Kundgebung auf Rathausmarkt hatte Volksfestcharakter. Bischöfin Fehrs sagte, es gehe “um bunte Vielfalt, nicht um braune Einfalt“.

Hamburg. Ein Aufmarsch von Neonazis hat am Sonnabend zu schweren Ausschreitungen in Hamburg geführt. Am Tag nach der Neonazi-Demo wird Bilanz gezogen. Stadtweit waren etwa 4400 Polizisten im Einsatz, 38 von ihnen wurden verletzt, wie die Polizei am späten Abend mitteilte. 17 Personen wurden nach Straftaten festgenommen und 63 Menschen zur Gefahrenabwehr in Gewahrsam genommen. Rund 700 Rechtsextreme waren von 12 Uhr bis 17.30 Uhr nach einer Genehmigung durch das Verwaltungsgericht die Pappelallee entlang marschiert.

Eigentlich hatten die Neonazis eine deutlich längere Route über den Eilbeker Weg entlang ziehen wollen. Doch die Gegendemonstranten blockierten diese Strecke, Hunderte setzten sich den Rechten in den Weg. Trotz körperlicher Gewalt und Wasserwerfern gelang es der Polizei nicht, die Sitzenden zu entfernen. „Es waren einfach zu viele Gegendemonstranten am Eilbeker Weg“, sagte eine Polizeisprecherin. Die rechte Demonstration wurde daher gegen 17.30 Uhr am S-Bahnhof Hasselbrook beendet.

Andere Gegner des Neonazi-Aufmarschs griffen bei ihren Protesten zur Gewalt. Am Vormittag flogen aus einer Gruppe mit bis zu 700 Mitgliedern Steine, Flaschen und Böller auf die Beamten. Diese kesselten die Gruppe daraufhin ein und nahm sie in Gewahrsam, um Personalien zu überprüfen. Es wurden Verfahren wegen schweren Landfriedensbruchs eingeleitet.

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Zudem errichteten Gegendemonstranten in Wandsbek Barrikaden aus Müll oder Tonnen und zündeten diese an. Ein Polizeifahrzeug und mehrere Autos brannten. Bald lösten sich alle großen Gegendemonstrationen in kleine Gruppen auf, die unkontrolliert durch die Straßen zogen. Bis zu 3000 Menschen waren es der Polizei zufolge.

Bereits in der Nacht zuvor hatten Brandstifter elf Polizeifahrzeuge auf dem Parkplatz eines Hamburger Hotels angezündet, wo für den Einsatz zugereiste Beamte schliefen. Die Täter entkamen unerkannt. Das „Hamburger Bündnis gegen Rechts“ warf der Polizei ein zu hartes Vorgehen gegen die friedlichen Sitzblockaden vor. „Es wurden Pfefferspray und Wasserwerfer eingesetzt, und die Reiterstaffel ritt in die Sitzenden direkt hinein“, hieß es in einer Erklärung. Zudem hätte die Polizei den Neonazi-Aufmarsch beenden können, so das Bündnis. Anstatt rechtliche Möglichkeiten für ein Verbot der Nazi-Demo zu nutzen, habe die Polizei „die Ersatzroute der Nazis durchgeknüppelt“. Die Polizeisprecherin wies die Vorwürfe zurück. „Wir mussten eine Ausweichroute anbieten, um das Grundrecht der Versammlungsfreiheit zu gewährleisten“, sagte sie. Auch den Einsatz von überzogener Polizeigewalt wollte sie nicht bestätigen.

Die Hamburger Polizei ihrerseits verurteilte die Gewalt „einer kleinen Gruppe aus der linken Szene“, die nicht repräsentativ für die weitgehend friedlichen Proteste gewesen sei. Viele der verletzten Polizisten hätten Knalltraumata durch zu nah am Ohr explodierte Böller erlitten.

Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) sprach von einem verwüsteten Wandsbek. „Es macht fassungslos, wie linksautonome Chaoten einen Stadtteil in Schutt und Asche legen und noch glauben, dass sie mit diesen feigen und brutalen Gewalttaten erfolgreich gegen ’Rechts’ agiert hätten“, sagte der DPolG-Landesvorsitzende Joachim Lenders. Der friedliche Protest auf dem Rathausmarkt sei dagegen ein gelungenes Zeichen gegen Neonazis gewesen.

Tatsächlich protestierte der überwiegende Teil der Demonstranten friedlich in der Hamburger Innenstadt gegen den Aufmarsch der Rechtsextremen. Am Morgen gab es eine Veranstaltung des DGB mit Polizeiangaben zufolge 3000 Teilnehmern und eine Kundgebung des vom Senat unterstützten Bündnisses „Hamburg bekennt Farbe“ auf dem Rathausmarkt. Nach Polizeiangaben versammelten sich dort 10.000 Menschen. Es gab ein buntes Bühnenprogramm, Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) hielt eine Rede, in der er zu mehr Toleranz aufrief.

Bischöfin Kirsten Fehrs rief dazu auf, für die Demokratie und ihre Errungenschaften einzutreten. „Wer gegen die Menschenwürde handelt, handelt gottlos“, sagte sie. Rechtsextremes Gedankengut sei „mit keiner unserer Religionen vereinbar“. Es gehe „um bunte Vielfalt, nicht um braune Einfalt“. Als Christin wolle sie es auf den Punkt bringen: „Unser Kreuz hat keine Haken.“

Die Kundgebung auf dem Rathausmarkt hatte bis in den Nachmittag hinein Volksfestcharakter: Hunderte farbenfrohe Luftballons stiegen in den Himmel. Es gab Lesungen, unter anderem mit Harry Rowohlt und der Auschwitz-Überlebenden Esther Bejarano. Im Kaisersaal des Rathauses sprach Ralph Giordano über „die tägliche Last, ein Deutscher zu sein“: versöhnungsbereit, aber „absolut unversöhnlich gegenüber jeder Art von Unbelehrbarkeit“.

Stadtweit waren etwa 4400 Polizisten im Einsatz, davon 2400 aus anderen Bundesländern und von der Bundespolizei. Das Ausmaß der Ausschreitungen war deutlich größer als bei den Maikrawallen vor einem Monat. Für die Nacht zum Sonntag warnte die Polizei vor Ausschreitungen von Linksextremen im Hamburger Schanzenviertel. Bis zum frühen Morgen blieb es jedoch relativ ruhig. Nur vor dem Autonomentreff Rote Flora zündete ein Gruppe ein Feuer an, das jedoch bald gelöscht wurde. (dpa, epd)