Hamburg. Der Onlinehändler hat ein Lagerhaus umgebaut. Bald ziehen die 4600 Beschäftigten ein. Loungesofas und Ohrensessel sind schon da.
Der Zutritt ist bislang nur mit Sicherheitsschuhen erlaubt. Und hinter der Glasfront der neuen Otto-Zentrale wuseln noch Handwerker statt Büromenschen. Aber der Countdown für die Eröffnung läuft. Von Mitte April an sollen die Beschäftigten der Otto-Einzelgesellschaft, die das Kerngeschäft des internationalen Handels- und Dienstleistungskonzerns Otto Group bündelt, in dem komplett umgebauten Gebäude auf dem Firmengelände in Hamburg-Bramfeld arbeiten.
Arbeitstitel: GoEast. Bei einem exklusiven Rundgang bekommt das Abendblatt einen ersten Einblick, wie man sich bei Deutschlands größtem Onlinehändler moderne Arbeitswelten vorstellt. Und das fängt ganz oben an. Katy Roewer, im Vorstand für die Bereiche Personal, Finanzen und Service zuständig, steigt in der achten Etage der neuen Otto-Zentrale aus dem Fahrstuhl. Hinter einer großen Fensterfront öffnet sich der Blick über den Stadtpark Richtung Stadt. „Mein künftiger Arbeitsort“, sagt sie.
Neue Otto-Zentrale in Hamburg – das Büro wird zur Wohlfühlzone
Arbeitsort, nicht Arbeitsplatz – das Detail ist wichtig. Denn ein Büro wird die Topmanagerin genau wie ihre Vorstandskollegen Marc Opelt und Michael Müller-Wünsch künftig nicht mehr haben. „Nur die Assistentinnen haben noch einen eigenen Schreibtisch“, sagt die 48-Jährige, die an diesem Tag mit Otto-Architekt Hossein Yazdanian und Projektleiterin Anja Diedrichsen unterwegs ist.
Statt Büros gibt es im ganzen Gebäude offene Arbeitsflächen und Besprechungsräume in unterschiedlichen Größen, die flexibel genutzt werden können. New Work nennen sie das bei dem ehemaligen Katalog-Versandhändler, der vor 75 Jahren in Hamburg gegründet wurde. „Die neue Otto-Zentrale ist ein Arbeitsort, gleichzeitig auch Identifikationspunkt und Begegnungsstätte“, sagt Vorständin Katy Roewer.
Bislang waren die unterschiedlichen Unternehmensbereiche auf mehrere Gebäude auf dem weitläufigen Otto-Campus verteilt. Künftig konzentriert sich (fast) alles in einem Gebäude. Insgesamt entstehen auf neun Geschossen mit 50.000 Quadratmetern 1600 Arbeitsplätze und zahlreiche Konferenz- und Team- und Besprechungsräume. Die Planungen für den Umbau des ehemaligen Lagergebäudes, das der bekannte Hamburger Architekt Werner Kallmorgen in den 1960er-Jahren erbaut hatte, hatten vor gut acht Jahren begonnen.
Otto investiert mehr als 100 Millionen Euro in neue Zentrale
Mehr als 100 Millionen Euro investiert der Onlinehändler in das Mammutprojekt. „Die moderne Architektur symbolisiert passend zu unserem Geschäftsmodell den Aufbruch in die Zukunft. Von der alten in die neue Welt, vom Händler zur Plattform“, sagt Roewer. „Wir schlagen damit Brücken.“
Und das auch im Wortsinn. Das Herz der neuen Otto-Zentrale ist ein riesiges Atrium. „Das haben wir auf einer Grundfläche von etwa 1000 Quadratmetern aus dem Ursprungsbau herausgeschnitten“, erklärt Architekt Hossein Yazdanian. Durch ein Glasdach und von den Seiten fällt Tageslicht bis ins Erdgeschoss.
Über Brücken und Querverbindungen, Gänge und Treppen, alles in Weiß und mit strenger Eleganz gestaltet, verbindet der Lichthof die Bereiche der neuen Hauptverwaltung. Im Erdgeschoss gibt es einen Versammlungsplatz mit Bühne und riesigem LED-Monitor, der mit ansteigenden Sitzbänken einem Amphitheater nachempfunden ist.
