Hamburg. Wettbewerb KLASSEnSÄTZE zeichnet kreative Texte aus. In Hamburger Schulen schlummern überraschende Schreib-Talente.

Wenn der Kreativität von Kindern und Jugendlichen keine Grenzen gesetzt sind, kann Großartiges entstehen. Seit zehn Jahren schreiben Hamburger Schüler bei „KLASSEnSÄTZE“ um die Wette. Die diesjährigen Sieger, von der vierten bis zur zwölften Klasse, wurden im Ernst Deutsch Theater für ihre Texte ausgezeichnet. Das Motto des Wettbewerbs, „durchsichtig“, wurde erstmals von der Jugendjury festgelegt. Damit blieb den Jungschriftstellern viel Raum für Ideen.

  • Die diesjährigen Siegertexte von KLASSEnSÄTZE sind ab dem 20. Juni in voller Länge hier verfügbar.

„Es ist wirklich nicht so spannend, ein Vogel zu sein. Dein Tag ist fast immer gleich. Du fliegst herum, suchst Nahrung, fliegst herum und suchst noch mehr Nahrung.“ Nick Helms besucht die sechste Klasse der Schule Rellinger Straße in Eimsbüttel und ist einer der diesjährigen Landessieger. In seinem Text „Glasklar“ erlebt der Leser die Geschichte aus der Perspektive eines Vogels, der Menschen zwar versteht, selbst aber nicht sprechen kann.

Preis für Hamburger Schüler: „KLASSEnSÄTZE“ zeichnet die besten Texte aus

Durch einen Unfall gerät er in die Obhut eines Jungen „Wieso hatte der Junge mir geholfen? Menschen tun so was nicht. Oder doch? Vielleicht hatte ich mich in Menschen getäuscht? Vielleicht gab es auch nette Menschen, Menschen, die keine skrupellosen Naturzerstörer waren? Der Junge schien einer von denen zu sein.“

„Beim Text gefiel uns besonders, wie gut das Thema aufgegriffen wurde“, heißt es von der Jury. Die weiteren Landessieger sind Julia Papadopoulos (Klasse 4a, Schule Alsterredder), Feo Louisa Staggenborg (Klasse 8, Gymnasium Bornbrook), Ben Eberbach (Klasse 12, Gymnasium Rissen), Zoriana Zaiets (Internationale Vorbereitungsklasse 9, Gymnasium Rissen) und Raja Cardinal (Klasse 10, Deutsch-Französisches Gymnasium). Die Texte wurden von einer Jury, bestehend aus zwölf Jugendlichen und fünf Erwachsenen, ausgewählt. Rund 8000 Schülerinnen und Schüler haben sich in diesem Jahr an dem Wettbewerb beteiligt. Neben den Landessiegern gibt es 83 Schülerinnen und Schüler, die als Schulsieger ausgezeichnet wurden.

Hamburger Schreibwettbewerb soll versteckte Talente wecken

Schulsenatorin Ksenija Bekeris (SPD) dankte den Nachwuchs-Schriftstellerinnen und -Schriftstellern am Mittwoch für ihre Texte. „Sie haben Themen sorgfältig ausgewählt, sie haben sich mit viel Fantasie Geschichten ausgedacht oder ihre Umwelt genau beobachtet und ihre eigenen Erlebnisse, Gefühle und Hoffnungen zu Papier gebracht“, sagte die Schulsenatorin. Durch die Veranstaltung führte Keno Bergholz, Moderator bei Radio Bremen. Der Hamburger Schauspieler Julian Greis las die Gewinner-Texte im Ernst Deutsch Theater vor.

Ziel des Wettbewerbs sei es, möglichst viele Schülerinnen und Schüler zu erreichen und zu fördern. „Der Wettbewerb will nicht nur bestehende Schreibbegeisterung verstärken, sondern auch bisher versteckte Talente wecken“, heißt es vom Verein Seiteneinsteiger. Der in den Unterricht integrierte Wettbewerb läuft in drei Phasen ab: zunächst auf Klassen-, dann auf Schul-, und schließlich auf Stadtebene. Die Gewinner dürfen an einem Schreibworkshop teilnehmen.

