Hamburg. Die Hamburger Graphic-Novel-Autorin Yohana R. Hirschfeld thematisiert die jüdische Vergangenheit und den Streit um das Einkaufszentrum.
Dass das Mercado in Altona-Ottensen auf dem Grund eines ehemaligen jüdischen Friedhofs steht, haben heute viele vergessen (oder nie gewusst). Vor etwas mehr als 30 Jahren versetzte der Bau des Einkaufstempels die Stadt jedoch in Aufruhr. Dass für das Gebäude Gräber verlegt werden mussten, rief ultraorthodoxe Jüdinnen und Juden von der Organisation Athra Kadischa auf den Plan. Die Angst vor Gentrifizierung aktivierte zudem das Stadtteilplenum Ottensen. Und für manche Antisemitin und manchen Antisemiten war die Mercado-Diskussion ein gefundenes Fressen.
Jetzt, 30 Jahre später, erinnert ein acht Quadratmeter großes Banner, gestaltet von der Malerin, Videokünstlerin und Graphic-Novel-Autorin Yohana R. Hirschfeld, daran, was sich damals in Ottensen abgespielt hat. Das Motiv könnte nicht passender platziert sein. Es hängt bis zum 27. April direkt am Ort des Geschehens, über dem Marktplatz des Mercado. Die Kunstaktion entstand in Kooperation mit dem Altonaer Museum anlässlich der Sonderausstellung „Glauben und glauben lassen“.
Mercado Ottensen: Yohana R. Hirschfeld arbeitet die Geschichte auf
Hirschfeld, selbst Jüdin, hat nicht nur jenes Motiv, das derzeit im Mercado zu sehen ist, entworfen. Vielmehr ist das Banner als kleiner Auszug aus einem deutlich größeren Werk zum Mercado-Komplex zu begreifen. Denn die Künstlerin hat eine ganze Graphic Novel mit dem Titel „Noemi Delmar. Eine Altonaer Legende“ über die Ereignisse rund um den Bau des Einkaufszentrums erstellt. Zehn Jahre lang hat sie daran gearbeitet, mit Tinte und Aquarell, viel Recherche und Gegrübel.
Hirschfelds Graphic Novel folgt der fiktiven Jüdin Noemi Delmar, die säkular aufgewachsen ist und sich angesichts der Geschehnisse in Altona erstmalig damit auseinandersetzen muss, was ihr der jüdische Glaube überhaupt bedeutet. Für sie entwickelt sich der Bau des Mercado, etwa durch die Konfrontation mit dem radikalen Aktivismus der Athra-Kadischa-Organisation, zu einer tiefer gehenden Beschäftigung mit ihrer eigenen religiösen Identität.
Autobiografische Einflüsse sind da nicht von der Hand zu weisen: Auch für die Künstlerin Yohana R. Hirschfeld, deren Atelier sich heute nicht weit vom Mercado entfernt befindet, wurde die Debatte um das Einkaufszentrum zwischen 1992 und 1994 zu einem Selbstfindungsprozess, erzählt sie. Damals habe sie, die als Jüdin nicht praktizierender Eltern in Bonn aufgewachsen ist, ihr religiöses Ich zum ersten Mal so richtig erfoscht. „Bis zum 30. Lebensjahr habe ich gebraucht, um mich wirklich dafür zu interessieren, dass ich jüdisch bin“ – und heute sei ihre jüdische Identität ein „Lebensthema“, sagt Hirschfeld.
Kulturszene und Nahostkonflikt: „Überrascht hat es mich nicht“
Eigentlich sollte das Banner mit dem Motiv aus Hirschfelds Graphic Novel schon im September im Mercado hängen, erzählt die Künstlerin. Durch die Verzögerung gewinne die Kunstaktion jedoch an Bedeutsamkeit. Schließlich hat die Terrorgruppe Hamas Israel am 7. Oktober angegriffen. „Bei all den Diskussionen, die gerade in der Kulturszene stattfinden, hat es für mich deshalb noch mal einen anderen Geschmack bekommen, damit an die Öffentlichkeit zu gehen“, so Hirschfeld.
„Die Debatte um den Konflikt habe ich aber eingestellt“, sagt sie. „Es gibt zu viele reflexhafte Äußerungen ohne Wissen um die komplexe Situation.“ Dass auch die deutsche Kulturszene sich in Teilen stark gegen Israel stellt, bedauert sie. „Überrascht hat es mich nicht“, sagt Hirschfeld, „aber es trifft einen natürlich trotzdem.“
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Mercado Hamburg: Graphic Novel hat noch keinen Verlag
Wenn sich Hirschfeld an den damals umstrittenen Mercado-Bau erinnert, dann ist sie zufrieden mit dem Kompromiss, der gefunden wurde. Die Gräber, die sich auf der Fläche befanden, seien „respektvoll verlegt“ worden, sagt sie. Auch hält sie die auffällige, große Gedenktafel im Untergeschoss des Mercado für lobenswert. Denn die Tafel verschaffe, ebenso wie ihr eigenes Banner, Sichbarkeit im öffentlichen Raum. „Und Sichtbarkeit führt zu Aufklärung“, sagt die Künstlerin.
Bis Interessierte die Graphic Novel „Eine Altonaer Legende“ vollständig lesen können, dauert es wohl noch ein wenig. Derzeit ist Hirschfeld auf der Suche nach einem Verlag, der das Buch in den Handel bringt. Für Graphic-Novel-Künstlerinnen und -Künstler sei es einigermaßen schwierig, ihre Werke verlegen zu lassen, erzählt sie. Die Künstlerin reist deshalb von einer Fachmesse zur nächsten, um unter Vertrag zu kommen. Offenbar kann das ihrem Optimismus nichts anhaben: Sie arbeitet bereits an einer Fortsetzung der Geschichte.