Hamburg. In der Barclays Arena liefert der Bestsellerautor Sebastian Fitzek eine große Show ab. Es wurde eine Reise durch die Welt des Grauens.
Der Abschiedssong könnte passender kaum sein. „Stayin‘ Alive“, den Mega-Hit der Bee Gees aus dem Jahr 1977, intoniert die New Yorker A-cappella-Band Naturally 7. „Am Leben bleiben“, das taugt als veritables Motto nach einer Reise durch die Welt des Grauens. Zwei Stunden lehrte Sebastian Fitzek am Sonntagabend in der Barclays Arena 13.000 Fans das Fürchten.
„Ich habe ja eine gewisse Fantasie. Aber ich hätte nie gedacht, dass mal so viele Fans kommen“, sagt der Bestsellerautor zu Beginn gerührt, als er durch die Zuschauerreihen zu seinem Arbeitsplatz schreitet, einer Bühne, die sich um 360 Grad dreht. Schreibtisch und Stuhl sehen aus, als hätte sie der Meister des deutschen Psychothrillers höchstpersönlich aus Eisbrocken gefräst. Um ihn gruppieren sich die sieben A-cappella-Sänger, die zu Fitzeks Gruselwerk stets den passenden Soundtrack liefern.
Sebastian Fitzek auf Tour: In Hamburg sind 13.000 Fans dabei
Fitzek stellt an diesem Abend sein neues Buch „Das Kalendermädchen“ vor. Es geht um eine Mutter, die für ihre elfjährige todkranke Adoptivtochter einen Stammzellenspender sucht. Bei der Suche nach den leiblichen Eltern stößt sie auf eine Mauer des Schweigens – und auf einen ungeheuerlichen Verdacht: Ein Psychopath könne der Vater des Mädchens sein.
Auch mit diesem Thriller, es ist sein 26., hat es Fitzek im Feuilleton nicht immer leicht. Der Kritiker der „SZ“ urteilt, dass sich der Autor ein „hanebüchenes Sprachbild nach dem anderen leistet, auch auf der Plot-Ebene scheint ihm inzwischen alles egal zu sein.“ Seine Schreibe „ignoriere alles, was gute Redakteurinnen und Lektoren ihren Autoren an Schönheit der Sprache zu vermitteln versuchen.“
Ob ihn solche Verrisse noch schmerzen, weiß nur Fitzek selbst. Dafür hat er 19 Millionen Gegenargumente auf seiner Seite, so viele Bücher hat er inzwischen verkauft. Und angesichts des Zuschauerandrangs – auch seine Lesungen in anderen deutschen großen Arenen sind bis auf wenige Resttickets ausverkauft – berauscht sich Fitzek in Hamburg an einer „Buch-Party“, für die er sich nur bedanken könne.
Und selbst sein schärfster Kritiker müsste zugestehen, dass der 53-Jährige („Meine Thriller lesen vor allem Frauen“) eine sensationelle Inszenierung abliefert. Mit einer klassischen Lesung in einer Buchhandlung hat die Fitzek-Show in etwa so viel gemein wie ein Folkduo-Clubauftritt mit einem Taylor-Swift-Konzert.
Videos, Light-Show, Bühne, Sound – alles oberstes Regal bei Sebastian Fitzek
Die Videos, die Light-Show, die Bühne, der Sound – allesamt oberstes Regal. Am Ende hätte sich bei diesem Hightech-Spektakel niemand mehr gewundert, wäre der Autor noch unters Dach der Arena geschwebt. Dazu gönnt sich Fitzek witzige Einspieler, etwa mit einem Video mit Dittsche, der dringend auf Staubsaugerbeutel wartet und stattdessen den neuen Roman von Fitzek geliefert bekommt. Auf herrlich norddeutsch-schnoddrige Art liest Olli Dittrich, selbstverständlich gekleidet im Bademantel, dann den Klappentext vor. Wunderbar auch, wie Fitzek ein Kapitel in Jugendsprache übersetzt, „Digga“ inklusive.
Wer mit so großem Besteck von Stadt zu Stadt zieht, hat naturgemäß jede Menge Fanartikel dabei – von T-Shirts über Aufkleber bis zu Brettspielen. Bücher gibt es selbstredend auch. Wer sich die nach seinen Shows signieren lassen will, muss allerdings darauf hoffen, dass er zu den glücklichen Siegern eines Gewinnspiels zählt. Bewerben kann man sich über ein Handy-Formular, das man sich über den QR-Code auf der Videowand herunterladen kann. Was Fitzek neue Kunden in seine Merchandising-Maschinerie spülen dürfte: Wer mitspielt, muss Name und E-Mail-Adresse eingeben.
Nicht nur Buch-Promotion – Sebastian Fitzek wirbt in Hamburg für Stammzellenspende
Egal. Alle Popstars, zu denen Fitzek längst zählt, setzen auf solches Marketing. Und zur Wahrheit gehört auch, dass sich der promovierte Jurist eine so aufwendige und teure Show leistet, obwohl wahrscheinlich genauso viele Zuschauer kommen würden, wenn er statt mit Nightlinern mit einem Kombi von Arena zu Arena reisen würde, um dort mit preiswert angemieteter Videotechnik ganz klassisch zu lesen. Zudem nutzt der Berliner die Gelegenheit, um für die DKMS zu werben, die Stammzellenspender registriert, letzte Hoffnung für viele Blutkrebspatienten. „Mit dem Erscheinen meines Buchs ist die Zahl derjenigen, die sich registriert haben, signifikant gestiegen“, sagt Fitzek strahlend.
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Am Ende fragt man sich nach dem nächsten großen Ding im Fitzek-Kosmos. Rockt er im kommenden Sommer bei einer Open-Air-Tour gar Stadien wie den benachbarten Volkspark? Springen dann seine Kalendermädchen mit Fallschirmen aus Flugzeugen? Nein, das Gegenteil ist der Fall. Fitzek will zurück zu den Wurzeln, wieder in Buchhandlungen lesen. Ein feiner Zug vom Meister des Grauens.
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