Hamburg. Mütter berichten von „riesigem“ Zuspruch: Bis 30. September brauchen sie 66.000 Unterschriften. Neun Jahre für vertiefte Bildung gefordert.
Sie stehen in diesen Tagen vor vielen Schulen und Kitas in Hamburg – überall dort, wo sie auf Eltern treffen: Die Initiative „G9 Hamburg – mehr Zeit zum Lernen“ sammelt seit dem 10. September Unterschriften für die Wiedereinführung der neunjährigen Gymnasialzeit in der Hansestadt. „Es läuft super; wir erleben eine riesige Bereitschaft, bei uns zu unterschreiben“, sagt Iris Wenderholm, eine der Vertrauenspersonen der Initiative. „Oft habe ich gar nicht so viele Unterschriftenformulare und Klemmbretter, wie ich gleichzeitig benötige, weil der Zuspruch für unser Anliegen so hoch ist“, ergänzt Sammar Rath, ebenfalls Vertrauensperson.
Bis zum 30. September muss die Initiative rund 66.000 Unterschriften von Hamburgerinnen und Hamburgern zusammenbekommen, damit das Volksbegehren erfolgreich ist und es am 2. März 2025 parallel zur Bürgerschaftswahl zu einem Volksentscheid über die Frage kommen kann, ob Hamburgs Gymnasien wieder von der acht- zur neunjährigen Gymnasialzeit zurückkehren sollen. Diese Entscheidung wäre dann verbindlich.
Initiative bekommt viel Zuspruch für G9: „Sind optimistisch“
Die Initiative „G9 Hamburg – mehr Zeit zum Lernen“ wird von einer Gruppe von Eltern getragen, die ehrenamtlich gerade auf Hochtouren in der Stadt unterwegs ist, um die notwendigen Stimmen zu bekommen. „Oft müssen wir uns Zeit freischaufeln, dann passen beispielsweise Oma und Opa auf unsere Kinder auf“, erzählt Sammer Rath. Ein Problem sei, dass man eben nicht digital abstimmen kann, was viele angesprochene Eltern in der heutigen Zeit kaum glauben können. Jede Unterschrift muss ganz analog und im Original (und nicht auf eingescannten Dokument) vorgelegt werden.
Zahlen zu den bisher gesammelten Unterschriften haben die beiden Initiatoren nicht, denn viele Listen seien noch im Umlauf. „Aber wir sind sehr optimistisch“, sagt Wenderholm. Rund 40 Eltern gehören einer sehr umtriebigen Aktionsgruppe an, insgesamt 140 sind per Mail angebunden. Man sammle in allen Stadtteilen und sei durch die Gruppen dort sehr präsent.
Latein und Physik: Schüler haben dreimal in der Woche bis 16 Uhr Unterricht
Die Reaktionen der Eltern bestätigten Umfragen, wonach eine deutliche Mehrheit sich eine Rückkehr zu G9 wünsche, damit die Kinder mehr Zeit für eine vertiefte Bildung bekämen. Wie überlastet die Schülerinnen und Schüler durch die Verdichtung der Ausbildung mit bis zu 34 Wochenstunden in der Mittelstufe seien, kennen Iris Wenderholm und Sammar Rath aus der eigenen Familie: Die Kinder haben dreimal in der Woche Unterricht bis 16 Uhr und in den letzten Schulstunden dabei noch Latein oder Physik.
Das Argument der Initiative: Gute Bildung brauche Zeit, durch die Verdichtung bei G8 leide die Qualität des Unterrichts, auch hätten Schülerinnen und Schüler weniger Zeit für Hobbys, Interessen und ihre Persönlichkeitsentwicklung. Andere Bundesländer hätten die Schulzeitverkürzung an Gymnasien mittlerweile zurückgenommen – nicht so Hamburg.
Nach der Schule nehmen viele Jugendliche ein „Gap Year“
„Auch die 60.000 Gymnasialkinder in Hamburg haben das Recht auf eine qualifizierte, an Kompetenzen orientierte Bildung, die daneben zudem die psychosoziale Reife und Persönlichkeitsentwicklung in den Blick nimmt“, sagt Rath. Das Ziel von G8, Schüler nach dem Abschluss früher in Ausbildung, Studium und Arbeitsmarkt zu bringen, sei ohnehin nicht erreicht worden: Viele von ihnen müssten sich nach dem Abitur erst einmal orientieren und nähmen sich ein freies Jahr („Gap Year“).
Den Initiatoren geht es um Entschleunigung des Schulalltags zugunsten vertiefter Bildung. Und gerade auch der enorme Unterrichtsausfall, bedingt durch Krankheitswellen bei Lehrern, sei in einer neunjährigen Gymnasialzeit besser zu kompensieren als in dicht gedrängten acht Jahren. Wieder einführen möchten die Initiatoren die in der Coronazeit etablierte Regelung, wonach Schüler, die nicht mehr mitkommen, Klassen freiwillig wiederholen können. Die Schulbehörde hatte das Sitzenbleiben abgeschafft.
Schrisftsteller Saša Stanišić unterstützt Rückkehr zu G9
Unterstützung bekommt die Volksinitiative auch von einigen Prominenten. Beispielhaft sei Schrisftsteller Saša Stanišić genannt, der das Festhalten am G8-System in Hamburg auf Instagram kritisiert: „Kinder, ohnehin vom archaischen Leistungsmessungssystem gestresst, haben für ähnliche Stoffmengen weniger Lernzeit, die Bildungspläne sind vollgepackt, der Druck auf sie immens.“
Hamburgs Schulsenatorin Ksenija Bekeris (SPD) lehnt die Rückkehr zu G9 ab – unter anderem, weil in Hamburg bereits Stadtteilschulen ein Abitur nach neun Jahren anbieten. Auch würde die Reform zusätzliche Lehrer und Räume erforderlich machen. Allerdings hat Bekeris die Mittelstufe bis zur 10. Klasse kürzlich durch die Streichung von Prüfungen entlastet.
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Die Elterninitiative wendet ein, dass die Umstellung auf G9 auswachsend, also nach und nach erfolgen soll und derzeit ohnehin gerade viel Geld in den Schulbau investiert wird, sodass man die Investitionen entsprechend anpassen könne. „Uns ist wichtig, ein Nachdenken darüber anzustoßen, dass vieles an Gymnasien nicht gut läuft, und wir möchten gemeinsam nach einer funktionierenden Lösung suchen“, sagt Iris Wenderholm.
Klar ist: Am 30. September bis Mitternacht müssen die Unterschriften eingereicht werden. „Wir holen fertige Listen zuvor auch gern ab“, sagen die Initiatoren.