Hamburg. Ein Mensch stirbt, Kraftfahrer erhält Geldstrafe – auf viele wirkt das zu milde. Jurist erklärt, was solche Fälle für Beteiligte bedeuten.

  • Nach tödlichen Unfällen gibt es für die Kraftfahrer meist Geldstrafen. Zu milde, finden viele
  • Erfahrener Richter erklärt, welche Kriterien für ein Urteil entscheidend sind
  • Jurist: „Ein Augenblicksversagen ist etwas, was praktisch jedem passieren kann

Es geht um dramatische Schicksale. Um Menschen, deren Leben von einer Sekunde auf die nächste zu Ende ist, meist unter entsetzlichen Umständen – und mit großem Leid für die Angehörigen. Wenn nach einem tödlichen Unfall im Straßenverkehr der Fall verhandelt wird, lautet später im Prozess das Urteil für den Angeklagten häufig auf Geldstrafe. Ein paar Tausend Euro: Ist ein Menschenleben wirklich so wenig wert, mag da mancher fassungslos denken. Doch in der Strafjustiz geht es um die strafrechtliche Schuld der Angeklagten, die angemessen zu bewerten ist. Und der Gesetzgeber setzt nach Verkehrsunfällen, in denen der Vorwurf auf fahrlässige Tötung lautet, enge Grenzen bei der Strafzumessung.

„Es ist für alle Beteiligten eine fürchterliche Geschichte mit schlimmen Schicksalen“, betont der Direktor des Strafsegments am Amtsgericht Mitte, Björn Jönsson, im Gespräch mit dem Abendblatt. „Jemand wird aus dem Leben gerissen, von jetzt auf gleich. Das ist nicht nur für Opfer und die Angeklagten, sondern auch für uns Richter ein Schicksal, das uns sehr nahegeht.“ Es gebe in seiner jahrzehntelangen Karriere „nicht einen solchen Fall, über den ich zu urteilen hatte und den ich vergessen habe“, sagt Jönsson. „Das ist etwas, das ich mit nach Hause nehme und denke: Was für ein Unglück!“

Deshalb sind die Strafen bei tödlichen Radunfällen so milde

Doch im Beruf eines Richters gehe es nicht vorrangig um Betroffenheit. Die Aufgabe sei es, Recht zu sprechen. Und bei keinem Vorfall im Straßenverkehr, der als fahrlässige Tötung angeklagt wird, dürfe strafschärfend bewertet werden, dass jemand zu Tode kam, macht Jönsson klar. „Diese – in jedem Fall fatale – Folge ist juristisch gesehen schon durch die Anklage berücksichtigt worden. Sie macht gerade die Strafbarkeit aus.“

Prozess um tödlichen Kutschenunfall auf Ohldorfer Friedhof
Björn Jönsson ist Direktor des Strafsegments am Amtsgericht Mitte. © picture alliance/dpa | Christian Charisius

In Hamburg ist jüngst der Fall eines tödlichen Unfalls in der HafenCity verhandelt worden, bei dem eine Radfahrerin ums Leben gekommen war. Der Lkw-Fahrer, dessen Fahrzeug die Mutter eines dreijährigen Kindes erfasst hatte, wurde schuldig gesprochen, eine Geldstrafe von 4200 Euro „vorbehalten“ – also gewissermaßen eine „Geldstrafe zur Bewährung“ verhängt. Dieses Urteil wolle er nicht bewerten und kommentieren, sagt Jönsson. „Es reiht sich aber ein in andere Fälle. Es ist ein kein ungewöhnliches Ergebnis, dass man bei fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe kommt.“

Die einen begehen Augenblicksversagen, andere sind Verkehrsrowdys

Bei tödlichen Unfällen im Straßenverkehr, die meist als fahrlässige Tötung angeklagt werden, sehe das Gesetz eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren vor, erläutert der Richter. Damit sei der Strafrahmen für eine fahrlässige Tötung derselbe wie der einer vorsätzlichen Körperverletzung. „Manchen Autofahrern wird vorgeworfen, dass sie ein Augenblicksversagen begangen haben, andere waren offenbar als Verkehrsrowdys unterwegs.“

Vor Gericht müsse ermittelt und beurteilt werden, inwieweit sich der jeweilige Angeklagte „vorwerfbar verhalten hat. Je weniger vorwerfbar eine Tat ist, desto geringer fällt die Strafe aus.“ Überwiegend handele es sich bei Unfällen mit tödlichen Folgen um Unglücksfälle. „Bei den Angeklagten handelt sich nicht um schlechte Menschen, die bewusst Straftaten begehen. Ein Augenblicksversagen ist etwas, was praktisch jedem passieren kann.“

War es „vorhersehbar“, dass etwas nicht gut gehen kann?

