Hamburg. Lange Schlangen am Morgen: Trotz zahlloser Versuche scheitert Mido am Amt für Migration. Offene Sprechstunde wird abgeschafft.
Von hier oben sieht es so aus, als ob Hamburg einem zu Füßen liegt. Mido ist beeindruckt. Da die Elbphilharmonie, dort der Hafen. Und nur ein paar Meter entfernt das Rathaus. „Hamburg ist so unglaublich schön“, sagt der Iraker auf der Dachterrasse eines Bürogebäudes mitten in der Innenstadt. „Gar nicht schön ist nur, wie die Behörden hier mit den Menschen umgehen.“
Die Kurzversion von Midos Kampf gegen den Hamburger Behördendschungel erinnert an die schier unmögliche Aufgabe für Asterix und Obelix, im „Haus der Verrückten“ einen Passierschein A38 zu ergattern. Bei „Asterix erobert Rom“ lernen die beiden Gallier den nahezu aussichtslosen Kampf gegen Roms verwaltungstechnische Bürokraten kennen, die aus Midos Sicht genauso gut auch im Hamburger Amt für Migration in der Hammer Straße sitzen könnten.
Geflüchtete in Hamburg: Im Januar wurde Zuständigkeit für Asylbewerberleistungen neu geregelt
Die lange Version der Geschichte beginnt am 1. Januar dieses Jahres. Da gaben Hamburgs Behörden bekannt, dass die Zuständigkeit für die Bearbeitung von Anträgen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ab sofort zentral bei der Behörde für Inneres und Sport (BIS) im Amt für Migration und nicht mehr bei den bezirklichen Dienststellen für Grundsicherung liege. Zusätzlich wurde entschieden, dass es statt ursprünglich zwei öffentlichen Sprechstunden nur noch eine am Freitagvormittag gebe. Die A38-Passierschein-Nachricht in Midos Worten: „Ab dann herrschte das Chaos.“
Mido heißt eigentlich nicht Mido, aber für den Artikel möchte er lieber mit seinem Spitznamen als mit dem richtigen Namen genannt werden. Denn obwohl der Iraker, der seit 2017 in Hamburg ist, seit wenigen Wochen eine offizielle Aufenthaltserlaubnis hat, traut er den Behörden auch weiterhin nur bedingt. Dabei könnte der studierte Informatiker gut und gerne als eine Art Musterflüchtling durchgehen. Mido spricht sehr ordentlich Deutsch, ist ehrenamtlich engagiert und will auf keinen Fall eine Leistung erhalten, die ihm nicht zusteht. Doch genau das ist Midos Problem.
Geflüchtete hatten Probleme, Termine im Amt für Migration zu erhalten
Denn: Nachdem der 30-Jährige vor wenigen Tagen seine Aufenthaltserlaubnis nach dem Bleiberecht des Paragrafen 25B für zwei Jahre erhalten hat, wollte er eigentlich nur beim Amt für Migration Bescheid geben, dass dieses ab sofort gar nicht mehr für ihn zuständig sei. Doch am Telefon ist er trotz unzähliger Versuche nie durchgekommen, auf seine Mails (konnte das Abendblatt einsehen) erhielt er seit Februar immer nur automatische Antworten. Und wer in der Hammer Straße einen persönlichen Termin will, der musste im wahrsten Sinne des Wortes bislang ein ganz Ausgeschlafener sein.
Theoretisch war in dem Amt in Wandsbek freitags zwischen 8 und 14 Uhr eine offene Sprechstunde. Praktisch musste man sich allerdings schon mitten in der Nacht Stunden zuvor in die Schlange einreihen, um überhaupt eine Chance auf einen Termin zu erhalten. Viermal war Mido vor Ort – ohne dass sein Anliegen auch nur einmal zufriedenstellend bearbeitet werden konnte.
Seit Linken-Anfrage im August hat sich nichts gebessert
Der einzige Trost: Mit seinem Kampf gegen die bürokratischen Windmühlen ist der Iraker nicht alleine. Bereits im August hatte Carola Ensslen von den Linken eine schriftliche Kleine Anfrage (SKA) gestellt, da „die Zustände bei der Leistungsbearbeitung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) weiterhin untragbar“ seien. In der SKA hieß es, dass Antragsteller oft keine Rückmeldungen oder gar Termineinladungen auf ihre Mailanfragen erhielten und Menschen sich mit ihrem Notfallanliegen bereits um 5 Uhr morgens anstellen würden, um überhaupt eine Chance auf einen Termin zu erhalten. Aber: „Viele Menschen erhalten diese Chance trotz langer Wartezeit nicht.“
Auch zwei Monate später scheint die Lage unverändert schlecht. „Eine Besserung ist leider seit August nicht zu verzeichnen“, sagt Ensslen dem Abendblatt – und erhebt schwere Vorwürfe: „Aus meiner Sicht schwingt da die aktuelle Diskussion um mehr Sachleistungen als Abschreckung mit rein. Das Grundgesetz verbietet es aber, die Menschenwürde migrationspolitisch zu relativieren. Innensenator Andy Grote ist also in der Pflicht und Verantwortung, dem Verfassungsbruch im Amt für Migration ein Ende zu setzen.“
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Beim Amt für Migration räumt man auf Abendblatt-Nachfrage ein, dass man Terminschwierigkeiten bei der offenen Sprechstunde gehabt habe: „Das lag beziehungsweise liegt vor allem an den anhaltend hohen Zugangszahlen in Verbindung mit einer schwierigen Personalgewinnung an den entsprechenden Stellen.“ Trotzdem habe man 160 bis 180 Personen bedienen können. „In den Fällen, in welchen Kundinnen und Kunden nicht am selben Tag bedient werden konnten, wurde auf die Kontaktmöglichkeiten verwiesen, um ihre Anliegen/Anträge alternativ schriftlich zu übermitteln.“
Nun denn. Immerhin gibt es eine gute Nachricht zum Schluss für Mido und Co.: In der Beantwortung der Anfrage des Abendblatts kann ein Behördensprecher garantieren, dass die Probleme der offenen Sprechstunde sich auf keinen Fall wiederholen werden. Der einfache Grund: Die Behörde hat am vergangenen Freitag die offene Sprechstunde eingestellt.
Geflüchtete in Hamburg: Amt will Terminsprechstunde mittels Online-Terminvergabe anbieten
Derzeit befinde man sich „in der Planung für eine Terminsprechstunde mittels Online-Terminvergabe, welche es den Kundinnen und Kunden ermöglicht, mit einem festen Termin persönlich und ohne lange Wartezeiten vorzusprechen“, heißt es. Im Amt für Migration gehe man davon aus, dass man die Terminsprechstunde noch im Oktober anbieten könne. „In der Übergangszeit kann die offene Sprechstunde freitags telefonisch von 8.00 bis 15.00 Uhr unter der Telefonnummer: 040/428394399 erreicht werden.“
Oder auch nicht.