Hamburg. Fotografie von Nan Goldin, queere Perspektiven, Überlebensstrategien fürs 21. Jahrhundert und eine Aktivistin im Amazonasgebiet.

Das Resümee für 2023 fällt positiv aus: Mit erwarteten 180.000 Besucherinnen und Besuchern zeigten sich Deichtorhallen-Intendant Dirk Luckow und der Kaufmännische Direktor Bert Antonius Kaufmann beim Jahresend-Pressetermin sehr zufrieden. Auch bei den Themen Nachhaltigkeit und Digitalisierung gehe es gut voran, hieß es.

Ein großer Verlust auf emotionaler Ebene sei allerdings zu beklagen: „Mit Harald Falckenberg, der am 6. November gestorben ist, haben wir einen großen, intelligenten, kreativen und witzigen Sammler verloren, der für die Kunstszene in Hamburg und international Motor war“, sagte Luckow. Man wolle die Arbeit in seinem Geist nun weiterführen, es gebe schon drei Projekte, die noch mit ihm zusammen erarbeitet wurden. Die Dauerleihgabe der Sammlung Falckenberg an die Deichtorhallen wurde 2022 erst für weitere zehn Jahre mit der Stadt vereinbart. Daran werde auch nicht gerüttelt, so Luckow.

Kunst in Hamburg: Ab Februar lockt Ausstellung über indigene Welt ins Phoxxi

Bis zum 21. Januar 2024 ist noch die wunderschöne Ausstellung „Works“ von Kathrin Linkersdorff im Haus der Photographie temporär zu bewundern. Ab 20. Februar geht es im Phoxxi weiter mit der Ausstellung „The End of the World“ von Claudia Andujar, „einer herausragenden Fotografin und Menschenrechtlerin“, so Luckow. Die 92-jährige Schweizerin, die als Fotojournalistin nach Brasilien zog, um sich gegen Diktatur und Gewalt zu engagieren, lebte lange Zeit in der indigenen Gemeinschaft der Yanomami im Norden des Landes.

Claudia Andujar: „Floresta amazônica, Pará“ aus der Yanomami Dream Series, 2002.
Claudia Andujar: „Floresta amazônica, Pará“ aus der Yanomami Dream Series, 2002. © Claudia Andujar. Courtesy Galeria Vermelho, São Paulo | Claudia Andujar. Courtesy Galeria Vermelho, São Paulo

In mehr als 60.000 Bildern dokumentiert Andujar dieses Zusammenleben, zeigt darin die Rituale, die Gedanken- und Gefühlswelt der Menschen, in der Spiritualität eine große Rolle spielt. Dieses Geisterhafte erzeugt die Fotografin auch in ihren Aufnahmen, indem sie Farbfilter einsetzt, mit Doppelbelichtungen spielt und ihre Kamera mit Vaseline behandelt. Mit ihrer Arbeit setzt sie sich in der Pro-Yanomami-Kommission (CCPY) für geschützte Gebiete entlang der brasilianisch-venezolanischen Grenze ein; sie wurde zu einer der bedeutendsten Vertreterinnen der künstlerisch-dokumentarischen Fotografie Südamerikas.

Am 7. September startet die Nachfolgerin von Ingo Taubhorn, Kuratorin Nadine Henrichs, im Phoxxi mit einer besonderen Serie durch: Den Auftakt zu „Viral Hallucinations“ macht das in New York lebende Künstlerduo Andrea Orejarena und Caleb Stein. Die wachsende Unsicherheit bei der Unterscheidung zwischen Realität und Fiktion nehmen die beiden zum Anlass für eine fotografische Erkundungstour. Sie reisen an Orte sogenannter „glitches“ (Störungen), die in den USA in sozialen Medien weit verbreitet sind, um Verschwörungserzählungen zu unterfüttern, und dokumentieren diese. Mal ist es ein kaputter Kopf von Abraham Lincoln, der permanent von einer Drohne beobachtet wird, mal ein in der Wüste sich spiegelndes Haus. Das Duo thematisiert damit auch die Rolle der Fotografie in der global vernetzten „Post-Wahrheit-Ära“.

