das WDR-Fernsehmagazin „Zeiglers wunderbare Welt des Fußballs“ und der dazugehörige Podcast.