Hamburg. Beim ELB.lit huldigen die Schauspielerin und der Humorist Schriftsteller Wallace. Was bei „Der Spaß an der Sache“ beeindruckte.
Das Deutsche Schauspielhaus ist bekannt für Premieren und Uraufführungen. Aber eine „Weltpremiere“? Als solche gilt die dritte Veranstaltung des internationalen Literaturfests ELB.lit im diesmal nahezu ausverkauften größten deutschen Sprechtheater. Bisher haben Iris Berben und Olli Dittrich weder zusammen gelesen noch zusammen auf einer Bühne gespielt.
Nur vor einem Vierteljahrhundert standen die beliebte Schauspielerin aus Detmold mit Hamburger Apo-Vergangenheit und der in Offenbach geborene, vielfach ausgezeichnete hanseatische Menschen-Darsteller mal gemeinsam vor der Kamera: in der Kino-Komödie „Frau Rettich, die Czerni und ich“. An diesem Sonnabend heißt das Motto „Der Spaß an der Sache“. In jenem Band sind die Essays von David Foster Wallace (1962–2008) zusammengefasst, einer der Vertreter der zeitgenössischen US-Literatur.
ELB.lit im Schauspielhaus Hamburg: Iris Berben und Olli Dittrich huldigen Wallace
„Olli, du gibst!“, spielt Berben Lesepartner Dittrich den ersten Ball zu, nachdem die beiden an ihren Tischen Platz genommen haben. Es geht um „Federer-Momente“. Als Dittrich Wallace‘ Beschreibung des US-Open-Finals von 2005 zwischen dem Schweizer Tennis-Ästheten Roger Federer und US-Star André Agassi rezitiert, wähnt man sich anfangs in der Rubrik „Neues vom Spocht“ von „RTL Samstag Nacht“. Nur dass Wallace, in der Jugend selbst ein halbwegs talentierter Racketschwinger, die Faszination für Federer und dessen Spiel präzise wie kaum ein anderer ausdrücken konnte. Gipfelnd im Fazit: „Tennis im Fernsehen hat mit Live-Tennis so viel zu tun wie Porno mit Liebe.“
Und Porno, genauer den Besuch einer Pornomesse, hat Wallace ebenfalls verarbeitet. Wie der Autor die Begegnung der Konsumenten, ob nun verschämt oder bewundernd, mit ihren Idolen namens „Max Hardcore“ oder „Miss Gang Bang“ beschreibt und Dittrich dies vorträgt, das ist präzise beobachtet und anschaulich mit Augenzwinkern beschrieben. Geschickt binden Berben und Dittrich in der von Lit.Cologne-Gründer Werner Köhler konzipierten Lesung Biografisches von Wallace ein. Das Publikum erfährt von der Alkohol- und Drogenabhängigkeit des US-Autors und dessen Depressionen. Wallace‘ 1100 Seiten starker, extrem verschachtelter Jahrhundertroman „Unendlicher Spaß“ (1996) über die US-Gesellschaft galt lange als ins Deutsche unübersetzbar.
Dittrich liest über Karibik-Kreuzfahrt, auch Iris Berben muss lachen
Auch seine Essays enthalten oft Exkurse und Fußnoten, wie Berben und Dittrich herausarbeiten. Komik und Tragik liegen oft nah beieinander, wenn sie etwa von quiekenden und gemästeten Schweinen liest oder er von einer Karibik-Kreuzfahrt, bei der Autor Wallace Fragen von Novizen zitiert: Wann etwa das „Midnight Buffet“ eröffnet werde? Da muss auch Berben lachen. Und wenn beide bei den „Fußnoten zu Tisch 64“ die Passagiere mit verstellten Stimmen lesen, reist die Zuhörerschaft mit.
Wallace versteht es, seine Erlebnisse fantasievoll auszuschmücken. Und dass sein Text über die Terroranschläge vom 11. September 2001 bis heute zum Intelligentesten zählt, was darüber verfasst wurde, dokumentiert Berben in ihren Lesepassagen: Eindringlich verwebt Wallace Beschreibungen von Fernsehbildern der einstürzenden Twin Towers in New York mit persönlichen Schicksalen.
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Berben und Dittrich fügen eine kleine Story von ihm über die Schilderung von Schadensmeldungen bei Berufsunfällen hinzu. Tragisch-komisch zwar, aber ein runder Abschluss nach gut eineinhalb Stunden. Das Publikum holt die beiden Lesekünstler mit Applaus gleich zweimal zurück auf die Bühne.
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