Aus für die Schulreform: Mehr als 58.000 Stimmen Vorsprung für die Volksinitiative “Wir wollen lernen!“ Auch das Quorum wurde problemlos erreicht.
Hamburg. Um 22.03 Uhr ging ein Jubel durch das Medienzentrum im Rathaus. Die Gegner der Schulreform hatten es per Beamer neongrün auf weiß an der Wand: Ihre Initiative "Wir wollen lernen", mit der sie für den Erhalt der vierjährigen Grundschule gekämpft hatten, hatte die notwendigen 247.335 Ja-Stimmen erreicht. Die Kampagnenleiterin, Anna von Treuenfels, und ihre Mitstreiterinnen Nicola Byok und Heike Heinemann lagen sich in den Armen. "Mädels, wir haben es geschafft", rief von Treuenfels. 247.955 Ja-Stimmen waren es zu dieser Zeit und damit genug für das notwendige Quorum, das die Initiative erreichen musste. Es war der Moment, der das Aus für die Schulreform und die sechsjährige Primarschule bedeutete.
Draußen auf dem Flur fielen die freudestrahlenden Damen dann Walter Scheuerl, dem Initiator und Kopf der Initiative, in die Arme. Lauter Jubel hallte durch die Eingangshalle. "Wir sind stolz", sagte Scheuerl. "Wir haben gezeigt, dass die Menschen in dieser Stadt etwas durchsetzen können, wenn sie es wollen."
+++ Abendblatt-Interview mit Walter Scheuerl +++
Er freue sich, dass die Hamburger Schüler nach den Ferien in ein gutes Schulsystem zurückkehren könnten. Das Ergebnis sei auch bundespolitisch ein Signal. Dennoch hoffe er, dass die Koalition überlebe, so Scheuerl. Einen Rücktritt von Schulsenatorin Christa Goetsch (GAL) fordere er nicht.
Christa Goetsch und Ole von Beust nannten das Ergebnis bitter
Die äußerte sich in einer gemeinsamen Presseerklärung mit Ole von Beust . "Wir sind sehr enttäuscht, dass wir nicht genügend Menschen von der Primarschule überzeugen konnten", heißt es darin. Das Ergebnis sei bitter für alle, die ihre Hoffnungen in das längere gemeinsame Lernen gesetzt hätten. "Aber die Sache ist entschieden und das müssen wir akzeptieren." Der Durchbruch zum längeren gemeinsamen Lernen sei nicht gelungen.
Im Rathaus ließen sich die Befürworter der Schulreform zu dieser Zeit nicht mehr blicken, allein SPD-Chef Olaf Scholz hielt tapfer die Stellung. "Wir haben auf ein anderes Ergebnis gehofft", sagte er. "Aber es ist zumindest ein eindeutiges Ergebnis, was ich wichtig finde." Die wichtigsten Beiträge der SPD würden dennoch bleiben: das Elternwahlrecht, kleine Klassen in der Grundschule, die Möglichkeit, auf allen Stadtteilschulen Abitur zu machen. Alles andere müsse man jetzt akzeptieren.
Eine Stunde nach dem ersten Jubel verkündete Landeswahlleiter Willi Beiß dann das vorläufige Endergebnis: 276.304 Ja-Stimmen für die Intiative (58 Prozent), bei 200 093 Nein-Stimmen. Für die Vorlage der Bürgerschaft stimmten 218 065 Hamburger mit Ja (45,5 Prozent), 260.989 mit Nein.
Unabhängig vom Ergebnis lobte Beiß die Wahlbeteiligung. Diese lag insgesamt bei rund 39,3 Prozent und damit bei 492.057 Hamburgern. "Die Beteiligung liegt höher als bei der Europa-Wahl 2009 mit damals 34,7 Prozent", sagte Beiß. "Das finde ich durchaus beachtlich."
Für die Reformgegner hieß es zu diesem Zeitpunkt schon: "Party!". Mit dabei natürlich auch der FDP-Landesvorsitzende Rolf Salo, seines Zeichens "absolut happy". "Schwarz-Grün ist damit vollkommen gescheitert", sagte er. "Das ist eine Klatsche für die gesamte Bürgerschaft. Eine Gesamtklatsche." Und, anders als für Scheuerl, sei für Salo die Zeit reif, dass Schulsenatorin Goetsch zurück trete - ebenso wie für Neuwahlen.
Spannend war es den Abend über im Medienzentrum gewesen, wie in einem Bienenstock schwirrten Abgeordnete aller Parteien in regelmäßigen Abständen herein, um den Helfern von Landeswahlleiter Willi Beiß über die Schultern auf die Computer-Bildschirme zu gucken, auf den die aktuellen Ergebnisse aufliefen. Walter Scheuerl hatte angesichts der Trends immer wieder gut grinsen, anders als sein Gegner Jobst Fiedler, Sprecher der Unterstützer-Initiative.
Dem standen schon im Laufe des Abends die "Sorgenfalten auf der Stirn". Auch er verzog sich irgendwann zur Wahlparty in die Schanze. "Richtig enttäuscht bin ich nicht, obwohl der Abstand größer ist, als wir gedacht haben", sagte Fiedler. "Aber es hat sich in relativ kurzer Zeit gezeigt, dass es auch ein breites Bündnis in der Stadt für eine bessere Schule gibt. Wir werden also in den nächsten Jahren an dem Thema dranbleiben." Was immer das bedeuten mag.
Für Andreas Dressel von der SPD stand der Schuldige für die Niederlage fest: "Der Rücktritt von Ole von Beust und die wochenlange Diskussion darüber war natürlich ein Schlag ins Kontor für die Reformbefürworter."