Hamburg . Bei dem Hamburger Online-Händler bekommen auch Chefs keine eigenen Büros mehr. Neue Technik soll ein lästiges Problem lösen.
Für einen, der Chef des größten deutschen Online-Händlers ist, ist das Büro von Marc Opelt eher bescheiden. Ein großer Tisch mit Stühlen, an dem der 56-Jährige an seinem Laptop arbeitet und Mitarbeiter zum Gespräch empfängt. Demnächst verzichtet er sogar ganz auf ein Einzelbüro. Bis zum Sommer 2022 errichtet die Otto-Einzelgesellschaft, die das Kerngeschäft des internationalen Handels- und Dienstleistungskonzerns Otto Group bündelt, eine neue Zentrale auf dem Firmengelände in Bramfeld.
Dafür wird ein altes Lagergebäude komplett umgebaut, das der Hamburger Architekt Werner Kallmorgen in den 1960er Jahren gebaut hatte. „Wir wollen einen Ort schaffen, an dem vernetztes Arbeiten unterstützt wird“, sagte Opelt bei der Vorstellung der Zahlen für das auslaufende Geschäftsjahr 2018/19.
1800 Arbeitsplätze auf 40.000 Quadratern entstehen
Jetzt steht er mit einem Bauhelm auf dem Kopf im ersten Stock des künftigen Otto-Hauptgebäudes. Viel Beton, kahle Wände. Irgendwo ganz nah dröhnen schwer Baumaschinen. Man braucht noch einige Fantasie, um sich die offen gestalteten Arbeitswelten vorzustellen, die hier entstehen sollen: insgesamt 1800 Arbeitsplätze auf zusammen 40.000 Quadratmetern und neun Etagen. In der Mitte des Komplexes ist ein Atrium geplant.
Ähnlich wie bei bereits umgestalteten Gebäuden auf dem Otto-Areal sind die neuen Arbeitsplätze flexibel nutzbar. „Wir ziehen dann auch auf die Fläche“, so der Vorsitzende des Otto-Bereichsvorstands. Er meint damit, dass auch er und seine Vorstandskollegen ihren Arbeitsplatz zwischen allen anderen Mitarbeitern haben werden. New Work nennen sie das beim dem ehemaligen Katalog-Versandhändler, der vor 70 Jahren in Hamburg gegründet wurde. „Die Geschichte von Otto ist einzigartig, und so soll auch unser Otto-Campus ein einzigartiger Ort der Zusammenarbeit werden,“ so Opelt.
2018 sind 250 neue Arbeitsplätze entstanden
Otto setzt konsequent auf Wachstum und will künftig den Wandel vom Händler zur Plattform weiter vorantreiben. Im vergangenen Jahr hatte das Unternehmen sich anderen Partnern und Marken geöffnet und damit, so Opelt, „den größten Umbruch unserer Firmengeschichte eingeleitet“. Ähnlich wie der Internet-Gigant Amazon sind bei den Hamburgern nicht mehr alle Waren in eigenen Lagern, sondern werden direkt verschickt. Bislang wurden 400 neue Anbieter eingebunden, die bereits eigene Shops auf otto.de betreiben. Bis 2020 soll die Zahl auf 3000 anwachsen.
100 Millionen Euro hat der Online-Händler in die Entwicklung zur Plattform investiert. Nach den Worten Opelts soll im nächsten und in den folgenden Jahren jeweils die gleiche Summe eingesetzt werden. In den vergangenen zwölf Monaten sind 250 neue Jobs entstanden. Durchschnittlich seien 400 bis 500 Stellen offen. Gesucht werden vor allem hoch spezialisierte Fachleute im IT-Bereich. Insgesamt arbeiten 4900 Menschen für Otto, davon 3000 auf dem Campus in Hamburg.
Otto steigert Umsatz auf 3,2 Milliarden
Im ablaufenden Geschäftsjahrs 2018/19 hat der Händler erstmals die Umsatzmarke von drei Milliarden Euro geknackt. „Wir sind zum neunten Mal in Folge gewachsen“, sagte Marc Opelt. Das Plus von acht Prozent auf Erlöse in Höhe von 3,2 Milliarden lag knapp unter dem Wachstum des Vorjahrs von 8,5 Prozent. Für das neue Jahr erwartet er Zuwächse in ähnlicher Höhe. Zum Gewinn machte Opelt keine Angaben. Besonders stolz sind die Hamburger auf zwei Millionen neue Kunden auf otto.de. Sieben Millionen aktive Nutzer zählt das Unternehmen, das sein Geschäft inzwischen mit 98 Prozent nahezu komplett online abwickelt und damit im Wettbewerb mit dem Branchenprimus Amazon steht.
Wichtigstes Segment ist erneut der Online-Möbelhandel. Otto ist in dem Bereich bundesweit Marktführer vor Ikea und erwirtschaftet etwa ein Drittel des Umsatzes in dem Bereich. Auch im ablaufenden Geschäftsjahr seien trotz des schwierigen Umfelds im heißen Sommer 2018 die Umsätze gestiegen. Genaue Zahlen nannte Opelt nicht.
Otto Ready verbindet Online-Shop mit Haushaltsgeräten
Um die Spitzenposition zu halten, arbeitet das Unternehmen an neuen Entwicklungen. „Der Fokus liegt darauf, dass wir technologisch einen deutlichen Schritt vorwärts machen“, sagte Opelt. Unter anderem testet Otto ein Verfahren, Möbel über Virtual-Realitiy-Umgebungen zu verkaufen sowie an Kommunikationsoptionen über den Google-Sprachassistenten Echo. Als neue Funktion wurde Otto ready vorgestellt, mit welcher der Konzern sich auf dem Markt der smarten Haushaltsgeräte positionieren will. „Zukünftig werden Haushaltsgeräte ohne Internetzugang aussterben“, sagte der Otto-Chef.
Zum 1. März hatte der Händler das Start-up Order This gekauft, dessen Software als Verbindungselement zwischen Onlineshops und internetfähigen Haushaltsgeräten fungiert – zum Beispiel Geschirrspülern, Druckern oder Kaffee- und Waschmaschinen. Otto will so das schnelle Geschäft mit Verbrauchsmaterialien wie Geschirrspültabs, Kaffeebohnen oder Druckerpatronen machen.
Gerade hat Otto ein erstes Pilotprojekt für Geschirrspüler, die mit dem sogenannten Home-Connect-System der Firma Bosch ausgestattet sind, freigeschaltet. Das Prinzip ist einfach. Man gibt über eine Internetseite die Zahl der vorhandenen Tabs ein. Das Gerät zählt diese nach jedem Gebrauch herunter. Sobald eine kritische Menge erreicht ist, sendet der Geschirrspüler einen Warnhinweis. Mit einem Mausklick lässt sich dann die Nachbestellung über das Otto-Portal auslösen. Im Moment ist das nur für Geräte der Hersteller Bosch, Siemens und Neff möglich, soll aber weiter ausbaut werden.