Bargteheide. 230 Besucher folgten einer Podiumsdiskussion mit vier Landwirten in Bargteheide. Sie fordern ein Umdenken bei Politikern und Konsumenten
Mit einer Werbekampagne zu seinem 100. Geburtstag hat sich das Einzelhandelsunternehmen Edeka gerade den Zorn Hunderter Landwirte zugezogen. „Essen hat einen Preis verdient: den niedrigsten“ lautet der Slogan einer Kampagne mit Komiker Otto Waalkes, dem Botschafter derselben. Zwar spricht Edeka nun von einem Missverständnis, weil die Gemeinde Essen in Landkreis Cloppenburg gemeint sei und nicht „Essen im Sinne von Lebensmitteln“. Dennoch ist der Fauxpas zu einer Steilvorlage für die Podiumsdiskussion der Bargteheider Grünen unter dem Motto „Landwirtschaft zwischen Ökologie und Ökonomie“ geworden.
„Der Rückzieher macht die Sache nicht besser. Weil die Debatte ein Grundproblem berührt: Die Lebensmittelpreise in Deutschland dürfen nicht länger unter den Erzeugungskosten liegen. Das Verramschen von Lebensmitteln muss aufhören“, sagt Matthias Görtz (48), Milchbauer aus Jersbek. Gemeinsam mit seinen Berufskollegen Axel Steinmatz (55), Hauke Ruge (32) und Bernd Voß (65) stand er auf der Bühne im Ganztagszentrums Bargteheide zweieinhalb Stunden Rede und Antwort.
230 Besucher waren gekommen um zu erfahren, wie es im Stadtgebiet, in dem es noch immer sechs Vollerwerbshöfe gibt, um die artgerechte Tierhaltung, den Wasser-, Umwelt-, Klima- und Verbraucherschutz bestellt ist.
Stichwort Agrarpolitik: „65 Milliarden Euro fließen in diesem Jahr als Agrarsubventionen in die EU-Mitgliedsstaaten. Doch leider wird flächenbezogen ausgezahlt. Rund 300 Euro pro Hektar sind es, unabhängig davon, ob auf den Flächen zukunftsfähig gewirtschaftet wird“, sagt Bernd Voß, Landwirt aus der Wilstermarsch (Kreis Steinburg) und stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen im Landtag. Besser wäre indes eine Vergabe nach anderen Kriterien, wie etwa einer umweltverträglichen und dem Tierwohl verpflichteten Bewirtschaftung. Die EU unterbreite hier gute Vorschläge, die von der Bundesregierung aber regelmäßig torpediert würden.
„Mir wäre lieber, es ginge ganz ohne Ausgleichszahlungen. Das funktioniert aber nur, wenn die Bauern von ihrer Arbeit auch leben können“, sagt Görtz. Tatsächlich sei das Preisgefüge in der Landwirtschaft aber längst „außer Rand und Band“. Seit 30 Jahren gebe es für die Milch im Prinzip denselben Preis, obwohl die Herstellungskosten durch immer neue Auflagen explodiert seien.
Stichwort Massentierhaltung: „Nach Krieg und Hungersnöten sind viele Höfe schnell gewachsen, weil Lebensmittel in großen Mengen hergestellt werden sollten“, sagt Axel Steinmatz, der 1200 Schweine mästet und 450 Hühner in zwei Mobilen hält. Viele kleinere Betriebe seien wegen des wachsenden Kostendrucks in den vergangenen Jahren auf der Strecke geblieben.
„Geht es den Tieren nicht gut, geht es uns auch nicht gut. Deshalb ist von den Landwirten viel Geld in artgerechte Haltung investiert worden“, sagt Görtz, auf dessen Hof 110 Milchkühe und Bulle Elvis stehen. Diese Zahl sei in Schleswig-Holstein inzwischen der gängige Schnitt, in Stormarn liege er bei 90 Tieren. Früher hätte seine Familie nur 20 Kühe gehalten. Das habe sich aber irgendwann nicht mehr gerechnet. „Ab April sind unsere Tiere fast durchgängig draußen auf der Weide, sie haben aber auch im Stall genügend Platz“, so Görtz.
