Hamburg. Ein Dialog-Delirium mit Klimaaktivistin und Depri-Mann: „Amor gegen Goliath“ erzählt von Hamburg und Griechenland. Was für ein Ding.
Ach, das wird schön sein für alle mit Vorliebe hamburglokal Lesenden, freut sich der professionelle Vorableser. Da flanieren zwei Romanfiguren am großen Fluss, und ihnen geht es wie uns, immer. Is‘ alles ein absoluter Hamburg-Feelgood-Standard. Strandperle halt: „Dazu ’ne vernünftige Currywurst (pst!), Flaschenbier, Blick auf den Strom: unübertroffen, unübertrefflich“. Hansestadt-Schwingungen, auch vom Wasserlauf hinterlassen auf dem Geläuf. Oder wie es hier heißt: „Der Strandsand ahmte die schuppige Struktur des Elbstroms nach.“
Das ist sehr gut gesagt, und es muss so in einem gelenkigen Wort-Kunstwerk des großen Hamburger Schriftstellers Frank Schulz stehen. Dessen neuer Roman erscheint jetzt, mindestens aus Hamburger Sicht ist er nicht weniger als ein Ereignis. „Amor gegen Goliath“ erscheint satte acht Jahre nach dem bislang letzten Schulz-Roman, und auch der letzte Erzählungsband „Anmut und Feigheit“ ist schon sechs Jahre her. Der Mann ist einer unserer Heimatdichter, wir haben auf dieses Buch gewartet.
Neues Buch aus Hamburg: Der Roman zur Jetzt-Zeit von Frank Schulz
Und, erfüllt es die Erwartungen? Unbedingt! Vielleicht gerade deswegen, weil dieser Roman, der wie einst „Morbus Fonticuli oder Die Sehnsucht des Laien“ selbstbewusst Opus-Magnum-Ambitionen hat, keineswegs ausschließlich in Hamburg spielt. Osnabrück (wo Schulz seit einigen Jahren lebt) und Griechenland sind die beiden anderen literarischen Hotspots. Letzteres folgt einer Tradition im Gesamtwerk, auch der dritte Teil der Hagener Trilogie, mit der Schulz vor vielen Jahren im Sprach- und Beschreibungsrausch die literarische Landschaft betrat, war in Südeuropa angesiedelt. Auch andere Motive, die in „Das Ouzo-Orakel“ zu finden waren, tauchen nun wieder auf. Es ist alles ein Reloaded und doch ganz neu: „Amor und Goliath“ ist der entscheidende Roman zur Jetzt-Zeit.
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Ein wildes Dialog-Feuerwerk, eine radikal und kühn konstruierte Zustandsbeschreibung der Gesellschaft mit kleineren und größeren Aufblendungen der Themen, die seit 2019 über jene hinweggezogen sind oder eher noch hartnäckig über ihr hängen als dunkles Gewölk: Klimakrise und Klimakampf, Rechtsdrall, antidemokratische Proteste (der Reichstagssturm!), Corona und Corona-Schwurbelei, Verschwörungstheorien und die Medienwelt mit ihren Auswüchsen. Wobei man mit den Klimaaktivistinnen und -aktivisten sympathisiert, eh klar: Die Weltenretterin an sich ist ja etwas ganz anderes als der Rechtsausleger. Was Erstere angeht, Cathi Weye ist hier eine der Protagonistinnen, eine Psychologin mit starkem Hang zum Engagement.
Neuer Roman „Amor gegen Goliath“: Tavor, Depression und Eifersucht als Giftmix
Zunächst und weitgehend lernt man sie ausschließlich aus der Perspektive ihres Mannes Ricky Kottenpeter kennen, der in jüngeren Jahren mit seiner Band genau ein Album veröffentlicht hat und nun als Freelancer Werbejingles komponiert. Darüber hinaus ist er bedauerlicherweise ein mental angeschlagener, mindestens neurotischer, wenn nicht psychotischer Typ, der Tavor, Depression und Eifersucht zu einem giftigen Realitätscocktail mischt. Was heißt Realität, der scheint er doch vor allem recht deutlich enthoben. Man meint schnell zu ahnen, dass an Rickys Fremdgehängsten im Hinblick auf seine Frau gar nichts dran ist. Aber weiß man’s?
