Hamburg. Die wichtigste Literaturauszeichnung geht 2024 nach Südkorea und an eine Frau, die mit dem Roman „Die Vegetarierin“ bekannt wurde.

Kulturell ist Südkorea, scheint‘s, kaum zu stoppen: K-Pop hat längst die Welt erobert. „Squid Game“ ist eine der erfolgreichsten Streamingserien aller Zeiten, „Parasite“ gewann den Oscar in der Kategorie Bester Film. Und jetzt gibt es auch eine südkoreanische Literaturnobelpreisträgerin. Wie die Schwedische Akademie in Stockholm am Donnerstag bekannt gab, geht die Auszeichnung 2024 an Han Kang.

Und das kann man auch jenseits geografischer Überlegungen nur gut finden. Zuletzt hatten mit Annie Ernaux (2022) und Jon Fosse (2023) eine Europäerin und ein Europäer den Nobelpreis bekommen. Man hätte also darauf wetten können, dass die Jury diesmal weiter in die Ferne schweift. Gefunden hat sie eine Autorin, die in viele Sprachen übersetzt worden ist und auch in Deutschland beileibe keine Unbekannte ist. Hier erscheinen ihre Bücher – im Frühjahr erst der im Original bereits 2011 veröffentlichte Liebesroman „Griechischstunden“ – im Berliner Aufbau-Verlag.

Nobelpreis für Han Kang: Durchbruch mit „Die Vegetarierin“ 2016

Die Bücher von Han Kang zu lesen, das ist immer eine eindringliche Erfahrung. Das ist im Zweifel das höchste Lob, das man einer Schriftstellerin machen kann. In „Griechischstunden“ ist es das Aufeinandertreffen einer nach privaten Schicksalsschlägen sprachlos gewordenen Schülerin und eines erblindenden Lehrers, das zu einer Art Gipfel der Stille wird. In „Weiß“ erinnert sich die Erzählerin an ihre Schwester, die als Baby starb. Und im Roman „Die Vegetarierin“, für den Han Kang 2016 den Man Booker Prize erhielt und der ihren internationalen Durchbruch darstellte, geht es um den Ausbruch einer Frau aus patriarchalischen Strukturen. Sie beschließt, kein Fleisch mehr zu essen, was geradezu radikal gegen gesellschaftliche Konventionen verstößt.

Klingt nach todernster, vielleicht hartleibiger Literatur? Ist es ganz sicher nicht: Han Kang, geboren 1970 in Gwangju, ist eine Autorin, die zu Recht immer für ihren reduzierten, poetischen Stil gelobt wird. Ihre Bücher haben meditative, aber auch surreale und verstörende Momente. Sie sind jedem zu empfehlen, der Haruki Murakami mag. Han Kang erhalte den Nobelpreis „für ihre intensive poetische Prosa, die sich historischen Traumata stellt und die Zerbrechlichkeit des menschlichen Lebens offenlegt“, teilte der Ständige Sekretär der Akademie, Mats Malm, mit. Er kann sicher sein, dass die Akademie eine Autorin ausgewählt hat, die beim Publikum auf Zustimmung stoßen wird.

Nobelpreis für Südkorea: Han Kangs Bücher auf dem Weg der Erleuchtung

Das liegt daran, dass die Themen Han Kangs allgemein und nachvollziehbar sind, selbst wenn es um einen vorderhand fremd anmutenden Helden wie den Bildhauer in „Deine kalten Hände“ geht, der seltsam motivierte Liebesgeschichten erlebt. Bei Han Kang geht es um Einsamkeit, Nähe, Verlust, Suche, Körpererfahrung und Verweigerung. Han Kangs Prosa kann man nachsagen, dass sie nachhallt: Man geht aus ihre Büchern als jemand heraus, der keine Antworten auf die Fragen des Lebens gefunden hat, aber Büchern zugesteht, auf dem Weg zur Erleuchtung für angemessen atmosphärische Erbauung gesorgt zu haben. Han-Kang-Romane laden zu unterschiedlichen Deutungen ein, und diese prinzipielle Offenheit ist attraktiv.

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Mit etwas Übertreibung könnte man sagen, dass Han Kangs Bücher die Art von geistvollem, künstlerischem Entertainment sind, die Tiefe mit Nahbarkeit verbindet. Kompliziert ist an ihnen nichts. Han Kang ist K-Pop, nur halt mit Buchstaben. Sie ist unbedingt eine gute Wahl. Und sie die 18. Frau, die den Literaturnobelpreis erhält und in den vergangenen zehn Jahren nach Swetlana Alexijewitsch (2015), Olga Tokarczuk (2018), Louise Glück (2020) und Annie Ernaux (2022) immerhin schon die fünfte. Die Richtung stimmt also.

Die Preisverleihung mit angeschlossener Gala findet wie immer am 10. Dezember in Stockholm statt, dem Todestag Alfred Nobels. Dotiert ist der Literaturnobelpreis mit knapp 970.000 Euro.