Hamburg. Ob neun, elf oder 13 Jahre, zwei Hamburger Expertinnen für haben Tipps für jedes Alter. Was bei Jungs häufig besonders gut ankommt.
- Lesen Mädchen wirklich lieber als Jungs?
- Was bei Jungs geht: Comics. Klassiker wie Asterix, Lucky Luke oder Calvin und Hobbes. Es gibt aber auch spannende neue Reihen
- Eva Lezzis „Die Großstadtdetektive“ ist ein abenteuerlicher und lustiger Großstadtkrimi
Minecraft? Brawl Stars? Nicht nur Eltern von Zehnjährigen kennen diese Vokabeln und erst recht den enormen Sog, der dahintersteckt. Macht ja auch Spaß! Lesen aber auch. Und wie alles, was man selbst liebt, möchte man die eigene Leselust so gern auch an den Nachwuchs weitergeben. Ist nur manchmal nicht so einfach.
Aber aufgeben gilt nicht, wenn man den Kindern trotzdem gern ein Buch unter den Weihnachtsbaum legen möchte – das im Idealfall nicht nur seufzend registriert, sondern auch aufgeschlagen wird. Das begeistert verschlungen wird!
Aber wie ist das eigentlich: Lesen Mädchen wirklich lieber als Jungs? Wie kriegt man lesefaule Jungs zum Buch, ohne dass es sich wie Schule oder Bestrafung anfühlt? Und ganz konkret: Was sind denn nun die jeweils drei besten aktuellen Buch-Tipps für Neunjährige, Elfjährige und 13-Jährige? Haben wir alles zwei pragmatische Hamburger Expertinnen für das Lesen gefragt. Nina Kuhn, Geschäftsführender Vorstand des Hamburger Leseförder-Vereins Seiteneinsteiger e. V., und Seiteneinsteiger-Mitarbeiterin Stefanie Ericke-Keidtel wissen, was Kinder gern lesen. Und finden sowieso: Comics gelten auch.
Fragen wir zum Warmwerden doch mal Klischees und Stereotypen ab: Lesen Jungs genauso gern wie Mädchen? Oder ist da schon die Frage verkehrt?
Nina Kuhn: Ja, Mädchen lesen statistisch noch immer mehr, lieber und länger als Jungs – was manchmal allerdings neben unterschiedlichen Interessen auch mit dem vorhandenen Angebot und einem Mangel an männlichen Lesevorbildern bei den Jungs zu tun hat! Unsere Erfahrung ist: Mit den richtigen Büchern lassen sich Jungen genauso für das Lesen begeistern, es muss nur manchmal etwas mehr ausprobiert werden ...
Stefanie Ericke-Keidtel: ... und die Väter dürfen auch gern mit ran!
Hamburger Expertinnen wissen, was auch Jungs Lust aufs Lesen macht
Lesen Jungs denn anders als Mädchen?
Kuhn: Ja, auch wenn es stereotyp klingt: Jungen mögen oft schnellere, actionreichere Geschichten, Krimis, Abenteuerbücher oder Science-Fiction, während viele Mädchen auch gern sich langsam entwickelnde Geschichten lesen.
Ericke: Wir beobachten, dass Jungs gerne Comics (und Comic-Reihen) lesen. Hier gibt es ja eine tolle Auswahl an Klassikern, die wir Eltern schon gerne gelesen haben wie Asterix, Lucky Luke, oder Calvin und Hobbes, nicht zu vergessen die unzähligen Bände der Lustigen Taschenbücher. Im Comic-Bereich kommen gerade fantastische neue Bücher auf den Markt, interessante Verlage sind hier u. a. Kibitz und Reprodukt. Und viele spannende Comickünstler/-innen für Kinder kommen übrigens aus Hamburg, darunter Isa Kreitz, Patrick Wirbeleit oder Tanja Esch.
Kuhn: Abwechslungsreich gestaltete Sachbücher gefallen Jungs häufig auch – es muss nicht immer der 400-Seiten-Roman sein!