Im dramatischen und dramatisch präzisen Präsens, in dem der souverän über seinen Stoff verfügende Erzähler Schulz meist von den Geschehnissen über grob drei Jahre berichtet, vollzieht er szenisch die Liebeskrise des Paares (wobei die Ricky-Szenerie vor allem Schlaf- und Wohnzimmer ist) nach, dessen Finale beim Urlaub auf Kreta angepfiffen wird. Dort trifft das Paar aus Osnabrück unter anderem auf den Hamburger Hallodri Philipp Büttner und dessen Verlobte Franzi nebst deren bester Freundin Jette. Beide Frauen haben einen länger schlafenden erotischen Wunsch in Büttner neu entfacht: Endlich mal ein flotter Dreier! Oder wie das heißt.
„Amor gegen Goliath“: Konfusius redet weises Zeug
Das Personal dieses Romans ist bildungsbürgerlich, aufgeklärt und im Falle Büttners arbeitslos. Gut, dass Jette ihm als Chefredakteurin einer Hamburger Intellektuellen-Postille ein paar Aufträge zuschanzt. Der, den Büttner sich selbst gegeben hat, führt an den eingangs erwähnten Elbstrand. Von dort, Höhe Alter Schwede, dem berühmten Granit-Findling in Övelgönne, sendet ein (mindestens in der eigenen Einbildung) weiser Mann namens Konfusius seine rätselhaft mäandernden Lehren in die Welt und wird damit zu einer kleinen Internet-Berühmtheit. Er poltert, so viel ist zumindest grob klar, gegen die Naturzerstörung. Damit liegt er voll im Trend, denn Angst geht gut, sogar sehr gut themenmäßig. Büttner will investigativ die Identität des Mannes enttarnen.
Ricky Kottenpeter ist der konkrete Angstmensch, der sich nicht mehr vors Haus traut. Angst ist jedoch in der Gegenwart der heißen Sommer und Flutkatastrophen ein allgemeines Empfinden, siehe Klimakampf; sie ist auch jenseits jener Figur tatsächlich ein Hauptgegenstand dieses mit 750 Seiten ziemlich dicken Romans. Der ist übrigens dennoch, es ist schließlich ein Roman des satirebegabten Autors Frank Schulz, nicht selten hochkomisch.
Was an der Originalität des Ausdrucks und der Unbarmherzigkeit der urteilenden Instanz liegt. Der Gegen-Ricky Dr. phil. Philipp Büttner ist ein insgesamt zufriedener Womanizer, der dem Leben jeden Lustgewinn abzujagen bereit ist und auf den geistreichen Austausch mit seinem Kumpel Röver oder seiner Auftraggeberin und Telefonsexpartnerin Jette steht. Aber er ist auch im pointierten Spott-Modus unterwegs, wenn er über sich selbst und sein Ungebundenes-in-der-Welt-Sein und manches Andere nachdenkt, meist hat es mit Frauen zu tun. Sein Fazit („Da hockst du nun. Vierundfünfzig Jahre alt, offiziell nach wie vor arbeitslos, null Haus gepflanzt, null Baum gezeugt, null Sohn gebaut. Ein abgehalfterter Kulturhengst. Keine nennenswerten Werke vorzuzeigen und so, wie’s aussieht, nicht mal mehr eine Verlobte“) bezüglich einer nicht abzeichnenden Damen-Pleite ist köstlich. Frauen sind sein Hauptlebensinhalt, da kann man auch mal (nur halb ernst) ins Jammern geraten.
