Hamburg. Die einen wollen per Volksentscheid ein neunjähriges Gymnasium durchsetzen, die anderen Schule für alle. Beide schreiben an Senatorin.

Mitgründer der Volksinitiative „G9 Hamburg – mehr Zeit zum Lernen“ wehren sich gegen die Kritik, sie schwächten mit ihrem Vorstoß für neun statt acht Jahre bis zum Abitur an Gymnasien die Bedeutung der Stadtteilschulen, an denen G9 gilt. Damit reagieren sie auf einen Brief, den die Hamburger Gruppe des bundesweiten Bündnisses „Bildungswende jetzt“, wie berichtet, an Hamburgs neue Schulsenatorin Ksenija Bekeris (SPD) geschrieben hatte.

Die nach eigenen Angaben 15-köpfige Gruppe aus Schülern, Studierenden, Eltern und Lehrern hatte an Bekeris appelliert: „Bitte verhindern Sie G9 an den Gymnasien, damit die Stadtteilschulen nicht dadurch geschwächt werden, dass die Vielfalt dort abnimmt, weil Familien dem sozialen Sog einer vermeintlich homogenen, leistungsstarken und ,sozialverträglichen‘ Lerngruppe nicht mehr standhalten können.“

Eltern versuchten, „notfalls mit einem Bürgerentscheid, die Bedingungen an Gymnasien nach ihren Vorstellungen zu verändern“, so die Gruppe in Anspielung auf die Initiative „G9 Hamburg – mehr Zeit zum Lernen“. Dabei gebe es diese Zeit bereits an der Stadtteilschule.

Schule Hamburg: Befürworter von G9 an Gymnasien wehren sich gegen Kritik

Die neue Volksinitiative für G9 an Gymnasien war im Januar zustande gekommen, nachdem sie das erforderliche Quorum von 10.000 gültigen Unterschriften erreicht hatte. Drei Mitgründer – die Eltern Sammar Rath, Gunnar Matschernus und Iris Wenderholm – wenden sich nun ihrerseits mit einem Brief an Ksenija Bekeris.

Ihre Initiative habe fast 15.000 Unterschriften in allen Hamburger Stadtteilen gesammelt. „Der Rückhalt in der Bevölkerung ist enorm – viele Eltern, Lehrer und Schulleiter unterstützen unsere Initiative“, schreiben sie. „Wir sind daher entsetzt, mit welcher Rhetorik die ‚Bildungswende jetzt‘ agiert, die bisher keinen messbaren Rückhalt in der Hamburger Stadtgesellschaft vorweisen kann.“ Sie distanzierten sich von den „polemisierenden Aussagen“ und seien „bestürzt über das Vorgehen der Gruppe, keine klare Analyse der Situation anzustreben, sondern auf gesellschaftliche Spaltung zu setzen“.

G9-Unterstützer: Gymnasien haben zu wenig Zeit, um auf Probleme einzugehen

Die Bildungslandschaft habe sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Viele Schülerinnen und Schüler hätten coronabedingte Lernlücken und psychosoziale Probleme; viele Kinder lernten Deutsch erst als ihre Zweitsprache. „Das große Dilemma in Hamburg ist, dass es an den Gymnasien aufgrund der komprimierten Schulzeit weniger Möglichkeiten gibt, auf diese Probleme einzugehen oder sie abzumildern“, so Sammar Rath, Gunnar Matschernus und Iris Wenderholm. „Massive Unterrichtausfälle befeuern die Situation insbesondere an Gymnasien, da hier weniger zeitlicher Spielraum zur Verfügung steht, um Bildungsinhalte nachzuholen oder außerschulische Lernorte einzubinden.“

Zu sagen, die G9-Initiative schwächte die Stadtteilschulen, sei eine „rein ideologisch motivierte Behauptung, die jeglicher Grundlage entbehrt“. In anderen Bundesländern wie dem Saarland, die zu G9 zurückgekehrt waren und die auch auf ein Zwei-Säulen-Modell wie Hamburg setzen, habe es „keine größere Veränderung in der Schülerschaft an den beiden Schulformen“ gegeben. Die G9-Initiative wende sich nicht gegen die Stadtteilschulen, sondern setzte sich ein „für bessere Bedingungen an den Gymnasien“.

Acht Jahre bis zum Abitur: Hamburger Gymnasien kommen an ihre Grenzen

Durch die Umstellung auf acht Jahre bis zum Abitur gebe es an den Gymnasien einen „übervollen Stundenplan“. Mit der geplanten Einführung des Pflichtfachs Informatik würden die Hamburger Gymnasien „vollkommen allein gelassen“; Ex-Schulsenator Ties Rabe (SPD) habe die Verantwortung an die Schulen abgegeben.

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„Bereits jetzt fängt an den Gymnasien die Diskussion an, was gestrichen werden kann: Sport, Musik, Kunst, alles Fächer, die der Persönlichkeitsbildung und sozialen Reifung dienen“, schreiben die Mitgründer der G9-Initiative in ihrem Brief an Rabes Nachfolgerin Ksenija Bekeris. „Wir nehmen bereits jetzt große Unruhe und Frustration an den Gymnasien wahr und fragen uns, warum die Notlage an den Gymnasien – für Lehrer und Schüler – weniger zählen sollte als die an den Stadtteilschulen.“ Es komme jetzt darauf an, „die Situation an den Gymnasien sachlich zu analysieren und nicht Stadtteilschulen und Gymnasien gegeneinander auszuspielen.“

Im Jahr 2014 hatte es bereits die Volksinitiative „G9-Jetzt-HH“ in Hamburg gegeben. Sie hatte eine größere Debatte in der Hansestadt ausgelöst, war letztendlich aber gescheitert.