Hamburg. In seiner Heimat galt er als „Überflieger“, in Hamburg quälen ihn langsam Selbstzweifel. Was ihn daran hindert, seinen Beruf auszuüben.
- Papiere, Akten, Anträge, Bescheide, Mails und weitergeleitete Anrufe: Seit Jahren wird Mohammad von A nach B geschickt.
- Der junge Mann aus Syrien ist Arzt – doch in Hamburg darf er bisher nicht arbeiten.
- Warum in ihm langsam Selbstzweifel wachsen und was er sich für seine Zukunft wünscht.
Im Wirrwarr der Bürokratie den Überblick zu behalten, ist alles andere als leicht – selbst wenn Deutsch die eigene Muttersprache ist. Für Geflüchtete wie Mohammad Alahamad ist es eine schier unlösbare Aufgabe. Mohammad ist Arzt. Eigentlich. Denn obwohl der junge Mann sechs Jahre Studium absolviert und in seiner Heimat Syrien zwei Jahre als Mediziner praktiziert hat, wartet er in Hamburg mittlerweile seit knapp zwei Jahren darauf, endlich wieder arbeiten zu können.
Der 28-Jährige fühlt sich seit Monaten wie in der Schwebe – und verliert darüber zunehmend die Hoffnung. Ein Verfahren für Anträge aus Drittstaaten wie seiner Heimat Syrien, außerhalb der Europäischen Union, dauert laut Gesundheitsbehörde 18 bis 24 Monate. Eine vorübergehende „kleine Berufserlaubnis“ soll zur Überbrückung helfen, vorausgesetzt, das Sprachniveau reicht aus.
Nach Hamburg geflüchtet: „Die Lage in Syrien war unerträglich“
Mohammad kommt gebürtig aus der syrischen Stadt al-Hasaka im Nordosten des Landes. Es ist eine Hafenstadt mit rund 700.000 Einwohnern. In Damaskus, nahe der libanesischen Grenze, hat er Medizin studiert, bevor er für die Arbeit nach al-Hasaka zog.
Dort, mehr als 500 Kilometer von seiner Heimat und seiner Familie entfernt, arbeitete er zwei Jahre lang als Gynäkologe in einem staatlichen Krankenhaus. In Deutschland möchte er seinem Fachbereich treu bleiben, erhofft sich dadurch bessere Chancen. „Ich könnte auch bei der Psychiatrie anfragen, aber die gucken mich bestimmt an und fragen: Was willst du hier?“
Mohammad erreicht die Hamburg 2023 und beantragt Asyl und Anerkennung
An dem Job in Syrien habe ihn einiges gestört, erzählt der 28-Jährige. Die Distanz zu seinen Eltern, aber auch die Atmosphäre im Krankenhaus. Noch schrecklicher seien für ihn nur die Aussichten auf die Zukunft gewesen: „Die Lage in Syrien war unerträglich, es gab keine Sicherheit, keine Chance, für mein Leben zu sorgen, jeden Tag hätte ich einfach sterben können.“ Also fasste er den Entschluss, nach Deutschland zu flüchten.
Am ersten Januar 2023 erreicht der junge Arzt Hamburg. Er beantragt Asyl und seine Anerkennung als Arzt, lernt Deutsch, bekommt Bestnoten und belegt schließlich einen Kurs für medizinische Fachsprache, der ihn seinem Ziel ein weiteres Stück näherbringen soll. Das Ziel, das ist die Approbation – eine Berufsberechtigung, um in Hamburg als Arzt arbeiten zu dürfen. Dass es ihm damit allerdings so schwer gemacht werden würde, damit hat Mohammad nicht gerechnet.
Als Arzt in Hamburg arbeiten: Unbeantwortete Anrufe, automatische E-Mails – Mohammad mehrfach abgewimmelt
Immer wieder werden dem syrischen Arzt Steine in den Weg gelegt. Dem Abendblatt liegen die Anfragen vor, die Mohammad an die Sozialbehörde verschickt hat. In einer Nachricht vom 9. Oktober weist er etwa darauf hin, dass er den Antrag auf Anerkennung bereits im April 2024 gestellt hat, bittet um Rückmeldung. Noch einmal fragt er an. Und noch einmal. Doch das Ergebnis ist dreimal dasselbe: keine Antwort, die über eine automatisierte Mail hinausgeht.
Auch telefonisch kann er seine Ansprechpartnerin trotz vielfacher Versuche nicht erreichen. Die Bearbeitung seines Antrags verzögert sich weiter. Viele neue Anfragen und wenig Personal seien die Gründe dafür, sagt die Behörde dem Abendblatt. Und weiter: „Zusätzliches Personal wurde inzwischen zur Entlastung eingestellt.“ Von nun an geht es schneller, vielleicht.
Ende April 2024 beginnt der junge Arzt mit einem „Spezial-Berufssprachkurs“, gefördert durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Am Ende steht eine Fachsprachprüfung, die er vor der Hamburger Ärztekammer ablegen muss. Fünf Monate später, am Abschluss des Kurses, wird er dort nach zwei verzweifelten Anfragen – per Mail und persönlich – abgewimmelt.
Mohmmad möchte als Arzt in Hamburg arbeiten: Das sagt die Ärztekammer zu seinem Fall
Die Zulassung zur Prüfung sei Aufgabe des Landesprüfungsamtes, heißt es. Unterstützung und Verständnis für seine Situation? Fehlanzeige. Mohammad soll zudem ein Bescheid fehlen, der zeigt, inwieweit sich sein Studium in Syrien inhaltlich von dem in Deutschland unterscheidet und welche Differenzen auszugleichen sind, bevor er in Hamburg demselben Job nachkommen kann.
