Die Stimmung ist so unterschiedlich wie die Stadtteile. Der Bezirk Altona ist der Einzige, in dem die Befürworter der Primarschule vorn lagen.
Hamburg. Die Nienstedtener zählen sich mehrheitlich zu den Gewinnern. Denn hier haben, wie auch in den anderen Hamburger Elbvororten, überdurchschnittlich viele Mütter und Väter mit ihrer Stimme die Initiative "Wir wollen lernen" unterstützt - und damit die Schulreform des schwarz-grünen Senats gekippt und die sechsjährige Primarschule verhindert. Auch in Othmarschen, von wo aus "Reform-Rebell" Walter Scheuerl, Mitglied des Elternrats am Gymnasium Hochrad, seinen Anti-Reform-Protest organisiert hatte, schlägt das eindeutige Ergebnis des Volksentscheids auf die Stimmung - positiv natürlich.
"Wir freuen uns sehr. In dieser Gegend war fast jeder gegen die Pläne des Senats", sagt Kerstin Pilawa, Mutter eines zwölfjährigen Sohnes, die mit Partner Stephen Kreidel an der Liebermannstraße ein Modegeschäft führt. Wie zum Beweis deutet sie auf ein Wahlplakat der Initiative "Wir wollen lernen", das einige Meter weiter an einem Mast klebt. Gegen die Idee eines längeren gemeinsamen Lernens habe sie nichts. "Das Problem ist, dass die Reform so schnell umgesetzt werden sollte. Ein Schnellschuss, der auf dem Rücken der Kinder ausgetragen würde."
Auf einen Sieg der Reformgegner hatte die Geschäftsfrau gehofft, nie aber hätte sie auf einen solchen Triumph gewettet. "Gebührend gefeiert haben wir den Erfolg noch nicht, denn die meisten unserer Freunde sind derzeit im Urlaub." Mit ihrer besten Freundin habe sie den Ausgang des Volksentscheids dafür schon am Telefon heftig diskutiert: "Sie wohnt in Ottensen und hat für den Senat gestimmt."
Hätte am Sonntag nur der Bezirk Altona gewählt, wäre das Ergebnis anders ausgefallen, wie die Auswertung des Statistikamts Nord zeigt: Altona ist demnach der einzige Bezirk, in dem die Befürworter der Primarschule vorn lagen. Während die Initiative 39 349 Stimmen bekam, entfielen 39 528 auf die Vorlage des Senats. Allein im Wahllokal Theodor-Haubach-Schule befürworteten 79 Prozent der Wähler die Pläne des schwarz-grünen Senats.
So stimmten Ihre Nachbarn beim Volksentscheid
Die sechsjährige Primarschule hatte sich auch Silke Scheibner aus Bahrenfeld für ihre Söhne Jannik, 3, und Jesper, 2, gewünscht. "Ich selbst bin teilweise in Schweden aufgewachsen, das längere gemeinsame Lernen dort hat mir gefallen", sagt die 33-Jährige. Schade sei es schon, dass dieser Aspekt der Reform nun gescheitert sei. Es hätten schließlich auch mehr als 200.000 Hamburger die Pläne des schwarz-grünen Senats unterstützt. "Die Mehrheit hat aber leider anders entschieden. Dann ist das eben so", sagt die Flugbegleiterin. "Hauptsache, die Klassen werden kleiner und es gibt mehr Lehrer."
Darin stimmen offensichtlich alle Hamburger überein. Doch gibt es nach dem erbitterten (Wahl-)Kampf jetzt einen "Schulfrieden"? In manchen Familien schon. Andrea Lutz aus Ottensen, Mutter des zweijährigen Louis, hat für die Vorlage des Senats gestimmt. Jessica Benthien, eine enge Freundin der Familie und Louis' Babysitterin, dagegen. "Es gab Argumente für beide Seiten. Mir hätte die Primarschule gefallen, aber jetzt kommt sie eben nicht", sagt Andrea Lutz. Studentin Jessica Benthien nickt. "Ich war lange Zeit unsicher, habe mich dann entschieden, der Initiative meine Stimme zu geben. Gejubelt habe ich nach dem Erfolg am Sonntag aber deshalb nicht. Dafür war ich bei dem Thema Schulreform insgesamt zu unentschlossen."
Das mag vielen Hamburgern ähnlich ergangen sein: Von den 1,3 Millionen Wahlberechtigten stimmten nur 491 600 Hamburger ab, das entspricht einer Wahlbeteiligung von 39 Prozent. In vielen Wahllokalen der Walddörfer und auch in Sasel schnitten die Reformgegner laut Statistikamt Nord gut ab. Auch Raquel Feldmann-Leddin aus Sasel gab ihre Stimme der Initiative. "Ich bin mit der Grundschule als Schulform zufrieden, deshalb war ich gegen die Einführung der Primarschule", sagt die Mutter der vierjährigen Lilly. Im Freundeskreis in Sasel sei die Reform kein großes Thema gewesen - weder vor der Wahl noch danach. "Es waren ohnehin alle unserer Bekannten gegen die Reform, da gab es wenig Diskussionsstoff."
Im Gespräch mit Eltern aus anderen Stadtteilen hätte das anders ausgesehen. Doch geht nun ein "Riss" durch die Stadt, irgendwo zwischen Sasel und St. Pauli, Othmarschen und Ottensen? Die Elternkammer Hamburg jedenfalls geht davon aus. "Diese Auseinandersetzung hat tiefe gesellschaftliche Wunden hinterlassen. Es wird Jahre dauern, bis sie heilen", so Elternkammer-Vorsitzender Peter Albrecht. Ein Umbau des Schulsystems sei nach wie vor notwendig. "An einer Reform interessierten Hamburgern wird es auf absehbare Zeit schwerfallen, Motivation dafür zu finden", so Peter Albrecht. Die Elternkammer werde ihr Augenmerk nun darauf richten, dass die Einführung der Stadtteilschule und die Umgestaltung des Unterrichts wie geplant umgesetzt werden könnten.