Deichtorhallen Hamburg setzen 2024 auf diverse Ausstellungsthemen

„Dix und die Gegenwart“ wurde aufgrund des großen Erfolgs bis zum 1. April 2024 verlängert. Anschließend wird in der Halle für aktuelle Kunst das visionäre Ausstellungsprojekt „Survival in the 21st Century” (ab 17. Mai) präsentiert. Im Zentrum steht die Frage, wie die Menschen in diesem Jahrhundert (über)leben werden. Indem wir „die Kulturgeschichte, die Welt ganz neu denken“, so der Intendant. Anhand zahlreicher künstlerischer Positionen werden Wege in diese Zukunft erforscht, mit dabei sind Edith Dekyndt, Simon Denny, Paul Kolling, Trevor Paglen und Christoph Schlingensief. Mit diesem Projekt geht das Ausstellungshaus neue Wege und errichtet in der Halle eine „School of Survival“ für Workshops mit Unternehmen und Universitäten zu den Themen Zusammenleben und Zwischenmenschlichkeit. Außerdem wird ein Seminar der HfbK-Professorin Nora Sternfeld in der Ausstellung stattfinden, und es werden Kunstwerke daraus an Schulen ausgeliehen. Mit Hamburger Köchinnen und Köchen sollen „regenerative Menüs“ zubereitet werden, die auf eine nachhaltige Verwendung von Nahrungsmitteln setzen.

Jakob Lena Knebl & Ashley Hans Scheirl: Ausstellungsansicht „Doppelgänger!“,
Palais de Tokyo, 2023/24.
Jakob Lena Knebl & Ashley Hans Scheirl: Ausstellungsansicht „Doppelgänger!“, Palais de Tokyo, 2023/24. © Courtesy of the artists / Aurélien Mole | Courtesy of the artists / Aurélien Mole

In der Sammlung Falckenberg läuft noch bis zum 3. März die große Retrospektive „Anti-Fashion“ von Cindy Sherman. Ab 27. April wird dann eine Entdeckung von Harald Falckenberg gezeigt: Der Sammler hatte das queere Künstlerduo Jakob Lena Knebl & Ashley Hans Scheirl in Bregenz gesehen und für eine Ausstellung in Hamburg vorgeschlagen. In seinen Installationen zwischen Museum und Shopping Center, Cyberspace und Barbapapa-Figuren eröffnet das Gespann eine humorvolle Identitätssuche im Kontext der Konsumgesellschaft. Die Ausstellung „Passage“ ist eine Kooperation mit dem Palais de Tokyo in Paris.

Nan Goldin zu Gast in Hamburg: US-Fotografin sorgt jüngst für Furore

Als „Albrecht Dürer oder auch Caspar David Friedrich der Gegenwart“ bezeichnet ihn Dirk Luckow: Franz Gertsch (1930–2022) zählt heute zu den bedeutendsten Schweizer Künstlern und hat mit seinen Werken in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen neuen Realismus-Begriff geprägt. Seine fotorealistischen Bilder und Holzschnitte spielen mit Abstraktion und Gegenständlichkeit, sie nähern sich der Wirklichkeit an und bleiben doch stets geheimnisvoll. Die erste große Überblicksausstellung in Nordeuropa eröffnet am 12. Dezember in der Halle für aktuelle Kunst. Sie ist eine Kooperation mit dem Louisiana Museum of Modern Art in Humlebæk, Dänemark.

Nan Goldin: „Jimmy Paulette And Tabboo! In The Bathroom“, New York City, 1991.
Nan Goldin: „Jimmy Paulette And Tabboo! In The Bathroom“, New York City, 1991. © Nan Goldin | Nan Goldin

Ebenfalls am 12. Dezember ist Nan Goldin zu Gast am Deichtorhallenplatz. Die US-amerikanische Fotografin sorgt jüngst mit ihrem engagierten Kampf gegen die Sackler-Familie für Furore: Sie prangerte den von Teilen der US-amerikanischen Familie betriebenen Pharmakonzern Perdue Pharma an, der dazu beitrug, Menschen durch die übermäßige ärztliche Verschreibung von Suchtmitteln abhängig zu machen. Die Sacklers unterstützen Kunstinstitutionen in den USA mit großzügigen Spenden. Einige von ihnen hatten sich nach Goldins Aktionen von den Sacklers abgewandt.

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In der Hamburger Ausstellung wird das besondere Verhältnis zu F. C. Gundlach (1926–2021) beschrieben. Rund 100 Arbeiten befinden sich in dessen Sammlung. Goldins Bilder sind eine ungeschönte und dennoch empathische Darstellung von Liebe, Schmerz, Verletzlichkeit und Ekstase bei Freunden und Liebhabern. Dank Gundlach machte die Fotografin erstmals großformatige Abzüge ihrer Diapositive. Die in den späten 1980er- und frühen 1990er-Jahren entstandenen Arbeiten realisierte der Sammler in direkter Zusammenarbeit mit der Künstlerin in seiner Firma PPS in Hamburg im Cibachrome-Verfahren. Die Ausstellung zeigt nicht nur deutlich die pragmatische Förderung der Künstlerin durch den Sammler mittels der Produktion der Prints, sondern auch eine Erweiterung ihrer Präsentationsform, unter anderem für museale und ausstellende Institutionen, aber auch den Kunstmarkt.