Stichwort Grundwasser:„Düngeverordnung und Nitratrichtlinie setzen inzwischen klare Grenzen“, sagt Voss. Man habe darauf etwa mit neuer Technik zur Gülleausbringung und einer Mengenbegrenzung reagiert, so Steinmatz. Zudem werde Stickstoff mit einer Zwischenfrucht gebunden. Er bezweifelt jedoch, dass die ermittelten Werte in jedem Fall ein realistisches Bild der tatsächlichen Lage zeichnen: „Das Netz der Messbrunnen ist zu grob und die Brunnen sind teilweise auch nicht richtig platziert.“
Der Schalter lasse sich ohnehin nicht so ohne weiteres umlegen, da sich Bodeneinträge oft erst nach 20, 30 Jahren in bestimmten Werten manifestierten, sagt Görtz. „Nitratbelastung im Grundwasser ist in der Stadt aber praktisch kein Thema, da es aus rund 100 Metern Tiefe kommt“, erklärt er. Die Bargteheider Landwirte stünden bereits seit zwei Jahrzehnten in engem Austausch mit den Wasserwerken und hätten seitdem ihr Düngeverhalten angepasst. Mit der Folge, dass der Weizen wegen mangelnder Düngung jetzt eine deutlich geringere Qualität habe.
Stichwort Tiertransporte: „Durch EU-Auflagen sind seit 2000 erhebliche Schlachtkapazitäten abgebaut worden. Inzwischen gibt es in Schleswig-Holstein nur noch zwei große Schlachthöfe“, weiß Steinmatz. Deshalb würden die Tiere heute Hunderte Kilometer bis nach Brandenburg und Sachsen gekarrt.
Görtz würde auch selbst schlachten, wenn es nachgefragt und entsprechend bezahlt würde. Bio-Bauer Hauke Ruge, der vor allem Hühner und Milchkühe hält, könnte sich das auch vorstellen, sieht aber erhebliche rechtliche Probleme: „Da allen gesetzlichen Vorgaben zu entsprechen, dürfte schwierig werden.“
Stichwort Verbraucherschutz: „Dass es eine verbindliche Herkunftskennzeichnung bislang nur bei Eiern gibt, geht gar nicht“, moniert Voß. Jeder Anbieter entwickle sein eigenes Label, ohne dass es klar definierte Qualitätsstandards gebe.
Ruge konstatiert ein gravierendes Systemproblem: „In Deutschland gibt es ungezählte Auflagen, die es so woanders nicht gibt, nicht einmal innerhalb der EU.“ Deshalb stiegen die inländischen Produktionskosten, während der nationale Markt mit Billigprodukten überschwemmt werde. Ohne Klarheit darüber, unter welchen Bedingungen sie produziert worden sind.
Ein gutes Beispiel ist für Görtz das hochgelobte Rindfleisch aus Südamerika. „Es ist nicht etwa deshalb schmackhafter, weil die Tiere besonders artgerecht und umsichtig gehalten werden“, sagt Görtz. Sondern vor allem deshalb, weil das Fleisch auf dem langen Weg nach Deutschland viel mehr Zeit zum Abhängen, sprich, zum Reifen habe.
Stichwort Kunde: „Er könnte selbst viel zum Umwelt- und Klimaschutz beitragen, wenn er bewusster einkauft und auch mal zu regionalen Produkten greift, auch wenn sie im Einzelfall etwas teurer sind“, sagt Bernd Voß. Tatsächlich sei für 80 Prozent der Kunden aber allein der Preis entscheidend, obwohl höchstens zehn Prozent wirklich aufs Geld schauen müssten, meint Matthias Görtz. Er führt das insbesondere darauf zurück, dass es in Deutschland, anders als in Italien oder Frankreich, keine Esskultur gebe: „Im Zweifel ist das Handy für 1500 Euro wichtiger.“ Eine echte Wertschätzung für landwirtschaftliche Produkte aber sei vielen Menschen fremd.