In der Grundschule beginnt – mit Glück – irgendwann das Selberlesen. Was ist ein guter Einstieg, um die Lust auch bei denen zu wecken, die zwar „Harry Potter“ gut finden, aber vor allem die Filme sehen wollen?
Ericke: Es spricht gar nichts dagegen, mit Büchern anzufangen, die auf Filmen basieren oder in deren Welt spielen, denn Kinder freuen sich oft, wenn sie Figuren wiedererkennen.
Kuhn: Generell mögen Kinder gerne Reihen. Noch nicht verfilmt, aber großen Spaß beim Lesen macht zum Beispiel die „Bitte nicht öffnen“-Reihe von Charlotte Habersack für Kinder ab acht.
Ericke: Auch hier lohnt sich der Griff zu Comics, denn diese sind mit ihren Bilderfolgen und schnellen Schnitten Filmen oft viel ähnlicher. Wir lieben die lustigen Reihen „Kiste“ von Patrick Wirbeleit und „Ariol“ von Marc Boutavant und Emmanuel Guibert.
Spätestens mit dem Übergang zur weiterführenden Schule werden Online-Spiele wie „Brawl Stars“ eine heftige Konkurrenz. Und dann?
Kuhn: Eine wirklich riesige Herausforderung, denn nun konkurriert die potenzielle Lesezeit nicht mehr nur mit Netflix und Co., sondern auch mit Gaming und Social Media. Es kann helfen, beides zu verbinden: etwa die Buchreihe zur Lieblingsserie zu kaufen, das Backbuch der Lieblings-Youtuberin, die Biografie des queeren aktivistischen Popstars oder Romane, die das Gaming selbst zum Thema haben – entweder direkt, wie die Minecraft-Bücher oder indirekt wie bei „iBoy“ von Kevin Brooks. Das kann dann wieder ziemlich spannend sein! Ansonsten: Geduld haben, wenn es mal Phasen gibt, in denen das Lesen in der Freizeit keine Rolle spielt. Oft ändert es sich wieder, und ganz ehrlich: Uns Erwachsenen geht es doch auch so.
Aus der Trickkiste: Gemeinsam mit den Kindern lesen und sich dabei abwechseln
Wie verboten auf der nach oben offenen Rabeneltern-Skala ist es, Lesezeit mit Medienzeit zu „erkaufen“? „Wenn du zwei Kapitel liest, darfst du später 15 Minuten länger daddeln“…?
Ericke: Verlockend! Und ja, das kann manchmal auch ein Weg sein, Kinder, die von selbst so gar keine Lust haben, sanft zum Lesen zu zwingen – in der Hoffnung, dass sie dann doch merken, wie toll es ist, in Geschichten einzutauchen!
Kuhn: Eine andere Möglichkeit ist es, sich die Zeit zu nehmen, mit den Kindern gemeinsam Bücher zu lesen, z. B. indem man sich bei jedem Kapitel abwechselt. Bei besonders dicken Büchern freuen sich auch Grundschulkinder noch, wenn ihnen weiter vorgelesen wird. Das Lesen von Büchern sollte im besten Fall Quality-Time sein und keine pädagogisch-uncoole Note erhalten – nach dem Motto „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“. Darum würden wir diese Karte nur in der Not ziehen wollen … (Raben sind übrigens gute Eltern!)
Damit kriegt man lesefaule Jungs: lustige Krimis, coole Comics, Superhelden
Wenn man merkt, dass geschenkte Bücher ungelesen ins Regal wandern – unermüdlich weiterschenken oder irgendwann aufgeben?
Kuhn: Unaufgeregt und zwanglos weiterschenken, und bei der Auswahl der Bücher gerne noch etwas genauer hinschauen, welche Themen das Kind gerade interessiert – und unbedingt auch mal etwas kaufen, was man selbst vielleicht hässlich oder blöd findet. Oder: Bücher auch mal von anderen wie der coolen Cousine schenken lassen, die etwas mehr street credibility haben als die langweiligen Eltern …
Mal ganz konkret für Weihnachten: Jeweils drei coole Buchgeschenk-Tipps für Neunjährige, für Elfjährige und für 13-Jährige?