Konfrontiert mit dem Mailverkehr schreibt die Ärztekammer Hamburg: „Wir werden diesen Vorgang zum Anlass nehmen, noch einmal zu schauen, wie wir bei künftigen Anfragen noch besser weiterhelfen können.“ Auf der Webseite könnten sich ausländische Ärzte bereits umfassend informieren. „Wir werden dieses Jahr gut 500 Fachsprachenprüfungen durchführen und rund 250 Kenntnisprüfungen. In der Regel gelingt es uns, den Kandidaten Prüfungstermine im von ihnen gewünschten Zeitraum zu ermöglichen“, fügt die Ärztekammer hinzu.
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Vom Überflieger zum Selbstzweifel – „Ich verliere langsam die Hoffnung“
„Manchmal gehe ich nicht ran, wenn meine Eltern anrufen“, sagt Mohammad. Er wolle nicht immer dasselbe erzählen oder über Belangloses reden. Gute Neuigkeiten, die würde er gern einmal verbreiten können. „Ich verliere langsam die Hoffnung“, gesteht der 28-Jährige, „ich kann kaum schlafen und nicht essen.“ In seiner Heimat sei ihm gesagt worden, er sei ein „Überflieger“, erzählt er hinter vorgehaltener Hand – weil er nicht arrogant wirken will, sagt er. Doch es erklärt umso besser, warum ihn der Zustand in Deutschland frustriert.
„Ich verliere langsam die Hoffnung. Ich kann kaum schlafen und nicht essen.“
Hier, in Hamburg, wollte er genau da ansetzen. Hart arbeiten wie bisher. Dafür ist Mohammad sogar nach Duisburg gefahren, hat auf eigene Kosten eine Fachsprachprüfung für Medizin auf höchstem Level gemacht – doch in Hamburg fehlt ihm weiterhin der sogenannte Defizitbescheid.
Behörden in Hamburg: Mohammad kämpft für seine Approbation als Arzt
Und um an diesen Bescheid heranzukommen, muss sich Mohammad weiter durch den dichten deutschen Bürokratiedschungel schlagen: Eine Bestätigungsmail von der Ärztekammer ist nötig, dass der Anerkennungsantrag eingegangen sei, sagt das CBW College für berufliche Weiterbildung.
Der Bescheid wird erst für den finalen Schritt vor der Berufserlaubnis benötigt, informiert die Ärztekammer. „Für die Anmeldung zur Fachsprachprüfung muss lediglich ein ordnungsgemäß ausgefüllter und vollständiger Antrag vorliegen“, erklärt auch die Gesundheitsbehörde. Zudem müsse die Qualifikation als Arzt feststellbar sein. Wurden die Unterlagen geprüft, könnten sich Bewerber für die Fachsprachprüfung anmelden.
Keine Approbation als Arzt in Hamburg? Mohammad offenbar kein Einzelfall
Das soll einer verstehen. Papiere, Akten, Anträge, Bescheide, Mails und weitergeleitete Anrufe: Seit Jahren wird Mohammad von A nach B und wieder zurückgeschickt. „Ich wurde mehrfach falsch informiert“, sagt Mohammad – lächelnd. Denn was soll er anderes tun, als über die Tragik zu schmunzeln?
„Mein Credo ist eigentlich: Bemühen bringt Früchte. Stattdessen fühle ich mich oft wertlos und würdelos behandelt. Ich fange schon an, die Schuld bei mir zu suchen.“
Wer sich länger mit ihm unterhält, weiß, dass die Situation, in der er seit nunmehr zwei Jahren feststeckt, für ihn alles andere als lustig ist. „Die Prüfung würde mir sehr weiterhelfen“, sagt er. Schließlich hätte er mit der bestandenen Fachsprachprüfung einen weiteren Beweis für seine Fähigkeiten als Arzt. Um einen besonders miserabel gelaufenen Einzelfall handelt es sich bei seiner Geschichte offenbar nicht: Allein in seinem Sprachkurs gibt es noch zwei weitere Migranten, die in derselben Situation sind.
Was sich Mohammad für seine Zukunft als Arzt in Hamburg wünscht
Für die Zukunft wünscht sich Mohammad nicht etwa einen Chefarztposten. „Ich wünsche mir, dass die Behörden in Zukunft mehr Rücksicht nehmen.“ Dann spricht er von seinem persönlichen Credo: „Ich habe die Marotte – sagt man das so? –, dass ich immer sehr viel lerne. Bisher hatte ich immer das Gefühl, je mehr ich lerne, desto leichter und schneller geht es voran“, so Mohammad. Nur hier, hier sei das plötzlich ganz anders. „Mein Credo ist eigentlich: Bemühen bringt Früchte. Stattdessen fühle ich mich oft wertlos und würdelos behandelt. Ich fange schon an, die Schuld bei mir zu suchen.“
In seiner Heimat fühlte sich der junge Arzt immer wie auf der Überholspur. Und jetzt? Steht er still wie auf dem Parkplatz, um im Bild zu bleiben? „Nein, wenn ich irgendwann auf dem Parkplatz stehe“, sagt Mohammad lächelnd, „dann nur, weil ich an meinem Ziel angekommen bin.“