Zu orientieren haben sich die Richter unter anderem an einer Maßgabe des Bundesgerichtshofs, der entschieden hat: Bei einer Tat „mittlerer Art und Güte“ solle das Urteil im unteren Drittel des Strafrahmens liegen. Dass bei einer fahrlässigen Tötung die Höchststrafe von fünf Jahren verhängt werde, müsste bedeuten, „dass es keine denkbar schlimmere Konstellation für das Delikt gibt“, so Jönsson – „also dass beispielsweise durch einen besonders rücksichtslosen und im hohen Maße grob verkehrswidrig handelnden Täter eine größere Anzahl von Menschen zu Tode“ komme. „An diese Obergrenze wird man eher nicht kommen.“ Wenn sich die Bürger fragen, warum trotzdem nicht häufiger Freiheitsstrafen verhängt werden: „Das Gesetz sieht vor, dass Freiheitsstrafen, die unter sechs Monaten liegen, im Regelfall zu Geldstrafen umgewandelt werden müssen.“

Dass eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung verhängt werde, komme allerdings durchaus vor. „Das wäre dann der Verkehrsrowdy, dem man verantwortungsloses Fahren nachweisen kann, weil er beispielsweise gerast ist, betrunken war oder Drogen konsumiert hat.“ In solchen Fällen wäre „in gewisser Weise vorhersehbar, dass es nicht gut gehen kann“ – also dass der Autofahrer schon „beinahe billigend in Kauf nimmt, dass jemand anderes durch seine Fahrweise umkommen kann. Das liegt dann schon nahe am Totschlag.“

Dass jemand ins Gefängnis muss, ist eher die Ausnahme

Solche Fälle seien aber sehr selten, wie ein Blick in eine bundesweite Statistik zeige. Im Jahr 2020 wurden demnach in 930 Fällen von fahrlässiger Tötung, 650 davon im Straßenverkehr, Urteile gesprochen, zitiert der erfahrende Amtsrichter. „In 42 Fällen wurde eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung verhängt.“ In Hamburg war vor einigen Jahren erstmals ein Fahrer, der einen Menschen bei einem Unfall am Ballindamm getötet und zwei weitere schwer verletzt hatte, wegen Mordes angeklagt. Und er wurde auch entsprechend verurteilt.

Was in jedem Fall von fahrlässiger Tötung im Straßenverkehr im Prozess festgestellt und bewertet werden müsse: „Wie groß ist die Sorgfaltspflichtverletzung der Person am Steuer? Und liegt womöglich ein Mitverschulden des Radfahrers oder Fußgängers vor, der getötet wurde? Also: Hat sich ein Radfahrer oder Fußgänger womöglich selber verkehrswidrig verhalten, weil er beispielsweise bei Rot über die Straße ging oder der Radfahrer keinen Helm trug?“ Wenn ein Mitverschulden festzustellen sei, müsse das bei der Strafzumessung für den Angeklagten mit berücksichtigt werden.

„Jedes Leben ist im strafrechtlichen Sinne gleichwertig“

„Was ich als Richter und auch normaler Mensch nicht verstehen kann, ist, wenn man sich als Radfahrer gewissermaßen mit einem Lkw ,anlegt‘“, sagt Jönsson. Nach dem Motto: Ich habe es eilig, der wird mich schon sehen. Was für die Allgemeinheit darüber hinaus häufig schwer verständlich sei: Vor Gericht dürfe nicht berücksichtigt werden, was das für ein Mensch war, der zu Tode gekommen ist: „Jedes Leben ist im strafrechtlichen Sinne gleichwertig.“ Der Tod eines Kindes beispielsweise dürfe sich also nicht stärker im Strafmaß auswirken als der eines Menschen im fortgeschrittenen Alter.

Was allerdings in einem Strafprozess sehr wohl zu berücksichtigen sei, betont Jönsson: „Die Verursacher eines so folgenschweren Unfalls sind sich auch im Klaren, dass sie den Tod eines Menschen verursacht haben. Das geht an den Tätern nicht spurlos vorbei. Und sehr häufig wird sehr deutlich, dass auch sie darunter leiden und sich ihr Leben dadurch verändert hat.“ Die Autofahrer wollten weder sich selber noch andere schädigen. Auch wenn jemand wegen einer fahrlässigen Tötung eine Gefängnisstrafe erhalte, werde dies den Unfall und seine Folgen nicht ungeschehen machen.

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Wie man trotzdem zu mehr Sicherheit auf den Straßen kommen könne? Zu begrüßen sei ausdrücklich, dass es für Fahrzeuge und die Menschen am Steuer mittlerweile Techniken gibt, die schwere Unfälle möglichst vermeiden sollen, wie spezielle Spiegel, Sensoren und Abbiegeassistenten, betont Jönsson. „Es ist wichtig, die Sicherheitssysteme der Fahrzeuge noch weiter zu verbessern, damit eine kurze Unachtsamkeit des Fahrers nicht mehr diese schwerwiegenden und fatalen Folgen hat.“