Erst seit eineinhalb Jahren in Deutschland: Ukrainische Schülerin erhält Preis

Seit fünf Jahren beteiligen sich auch Internationale Vorbereitungsklassen (IVK) an dem Wettbewerb und können für die Kategorie SprachEinsteiger Texte einreichen. IVKs sind Klassen, die von Schülern besucht werden, die aus dem Ausland kommen und deren Deutschkenntnisse noch nicht für den regulären Unterricht ausreichen. „Die Texte, die uns zu den SprachEinsteigern erreichen, berühren uns oft zutiefst“, sagt Nina Kuhn, Geschäftsführerin des Vereins Seiteneinsteiger. In diesem Jahr wird Zoriana Zaiets ausgezeichnet. Die Neuntklässlerin besucht das Gymnasium Rissen und ist vor eineinhalb Jahren aus der Ukraine nach Deutschland gekommen. Mit dem Text „Schritte unter den Menschen“ konnte sie die Jury überzeugen. Der Siegertext in voller Länge:

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„Ich bin nach Deutschland gekommen. Ich war in den Lagern. Ich verließ den Raum praktisch nicht und lernte allmählich Deutsch. Ich habe 5 Monate gewartet, um zur Schule zu gehen. Dann konnte ich Hamburg voll sehen. Hier sind viele Leute. Sie scheinen sich nicht zu sehen. Die Leute gehen ihrem Geschäft nach. Viele Leute. Ich gehe in die S-Bahn und schwimme durch Leute. Ich kenne niemand, und sie kennen mich nicht. Selbst wenn ich jemanden sehe, der interessant ist, werde ich an der nächsten S-Bahn-Station rauskommen und diese Person vergessen. Die Leute vergessen mich sofort. Ich fühle mich wohl. Warum fühle ich mich ruhig? Ich muss mir keine Sorgen machen, was die Leute über mich denken. Ich kann verschiedene Kleidung tragen, und niemand wird davon erzählen. Hier gibt es viele unterschiedliche Menschen. Deshalb liebe ich diese Stadt und die S-Bahn.“

Erstmals Sonderpreis der Elbautoren für „Das Gespenst der Erinnerungen“

„Uns hat gefallen, wie der Text aufgebaut war“, begründet die Jury ihre Entscheidung. „Der Text war kurz, knapp und verständlich, das fanden wir einfach super“. Außerdem habe man sich gut in die beschriebene Situation hineinversetzen können. Erstmals wird in diesem Jahr ein sogenannter Sonderpreis der Elbautoren verliehen. Die Elbautoren sind eine Vereinigung Hamburger Schriftsteller im Kinder- und Jugendbereich, auch in der regulären Jury sind sie vertreten. Den Siegertext, „Das Gespenst der Erinnerungen“, wurde von Raja Cardinal aus der zehnten Klasse des Deutsch-Französischen Gymnasiums in Lokstedt eingereicht. Es sei eine großartige Geschichte, bei der jedes Wort stimme, heißt es von einem der Elbautoren. Es entwickle sich zu einem Statement gegen Rechtsradikalismus und Hass. Ein Ausschnitt, es spricht das Gespenst:

„Das friedliche Leben, welches ihr einst geführt habt, wird vorbei sein, sobald ich weg bin. Über bleiben wird nur das Chaos, das mich einst erschuf und das ich seitdem versucht habe zu unterdrücken. Es machte eine kurze Pause und verschnaufte. Scheinbar bereitete ihm sogar das Reden große Mühen. Doch ihr Menschen scheint es zu brauchen, um zu erinnern.“

Nina Kuhn: KLASSEnSÄTZE erfreut sich großer Beliebtheit

Der Wettbewerb wurde vor zehn Jahren von dem Lehrer Heiko Reich initiiert. Zusammen mit einem Gremium aus mehr als 30 Lehrerinnen und Lehrern aus Grundschule, Gymnasium und Stadtteilschule hat der Verein Seiteneinsteiger als Träger diesen Wettbewerb im Jahr 2014 konzipiert. KLASSEnSÄTZE erfreue sich großer Beliebtheit, sagt Nina Kuhn. Förderer des Schreibwettbewerbs sind außerdem die Schulbehörde, die Alexander Gruner Stiftung, die Gabriele Fink Stiftung und die Montblanc Kulturstiftung.

Auch im nächsten Jahr sollen Hamburgs Schülerinnen und Schüler wieder um die besten Texte wetteifern. Das Motto werde erneut von der Jugendjury festgelegt. Vor der offiziellen Verkündung sollen Plakate auf das neue Motto hinweisen, sagt Nina Kuhn. Also Augen auf!