Hamburg. Elterninitiative für längere Schulzeit in Hamburg von Zuspruch begeistert. Wie viele Unterschriften zusammenkamen – und ob das ausreicht.
Drei Wochen lang hat die Elterninitiative „G9 Hamburg – mehr Zeit zum Lernen“ unermüdlich Unterschriften gesammelt. Bis tief in die Nacht waren am Montagabend Stimmen ausgezählt worden. Am Dienstagmorgen stand fest: Es hat nicht gereicht. Rund 45.000 Unterschriften sind für die Rückkehr zur neunjährigen Schulzeit an Gymnasien in Hamburg zusammengekommen. Erforderlich wären rund 66.000 – wobei Initiativen eigentlich immer einen Puffer benötigen, weil einige Unterschriften ungültig sind.
„Wir haben es leider nicht geschafft“, bedauert Sammar Rath, eine der drei Vertrauenspersonen der Initiative. Die Zahl der gesammelten Unterschriften spiegele aber in keiner Weise den Zuspruch wider, den man von Müttern und Vätern sowie auch Lehrkräften auf der Straße erhalten habe. „Dass wir 45.000 Unterschriften zusammenbekommen haben als reine Initiative von Eltern, sehen wir aber als Erfolg – und als klaren Auftrag, weiter politisch für unser Anliegen zu arbeiten“, erklärte Iris Wenderholm, eine weitere Vertrauensperson, am Mittag auf dem Rathausmarkt. „Wir würden es gut finden, wenn die Schulbehörde anerkennt, dass wir mit den 45.500 Unterschriften im Rücken für sie ein Gesprächspartner sind.“
Neun Jahre bis zum Abitur: Initiative erhebt Vorwürfe gegen Schulbehörde in Hamburg
Zugleich erhebt die Initiative gegen eben diese Schulbehörde aber erneut schwere Vorwürfe. „Uns wurden de facto Steine in den Weg gelegt“, sagte Wenderholm. Die Initiative habe an den Schulen nicht über ihr Anliegen informieren und mit Eltern diskutieren dürfen. Bereits zuvor hatte sich die Gruppe beklagt, sie werde von der Schulbehörde ausgebremst, sie sprach von einem „Maulkorb“. Die Eltern kritisierten einen Eingriff in die Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Die Behörde wies dies zurück. Auf Elternabenden und Elternratssitzungen habe über G9 gesprochen werden dürfen. Wegen des Neutralitätsgebots aber könne eine Initiative nicht eigene Veranstaltungen an den Schulen organisieren oder auf dem Schulgelände selbst Unterschriften sammeln.
Schwierig war es für die Elterngruppe auch, so viele ohnehin viel beschäftigte Mütter und Väter zum Sammeln auf die Straße zu bringen, wie es vielleicht notwendig gewesen wäre, um ausreichend Unterschriften zusammenzubekommen. „Diese Ressource war zu klein“, sagt Wenderholm. Man habe aber nicht wie die Initiative „Hamburg testet Grundeinkommen“, die mit ihrem Volksbegehren doppelt so viele Unterschriften holte und erfolgreich war, Helfer für das Sammeln bezahlt, mit einer Aufwandsentschädigung von 15 Euro pro Stunde. Auch ein professionelles Kampagnenbüro habe es nicht gegeben. „Demokratie übers Portemonnaie – das entspricht nicht unserem Verständnis“, so Rath. „Wir standen als Eltern Schulter an Schulter und hatten keinen Sponsor und keine politische Partei hinter uns – wir waren authentisch, wussten beim Sammeln, wovon wir reden, und waren mit Herz dabei.“
Schulbehörde: „Hamburgs Schüler sind Gewinner des Tages“
In der Hamburger Schulbehörde herrscht Erleichterung: „Es ist gut, dass das seit vielen Jahren etablierte, anerkannte und erwiesenermaßen erfolgreiche Hamburger Schulsystem so erhalten bleibt“, sagte Behördensprecher Peter Albrecht. „Die Schulen können sich jetzt weiter auf gute Unterrichtsentwicklung konzentrieren und versinken nicht über Jahre im Organisationschaos, das die G9-Initiative ausgelöst hätte. Hamburgs Schülerinnen und Schüler sind die Gewinner des Tages!“
Die Argumente, für die die Initiative nach eigenem Eindruck viel Zuspruch von Eltern in Hamburg bekommen hat: Gute Bildung brauche Zeit, durch die Verdichtung bei G8 leide die Qualität des Unterrichts, auch hätten Schülerinnen und Schüler weniger Zeit für Hobbys, Interessen und ihre Persönlichkeitsentwicklung. Andere Bundesländer hätten die Schulzeitverkürzung an Gymnasien mittlerweile zurückgenommen – nicht so Hamburg. Das Ziel von G8, Schüler nach dem Abschluss früher in Ausbildung, Studium und Arbeitsmarkt zu bringen, sei ohnehin nicht erreicht worden: Viele von ihnen müssten sich nach dem Abitur erst einmal orientieren und nähmen sich ein freies Jahr („Gap Year“).