Kuhn: Für Leserinnen und Leser im Alter von acht oder neun Jahren eignet sich zum Beispiel Eva Lezzis „Die Großstadtdetektive“ (Beltz, Illus sind von Daniela Kohl), das ist ein abenteuerlicher und lustiger Großstadtkrimi, der in einer bunt gemischten 4. Klasse in Berlin spielt: Zwei Jungs unterschiedlicher Herkunft und Religion freunden sich widerstrebend an und kommen dann auch noch einem Handydieb auf die Spur … Außerdem empfehlen wir Dav Pilkeys Comic-Bestseller „Dog Man: Zwanzigtausend Flöhe unter dem Meer“ (Adrian Verlag), eine Geschichte aus den USA rund um den Superhelden Dog Man, der halb Polizist, halb Hund ist und verhindern muss, dass die böseste Katze der Welt die Macht ergreift. Komisch, abenteuerlich und herrlich schräg! Und schließlich, auch ab 8 Jahren: „Der große Wurf“ (Rotfuchs), ein witziger und hintergründiger Comic-Roman über das wahre Leben mit 16 Geschwistern, erzählt von der Hamburger Illustratorin Dunja Schnabel. Ein großer Spaß für die ganze Familie!
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Ericke: Für Jungs ab zehn oder elf eignet sich ein außergewöhnlicher Comic-Roman über einen sympathischen Protagonisten von US-Star Jason Reynolds: „Raúl the Third: Stuntboy“ (Karibu). Portico Reeves ist ein Junge, der sich um vieles sorgt: Die Beziehung seiner Eltern, seine Oma und den fiesen Mobber von nebenan. Doch im Geheimen ist Portico Stuntboy, dessen Superkraft es ist, dafür zu sorgen, dass alle anderen super sind. Außerdem toll: Band drei der erfolgreichen, herrlich gestalteten und mehrfach prämierten „Faszination“-Reihe: „Faszination Haie“ (Leykam). Da nehmen uns Michael Stavarič und Michèle Ganser mit auf Entdeckungsreise, diesmal auf der Spur der Haie – die ebenso gefürchtet wie missverstanden werden. Und unbedingt ausprobieren für lesefaule Jungs: Louie Stowells „Loki: Wie man als schlechter Gott ein guter Mensch wird (oder auch nicht)“. Loki ist ein sehr frecher nordischer Gott. Nach seinem letzten Streich verbannt Odin ihn auf Erde, wo er sich im Körper eines elfjährigen Jungen beweisen muss. Er hat keinerlei göttliche Kräfte, lebt in einer nervigen Familie und muss zur Schule gehen! Das ist eine Buchreihe mit mutigem Witz, typisch britisch, mit vielen Illustrationen. Es gibt drei Bände.
Kuhn: Für Jugendliche ab 13 Jahren empfehle ich den neuen Band einer unterhaltsamen Action-Abenteuerserie von Chris Bradford: „Bodyguard reloaded – Die Entführung“ (cbj). Connor Reeves, ehemaliger jugendlicher Bodyguard, arbeitet nun für den Auslandsgeheimdienst MI6 – und diesmal muss er in Hamburg einen tödlichen Anschlag verhindern … Ganz anders ist der in Tagebuchform verfasste Jugendroman „Kurz vor dem Rand“ (Jacoby & Stuart) von Eva Rottmann. Sie erzählt aus der Sicht der 15-jährigen Ari, einem Mädchen, das mit seinem Vater in einer Hochhaussiedlung lebt und auf dem Skateboard am glücklichsten ist. Ein feinfühliger Coming-of-Age-Roman, ausgezeichnet unter anderem mit dem Jugendliteraturpreis 2024.
Ericke: Und wir hätten da noch einen magisch-realistischen Comic von Kat Leyh: „Snapdragon“ (Reprodukt) erzählt von wahrer Freundschaft, ungewöhnlichen Kräften und dem Anderssein, ausgezeichnet mit dem Leipziger Lesekompass 2024. Einfach ein bisschen ausprobieren!
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