Hamburg. Im Bestseller „Ein anderes Leben“ erzählt die Schauspielerin von der Frau, die man als Kind am wenigsten und am innigsten kennt: Mama.
- Bundesweit bekannt wurde Caroline Peters mit der Serie „Mord mit Aussicht“, jetzt schrieb sie ihren ersten Roman.
- „Ein anderes Leben“ steht auf der „Spiegel“-Bestsellerliste.
- Nicht nur sie hat ein Buch über Mütter und Töchter veröffentlicht – es scheint das Thema der Saison zu sein.
Die Mütter sind dran. Das ist erst einmal wertfrei gemeint. Keine Forderung, kein Urteil, nur eine Beobachtung: Es ist der literarische Herbst der Mutterromane, so viel steht fest, mal sind es liebevolle Abrechnungen, mal kuriose Anekdoten, bisweilen bittere Liebeserklärungen. Gern auch etwas irgendwo dazwischen oder alles zur gleichen Zeit.
„Immer sind die Mütter schuld“, diesen Satz stellte die Schriftstellerin Katja Lange-Müller gerade ihrem bösen Mutter-Roman „Unser Ole“ voran. Aber besonders die schreibende Schauspielzunft fügt sich derzeit zur munteren Mutti-Runde: Der Schauspieler Joachim Meyerhoff legt mit „Man kann auch in die Höhe fallen“ (Kiepenheuer und Witsch) den sechsten Band seiner sprühenden autobiografischen Erinnerungsreihe nach. Diesmal zieht er direkt bei seiner durchaus exzentrischen Mama in Schleswig-Holstein ein, die sogar – Meta! – die Frage beantwortet: „Wie fühlt man sich denn so als Romanfigur?“ „Mal so, mal so“, lautet die achselzuckende Antwort, „aber ich habe mich schon dran gewöhnt.“
Caroline Peters: Die Mütter sind dran! Schauspielerin gelingt mit Debüt ein Bestseller
Die Schauspielerin Anna Brüggemann stellte erst kürzlich mit „Wenn nachts die Kampfhunde spazieren gehen“ (Ullstein) ihren bissigen „Roman über Mütter und Töchter“ beim Hamburger Elb.Lit-Festival vor. Und auch bei der Kollegin Caroline Peters rückt nun jene Frau in den Mittelpunkt, die man als Kind am innigsten und am wenigsten kennt.
Caroline Peters ist eine der bekanntesten (und hinreißendsten) deutschen Schauspielerinnen, in Hamburg gehörte sie lange zum Ensemble des Deutschen Schauspielhauses. Sie spielt am Burgtheater und auf anderen großen Bühnen, ist im Kino („Der Vorname“, „Die Unschärferelation der Liebe“) ebenso erfolgreich wie im Fernsehen („Mord mit Aussicht“), war gleich zweimal Schauspielerin des Jahres – und schreiben, stellt sich nun heraus, kann sie also auch. Und wie.
Bestseller: ein Buch über drei Väter und eine Mutter, doch vor allem ein Mutter-Buch
„Hanna“ heißt die Mutter der Ich-Erzählerin bei ihr, sie ist die Hauptfigur ihres Debütromans „Ein anderes Leben“ (Rowohlt, 240 Seiten, 23 Euro). Ein Buch über gleich drei Väter und nur eine Mutter ist das, und doch vor allem ein Mutter-Buch – über eine Frau, die russische Gedichte übersetzt, nacheinander ihre drei Studienfreunde heiratet und mit jedem eine Tochter bekommt. Auf der Beerdigung des letzten Tochter-Vaters, Papa Bow, der das familiäre Patchworkgefüge lange zusammengehalten hat („Chef auch über die anderen Väter“), ist Hanna schon tot. Aber die Beisetzung ist ein Auslöser, und ihre jüngste Tochter erinnert sich.
An die „schwächlichste aller Verhaltensweisen“ zum Beispiel, die für Hanna Grund zur Verachtung war: „Es so machen wie alle anderen“? Nur das nicht! Für ein Kind, dem Verlässlichkeit naturgemäß erstrebenswert erscheint, eine Herausforderung.
Aber Hanna findet die reale Welt „langweilig“. Sie führt keine Kinderersatzklamotten in praktischen, großen Muttertaschen mit sich, sondern arbeitet in rasanten Stiefeln in einer Unibibliothek. Sie stapft lieber mit leerem Kanister zur Lieblingstankstelle, als die Benzinanzeige der alten Ente endlich reparieren zu lassen. Sie schwärmt dem polnischen Handwerker von den Weiten der russischen Literatur vor und übersieht beim Rezitieren von Gulag-Gedichten rote Ampeln. Eine moderne, stürmische, anmaßende Mary-Poppins-Version. Ungerecht, aber oft lustig.
„Buchstaben sind die besten Freunde, die sicherste Familie“
Das ist die eine, die unkonventionelle Hanna-Seite. Die andere Hanna wandelt sich zur „cremefarbenen Gattin“ mit „Architektengattinnenlesekreisen“, muss trotz eigenen Sendungsbewusstseins stummes Publikum für ihren Mann sein, hat kein Arbeitszimmer, sondern bloß einen Schreibtisch im Flur. Welch eine Kränkung für eine Frau, der Geschriebenes als Lebenselixier dient.
„Buchstaben sind die besten Freunde, die sicherste Familie.“ Ein so poetischer wie grausamer Satz. Wo die eigentliche Familie zwar für Unterhaltung, aber nicht für Halt sorgt, gibt immerhin Sprache Geborgenheit. Eine Strategie, die sich durch die Generationen zieht: Mutter Hanna hatte schon als Kind auf dem Plumpsklo in zurechtgerissenen Garten-Zeitschriften gelesen, die dort für profanere Zwecke bereitlagen. Ihre namenlos bleibende Tochter studiert am Esstisch die vertrauten Bücherrücken des dahinter stehenden Regals, um wenigstens innerlich den mitunter verstörenden Esstisch-Gesprächen zu entrinnen.
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Wie die hellwache Tochter Eifersucht beschreibt, wie sie pointenbegabt die Konkurrenz unter den Schwestern schildert, die pädagogischen Unzulänglichkeiten der Erwachsenen sowohl als herrlichste Marotten als auch als Beschädigung und nicht zuletzt als eine große Freiheit versteht, all das macht diesen Debütroman so besonders.
Caroline Peters gelingt ein vielschichtiges Porträt
Man meint, die Eckigkeit und den eigenwilligen Charme, die Caroline Peters in ihre Rollen zu legen vermag, auch in dem sensiblen Text zu spüren, der zugleich eine furiose Liebeserklärung an die Literatur wie an die Bildung ist (alle Elternteile waren als Studenten Lexikonverkäufer, das ist doch mal originell).
Es ist ein vielschichtiges Porträt, das Caroline Peters hier gelingt. Lebensklug beobachtet und zärtlich notiert, voller Menschlichkeit, dabei schonungslos gegenüber jeder einzelnen Figur (inklusive der Erzählerin selbst). Mit klarem Bewusstsein für Ambivalenzen, Verletzungen und Familiendynamiken, zugleich mit der Bereitschaft zum Verzeihen. Und mit Witz. Mutterwitz, Tochterwitz. Ein feines und am Ende doch tröstliches Durcheinander.
Lesung in Hamburg: Caroline Peters liest am 20. November, 20 Uhr, am Schauspielhaus aus „Ein anderes Leben“, Karten zu 29 Euro unter www.schauspielhaus.de
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