Mehr Zeit zum Lernen an Gymnasien in Hamburg – das sind die Argumente der Initiative
Den Initiatoren geht es um Entschleunigung des Schulalltags zugunsten vertiefter Bildung. Und gerade auch der enorme Unterrichtsausfall, bedingt durch Krankheitswellen bei Lehrern, sei in einer neunjährigen Gymnasialzeit besser zu kompensieren als in dicht gedrängten acht Jahren. Wieder einführen wollten die Initiatoren die in der Corona-Zeit etablierte Regelung, wonach Schüler, die nicht mehr mitkommen, Klassen freiwillig wiederholen können. Die Schulbehörde hatte das Sitzenbleiben abgeschafft.
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An der Frage G8 oder G9 scheiden sich die Geister in höchstem Maße. Zwar betrachten die meisten Hamburger Parteien die Verkürzung der Schulzeit an Gymnasien von neun auf acht Jahre, aufwachsend vom Schuljahr 2002/03 an, mittlerweile als Fehler – oder sehen zumindest die vielen Nachteile der Reform, die andere Bundesländer mittlerweile dazu gebracht haben, diese zurückzudrehen. Strittig ist aber, ob es wirklich richtig ist, die Schulstruktur nochmals zu ändern, das Hamburger Schulwesen damit erneut auf Jahre hinaus zu belasten und zur Baustelle zu machen.
Abitur: Warum Schulsenatorin Bekeris die Rückkehr zu G9 in Hamburg ablehnt
Hamburgs Schulsenatorin Ksenija Bekeris (SPD) lehnt die Rückkehr zu G9 ab – unter anderem, weil in Hamburg bereits Stadtteilschulen ein Abitur nach neun Jahren anbieten. Auch würde die Reform zusätzliche Lehrer und Räume erforderlich machen. Allerdings hat Bekeris die Mittelstufe bis zur 10. Klasse kürzlich durch die Streichung von Prüfungen entlastet.
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Bereits vor ziemlich genau zehn Jahren war ein ähnliches Volksbegehren gescheitert: Die Initiative „G9-Jetzt-HH“ wollte 2014 den Kindern an den Gymnasien wieder mehr Zeit zum Lernen geben und die Schulzeitverkürzung auf acht Jahre wieder zurückdrehen. Fast die ganze Stadt diskutierte damals Vor- und Nachteile des längeren Lernens und ob es richtig sei, Schülerinnen und Schülern mehr Raum zu geben für Freizeit, Hobbys, das Erlernen eines Instruments, Sport – insgesamt die Entwicklung ihrer Persönlichkeit ohne zu viel Schulstress.
Doch als die Sammelfrist am 8. Oktober 2014 endete, war schnell klar: Initiatorin Mareile Kirsch war an ihrem Ziel, per Volksentscheid an allen Hamburger Gymnasien die neunjährige Schulzeit zumindest als Option wieder einzuführen, gescheitert. In drei Wochen waren damals nur rund 43.000 Unterschriften zusammengekommen – knapp so viele wie jetzt auch wieder.