Hamburg. Die Situation ist so schlimm, dass einige Ärzte und Pflegekräfte in Tränen ausbrechen. Welche Folge jetzt aggressiven Patienten droht.
- „Blöder Türke“: Patienten beleidigen und bedrohen Ärzte und Fachkräfte.
- Chefarzt: „Patienten behandeln und wie Kellner in der Gastronomie!“.
- Wie sich ein Krankenhaus in Hamburg jetzt wehrt.
Früher gab es in der Notaufnahme im Krankenhaus Schränke aus Holz, für Verbände und Medikamente, Untersuchungsutensilien und Akten. Heute gibt es sie nicht mehr. Denn viele von ihnen wurden eingetreten. Zertrümmert von wütenden Patienten.
Patienten, die zunehmend aggressiv reagieren, wenn sie nicht sofort behandelt werden und warten müssen. Die ungeduldig und fordernd sind, beleidigend und fast schon „herrisch“ auftreten, wie es der Chefarzt einer Notaufnahme der Asklepios Kliniken in Hamburg beschreibt.
„Viele Patienten behandeln uns wie Kellner in der Gastronomie. Nach dem Motto: ‚Ich habe schon vor zwei Stunden eine Behandlung bestellt, warum muss ich so lange darauf warten?‘“, sagt der Mediziner.
Ausnahmesituation in Notaufnahme: Ein Chefarzt schlägt Alarm
Früher wollte er Arzt werden, um Menschen zu helfen. Heute fragt er sich manchmal, was aus einigen Menschen geworden ist.
Ärzte und Pflegekräfte bei ihm in der Notaufnahme werden fast täglich beleidigt und beschimpft, getreten oder geschlagen. Die Patienten zerreißen die Kabel vom Überwachungsmonitor, werfen Gegenstände gegen die Wände, schlagen bei der Behandlung Hände weg, drohen mit Prügel oder stoßen die fahrbaren Rollcontainer mit Behandlungsmaterial um.
„Viele Patienten behandeln uns wie Kellner in der Gastronomie.“
Es klingt nach Einzelfällen, nach Ausnahmen. Doch Fälle wie diese sind Alltag in den Krankenhäusern in Hamburg, vor allem in den Notaufnahmen. Nirgendwo sonst im Krankenhaus gibt es so viel Gewalt gegenüber Ärzten und Pflegern. 97 Prozent der Beschäftigten in Notaufnahmen gaben bei einer Umfrage an, in den letzten zwölf Monaten verbale Gewalt erlebt zu haben, 87 Prozent wurden körperlich angegriffen.
Die Übergriffe sind so schlimm, dass gerade jüngere Kollegen und Kolleginnen oft in Tränen ausbrechen würden, sagt der Chefarzt. Neulich hat ihn ein Patient „blöder Türke“ genannt, dabei kommt er noch nicht mal aus der Türkei. Eine Kollegin von ihm wird immer wieder mit dem N-Wort beschimpft. Besonders bitter: Es gebe Patienten, die sich von dieser Ärztin nicht behandeln lassen wollten.
Jetzt reicht es: Wie ein Krankenhaus gegen aggressive Patienten vorgeht
„Warum dauert das so lange“ oder „Geht das hier nicht ein bisschen schneller“, das bekommen sie in der Notaufnahme immer wieder zu hören. Nicht als Frage, sondern als Anklage, Forderung. „Wir probieren, den Patienten zu erklären, dass sie nicht der Reihenfolge nach behandelt werden – sondern nach Dringlichkeit. Doch irgendwie wollen oder können sie das nicht verstehen“, so der Mediziner.
50 bis 60 Notfälle behandeln sie am Tag, manchmal auch bis zu 80. Es sind Menschen mit Herzinfarkt oder Lungenembolie, Unfallopfer oder psychiatrische Notfälle. „Oder Menschen, die nicht aus Deutschland kommen und nicht wissen, wo sie sonst hingehen sollen“, sagt der Chef der Notaufnahme. „Die steuern einfach das erste Haus mit einem Kreuz darauf an, und das sind wir.“
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In der Notaufnahme sind sie sich einig, dass die Verrohung zunimmt, die Aggressivität, die Wut der Patienten. Auf die Ärzte, Pfleger, das Krankenhaus, ja, das ganze System. Und es könnte noch schlimmer werden, so die Befürchtung von Experten. „Wenn im Zuge der Krankenhausreform weitere Kliniken schließen werden, kommt es in den verbleibenden Krankenhäusern zu noch mehr Patienten und noch längeren Wartezeiten“, so der Chefarzt. Auch er findet nicht alles gut, was die Politik macht. Trotzdem muss er sich oft gegenüber Patienten genau dafür rechtfertigen.
Es gibt da diesen Patienten, der ruft jede Woche den Rettungswagen und lässt sich in die Notaufnahme bringen. Jedes Mal mit Symptomen eines Herzinfarktes. Brustschmerzen, Atemnot. Er weiß genau, was er sagen muss, damit die Rettungssanitäter ihn mitnehmen müssen – so die Vermutung der Ärzte im Krankenhaus. Dort kennt man ihn schon, seine Masche. Doch auch dort ist man machtlos, muss ihn aufnehmen und untersuchen. EKG, Blutbild, das volle Programm. Aber es wird nie etwas gefunden.
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Wenn der Patient entlassen werden soll, passiert es: Er pöbelt herum, beleidigt Ärzte und Pflegepersonal, schubst Schwestern weg und tritt um sich.
Zehn Millionen Euro zahlen Asklepios Kliniken für die Sicherheit im Krankenhaus
Die Situation ist so brisant, dass Asklepios notgedrungen seit einigen Jahren Sicherheitspersonal einsetzt, um das Personal gegen Übergriffe zu schützen und Randalierende des Hauses zu verweisen. Auf eigene Kosten. Der finanzielle Aufwand für diese zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen beläuft sich allein für die Hamburger Asklepios Kliniken auf fast zehn Millionen Euro jährlich – mit steigender Tendenz.
Angesichts der zunehmenden Übergriffe von Patienten und deren Angehörigen auf Mitarbeitende in Kliniken und Gesundheitseinrichtungen haben die Asklepios Kliniken Hamburg Anfang November die Kampagne #HaltzuGewalt gestartet.
Chefarzt sagt: „Patienten hinausschmeißen, wenn sie uns bedrohen und beleidigen“
„Vielen Patienten ist nicht bewusst, dass wir auch nur Menschen sind“, sagt der Chefarzt und meint: Menschen, die für die Patienten ihr Bestes geben, aber Gewalt nicht länger dulden werden. „Aus diesem Grund haben wir uns dazu entschieden, bei diesen Fällen von unserem Hausrecht Gebrauch zu machen und Patienten hinauszuschmeißen, wenn sie uns bedrohen und beleidigen“, so der Leiter der Notaufnahme.
Neulich hat ihm ein Patient gedroht, sich an den Chefarzt zu wenden. Seine Antwort: „Ich bin der Chefarzt.“