Büttner ist unweigerlich ein Mann seiner Generation, der auf die alten Zoten nicht verzichten will. Was freilich auch für seinen Schöpfer gilt, der geschickterweise eine bremsende Instanz in den solide abgehangenen Jungs- und Tresenhumor einbaut. Denn das theoretische Wissen, was man heute noch sagen sollte, hat auch Büttner: „Eigentlich hat es ihm ja immer gefallen, wenn Frauen auf Pumps mit ihm auf Augenhöhe sind. Oha, den Satz muss er noch einmal überdenken … später; später.“
Wenn man diesen Humor teilt, kann man an „Amor gegen Goliath“ viel gut finden. Was jedoch noch besser wird, wenn man im Verlaufe der Handlung die gemächliche Hinwendung zu weiblicher Perspektive und Selbstermächtigung gewärtigt. Wie es denn ausgeht für den tolldreisten, nach körperlichen Freuden suchenden Frauenhelden Büttner (dem „Homo sexualis aus Eimsbüttel“), sei an dieser Stelle nicht verraten und auch nicht, ob und wie Ricky Köttenpeter seine mentale Dauerproblematik überwindet. Jeder wird bekommen, was er wahrscheinlich verdient.
In sprachlich gewählter Slowmotion-Prosa schildert Schulz nicht allein die Vorgeschichten seiner Helden (die besonders) und seiner Heldinnen (die etwas weniger), sondern auch das Aufeinandertreffen der deutschen Mittelschichtsurlauber in Griechenland, wo es zu ein paar eher harmlosen erotischen Verwicklungen kommt. Die Clique der Mittdreißiger bis Mittfünfziger erhält in der Studiendirektorin im Ruhestand Gammasch noch einen Zugang der etwas anderen, noch älteren Art. Der Autor ist erkennbar an einem personellen Tableau mit Varianzen und Geschichten interessiert.
„Amor gegen Goliath“ von Frank Schulz: Max-Rudolf Römer, Repräsentant des alten Hanseaten-Hamburgs
Zu den Glanzstücken des Romans gehört Büttners Antrittsbesuch bei den Schwiegereltern in spe in Volksdorf. Wo Schulz hin und wieder der geistreichen Kalauerei und dem eigentlich nie störenden Blödelzwang den Vorzug gibt, setzt er weitaus öfter auf die episch ausgebreitete Szene, in der sich etwa Büttners hedonistische zwischenmenschliche Manöver gut studieren lassen. Beim Volksdorfkapitel stellt sich freilich auch das alte Hanseaten-Hamburg vor; in Person des wohlhabenden gewesenen Apothekers Max-Rudolf Römer, dessen Tochter Franzi Büttner, vielleicht tatsächlich, zu heiraten gedenkt.
Aber es gibt dergleichen eminent an Erfahrungswelten und Prägungen interessierte Episoden in großer Zahl in „Amor gegen Goliath“, jenem Roman, der meisterhaft zwischen Komik und tiefem Ernst oszilliert. Es ist in jedem Fall so, dass dieses Buch sein Augenmerk besonders auf das männliche Geschlecht legt. Ricky, der einerseits sein inwendiges Verschwinden übt und andererseits vor Eifersucht zergeht, ist die eine Variante problematischer Männlichkeit, die andere ist der allzu freischwebende Zeitgenosse Büttner. Besonders Letzterer mag die lustige Figur in diesem Erzählstück sein. Aber cooler sind doch die weiblichen Gegenparts, und zwar fast durch die Bank.
„Amor gegen Goliath“ ist das fulminante Comeback des begnadeten Wortsetzers und Figurenausmalers Frank Schulz, der noch weiser ist als sein Elbstrand-Schwafler Konfusius (was redet der da eigentlich?!) und weiß, dass Komik noch kaum einem Roman je geschadet hat.
Frank Schulz stellt seinen neuen Roman auf Einladung des Literaturhauses am 7. September auf der Langen Nacht der Literatur in der Kunsthalle vor, Beginn der Veranstaltung ist 19.30 Uhr. Alle Informationen zur Langen Nacht der Literatur und ihren Veranstaltungen unter www.https://www.langenachtderliteratur.de