Auch auf den Etagen hat Yazdanian den Industriecharakter des Kallmorgen-Baus erhalten. Es riecht nach frischer Farbe. Es gibt vor allem Schwarz und Weiß. Bauarbeiter montieren Tische und Stühle. „Farbakzente setzen wir über die Möblierung“, sagt der Architekt, auf dessen Konzept der Umbau basiert. Ein großes halbrundes Loungesofa in Orange, ein Konferenzraum mit Stühlen in verschiedenen Rottönen. Manche Stellen sind noch mit Schutzfolien verklebt, damit die ganze Pracht nicht schon Kratzer hat, bevor alles fertig ist.
Neue Otto-Zentrale: 1600 Schreibtische für 4600 Beschäftigte
Ottos neue Wohlfühlzone hat mit einem typischen Bürogebäude kaum noch etwas zu tun. Die Abteilungen kommen in sogenannten Homezones zusammen. Wo an den langen Tischen ein Platz frei ist, stöpselt man seinen Laptop ein – und los geht’s. Desksharing ist inzwischen in vielen Unternehmen der Normalfall. Bei dem Hamburger Onlinehändler gibt es zudem Dutzende Meetingräume in unterschiedlichen Größen und ausgestattet mit modernster Technik auch für die hybride Nutzung.
An anderer Stelle ist eine Art Klassenraum mit Schülerpulten und Whiteboards eingerichtet. Rückzugsecken mit bequemen Ohrensessel bieten Raum für Gespräche zu zweit. Und wer ungestört telefonieren will, kann eine der schallisolierten Telefonzellen nutzen.
„Wir haben uns bemüht, möglichst viele Möbel wiederzuverwenden“, sagt Anna Diedrichsen, Leiterin des Umzugsprojekts. Besonders sind auch die Bereiche in der zweiten Etage, wo Teams in sogenannten Projektgaragen längerfristig zusammenarbeiten können.
„Wald“, „Wiese“, „Garten“ – jede Teeküche hat ein Motto
Für die kurze Pause zwischendurch gibt es in jedem Geschoss eine Teeküche, die mit großer Fensterfront jeweils komplett unterschiedlich gestaltet sind. „Wald“ ist das Motto in der dritten Etage mit viel Grün und Holz. Anderswo läuft der Sozialbereich unter „Wiese“ und „Garten“.
Nach mehr als sechs Jahren Bauzeit sind alle froh, dass es nun endlich losgeht in der neuen Otto-Zentrale. Eigentlich war die Fertigstellung schon für Sommer 2022 geplant. Aber dann kam die Corona-Pandemie mit Arbeitsunterbrechungen und Lieferschwierigkeiten, außerdem diverse bauliche Probleme, sodass das Projekt erst mit fast zweijähriger Verzögerung bezugsfertig wird.
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Die Pandemie hat weitere Auswirkungen: Viele der 4600 Hamburger Otto-Beschäftigten arbeiten bevorzugt im Homeoffice. „Deshalb haben wir frühzeitig den Flächenplan noch mal angepasst“, sagt Personalvorständin Katy Roewer. Zunächst waren 1800 Schreibtischarbeitsplätze geplant, jetzt es noch 1600. Dazu kommen noch mal etwa genauso viele Plätze in Konferenz- und Besprechungsräumen, auf die sich die Mitarbeiter und -Mitarbeiterinnen – viele davon in Teilzeit – verteilen können.
Ähnlich wie Otto versuchen auch andere Unternehmen mit neuen Gebäuden, Umbauten und modernen Arbeitskonzepten, die Beschäftigten aus dem Homeoffice zurückzuholen. Mit mehr oder weniger Erfolg. Aktuell sind auch an den Hauptbürotagen Dienstag, Mittwoch und Donnerstag bei Otto durchschnittlich maximal 40 Prozent der Belegschaft auf dem Campus in Bramfeld.
Onlinehändler Otto: Exklusiver Blick in die neue Firmenzentrale
Katy Roewer ist zuversichtlich, dass die neue Zentrale identitätsstiftend für das Unternehmen wird. Aber sie sagt auch: „Uns ist klar, dass wir uns umstellen und Arbeitsweisen anpassen müssen.“ Das bedeutet mehr Organisation, mehr Bewegung – und eben kein eigener Schreibtisch mehr. Für niemanden. Die Managerin ist da ganz entspannt. „Mein Alltag besteht zum größten Teil aus Besprechungen. Mein Büro werde ich nicht vermissen.“
Ein paar Lieblingsecken hat sie auch schon ausgemacht im achten Stock. Aber wo sie die Fotos von ihrer Familie hinstellt, muss sie noch überlegen. Allerdings nur für ein Jahr. Im März 2025 wechselt Roewer in die Führungsetage der Otto Group. Das Gebäude ist schon umgebaut, mit Einzelbüros für Chefinnen und Chefs.