Berlin. Nachdem sich Preisträger auf der Abschlussgala in Berlin zum Nahostkonflikt geäußert hatten, kämpft das Filmfestival mit Schlagzeilen.

So elitär wie die Filmfestspiele in Cannes sind, so politisch ist die Berlinale. Das ist nichts Neues. Gewissermaßen gehört die politische Dimension zum Markenkern des Filmfestivals. In Berlin werden die Weltpremieren immer auch anhand ihrer inhaltlichen Aussage bewertet. Die Verleihung der Festivalpreise, der Goldenen und Silbernen Bären, wirkt seit Jahren wie ein mal fauler, mal fairer Kompromiss zwischen künstlerischen und ethischen Ansprüchen.

Mit der just zu Ende gegangenen 74. Ausgabe des Filmfestivals jedoch hat die Berlinale den Bogen womöglich überspannt. Schlagzeilen macht schließlich nicht der Gewinnerfilm „Dahomey“, eine Dokumentation über die Rückgabe von Raubkunst, sondern eine Reihe israelkritischer Aussagen, die Gäste der feierlichen Preisverleihung am Sonnabend im Berlinale-Palast am Potsdamer Platz getroffen hatten. Ein Ereignis, das den Vorwurf, die Kulturbranche sei oftmals israelfeindlich, nur weiter unterfüttert.

Antiisraelische Aussagen auf Filmfestival: Wird die Berlinale zur Documenta?

„Die Berlinale geht beschädigt aus diesem Abend hervor“, resümiert der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, gegnüber der Funke Mediengruppe. Er verurteilt die israelkritischen Äußerungen, die internationale Filmteams am Sonnabend bei der Berlinale getroffen hatten. Sie hätten mit ihren Aussagen ihr Gastrecht missbraucht.

Worum es geht: Der amerikanische Regisseur Ben Russell sprach während seiner Dankesrede in einen Palästinenserschal gehüllt von einem Genozid Israels. Und Basel Adra, ein palästinensischer Filmschaffender, äußerte sich während der Preisvergabe für seine Dokumentation „No Other Land“: „Es ist für mich sehr schwer zu feiern, wenn Zehntausende meines Volkes in Gaza gerade durch Israel abgeschlachtet werden.“ Sein israelischer Co-Regisseur Yuval Abraham sprach sogar von „Apartheid“ im Westjordanland. Auch trugen Filmschaffende auf der Bühne das Motto „Ceasefire now“ („Waffenstillstand jetzt“) zur Schau. Völlig unerwähnt blieb hingegen der Angriff der islamistischen Terror-Gruppe Hamas vom 7. Oktober.

Nur kurz nach der Preisverleihung tauchte dann auch noch ein israelfeindlicher Post auf dem Instagram-Kanal der Berlinale-Sektion „Panorama“ auf, von dem sich das Festival umgehend distanzierte. „Der Instagram-Kanal des Panoramas wurde heute gehackt und es wurden Statements zum Nahost-Krieg gepostet, die nicht vom Festival stammen und nicht die Haltung der Berlinale repräsentieren“, teilte die Berlinale am Sonntagabend der Deutschen Presse-Agentur mit. Die Beiträge seien gelöscht worden, auch habe die Berlinale Strafanzeige gegen Unbekannt gestellt.

Kulturstaatsministerin Claudia Roth will Untersuchung der Berlinale-Vorfälle

Kai Wegner, Regierender Bürgermeister Berlins, saß am Abend der Preisverleihung im Publikum. Harte Worte für das, was am Sonnabend geschah, findet er jedoch erst am nächsten Tag auf X (vormals Twitter): „Das, was gestern auf der Berlinale vorgefallen ist, war eine untragbare Relativierung. In Berlin hat Antisemitismus keinen Platz, und das gilt auch für die Kunstszene.“ Er erwarte, dass sich unter der neuen Berlinale-Chefin Tricia Tuttle „solche Vorfälle“ nicht wiederholen. Tuttle übernimmt das Amt im April von einer Doppelspitze bestehend aus Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian.

Kulturstaatsministerin Claudia Roth kündigte am Montag eine Untersuchung der Vorfälle auf dem Filmfestival an: „Gemeinsam mit dem Regierenden Bürgermeister von Berlin, Kai Wegner, und dem Berliner Senat, die mit uns die Verantwortung für die Berlinale tragen, werden wir nun die Vorkommnisse bei der Bärenverleihung aufarbeiten“, so die Grünen-Politikerin. Sie betonte aber, „dass an der künstlerischen Freiheit und Unabhängigkeit der Berlinale nicht gerüttelt werden darf.“

Berlinale distanziert sich von Aussagen während der Preisverleihung

Wie das Filmfestival selbst über die Situation in Nahost befindet, hatte Berlinale-Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek am Sonnabend betont: „Wir fordern Hamas auf, die Geiseln umgehend freizulassen und wir fordern Israel dazu auf, alles erdenklich Mögliche zu tun, um die Zivilbevölkerung in Gaza zu schützen und dafür zu sorgen, dass dauerhaft Frieden in der Region wiederkehren kann.“

Die israelkritischen Äußerungen der Preisträger seien individuelle Meinungen, teilte eine Sprecherin der Deutschen Presse-Agentur mit: „Sie geben in keiner Form die Haltung des Festivals wieder“, sagte sie. „Solange sie sich innerhalb der gesetzlichen Grenzen bewegen, müssen wir sie akzeptieren.“ Eine dezidierte, öffentliche Einordnung während der Preisverleihung hätte der Berlinale jedoch nicht geschadet.

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Berlinale hat „Lektion aus der Documenta nicht begriffen“, sagt israelische Botschafter

„Es scheint, dass die Lektion aus der Documenta nicht begriffen wurde. Unter dem Deckmantel der Rede- und Kunstfreiheit wird antisemitische und antiisraelische Rhetorik zelebriert“, urteilt Israels Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, auf X. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Vergleiche zum Eklat um die Kasseler Ausstellung gezogen werden.

Im Jahr 2022 hatte das kuratierende indonesische Künstlerkollektiv ruangrupa auf der Documenta ein Werk gezeigt, das klar antisemitisch konnotiert war. Damals erhob sich im ganzen Land Kritik an der Ausstellung und die dafür Verantwortlichen. An Kunst denken seitdem viele nur in zweiter Linie, wenn die Documenta fifteen zur Sprache kommt. Es wirkt, als könnte auch die 74. Berlinale vielen Menschen weniger als Kultur- denn als politisches Event in Erinnerung bleiben. Und das nicht, weil sich das Festival zur Eröffnung mühevoll und explizit gegen Rechtsextremismus positioniert hatte.