Hamburg. Er war Jurist und Unternehmer, aber sein Herz schlug für Künstlerinnen und Künstler – bis kurz nach seinem 80. Geburtstag.
Verabschiedet hat sich Harald Falckenberg schon ein Mal. 1994, mit Anfang 50, ereilte ihn eine „positive Midlife Crisis“, wie er es formulierte: „Kein Golfspiel, keine teuren Reisen. Ich wollte einfach frei sein und in Alternativen denken.“ Nie wieder um acht Uhr morgens geschniegelt im Büro erscheinen, wenn man doch lieber bis nachts in Künstlerkneipen diskutieren wollte. War sein Alltag bis dahin von Konferenzen und Wirtschaftsbilanzen geprägt, widmete er sich fortan einer neuen Leidenschaft: dem Kunstbetrieb mit all seinen Verrücktheiten; er sollte ihn später ein „Haifischbecken“ nennen.
Harald Falckenberg hat sich die Freiheit genommen, verschiedene Leben zu leben. Er war überzeugt davon, dass in jedem von uns mehrere Persönlichkeiten stecken. Nun ist der Ehemann, Vater, Unternehmer, Jurist, Kunstförderer und Sammler im Alter von 80 Jahren in seiner Heimatstadt Hamburg gestorben.
Sein erstes Leben hatte er mit einem Jurastudium in Freiburg, Hamburg und Berlin begonnen und sich nach der Promotion und einer Assistenzstelle an der Universität Hamburg für eine juristische Laufbahn als Mitglied des Hamburger Verfassungsgerichts entschieden. 1979 trat er in die Gummi Ehlers GmbH (heute Elaflex) ein und verdiente als Geschäftsführer ein beachtliches Vermögen mit Tankstellensystemen und Zapfventilen. Mit seiner Frau, der Ärztin Maja Falckenberg, zog er die vier Kinder Isa, Johann, Jenny und Robert groß.
Nachruf: Hamburgs großer Kunstmäzen Harald Falckenberg ist gestorben
Die Zeit der Umorientierung muss anstrengend für den Mann gewesen sein, der es liebte zu erzählen und zu diskutieren. Denn was Falckenberg ab 1994 vor allem tat, war zuzuhören. Sein Lehrmeister war Stephan Schmidt-Wulffen, damals Direktor des Hamburger Kunstvereins. „Wenn er von Konzeptkünstlern und angesagten Kunstströmungen dozierte, verstand ich kein Wort. Also setzte ich mich hin, las und lernte.“ Er lernte, die Kunst zu lieben und zu hassen: „Sie wirft Fragen auf, die wir alle haben, gibt aber keine Antworten. Sie lässt uns einfach nachdenken.“
Überhaupt wurde das Zuhören zu einer der größten Tugenden während seiner neuen Profession: „Wenn ein Künstler über einen anderen Künstler spricht, muss der Sammler die Ohren spitzen.“ Durch Empfehlungen von dem Hamburger Maler Wolfgang Büttner kam er auf Albert Oehlen und Martin Kippenberger; der Amerikaner Mike Kelley riet ihm, statt auf Mainstream lieber auf Avantgardisten wie Öyvind Falström und Paul Thek zu setzen – der Beginn einer Sammlung von Gegenwartskunst, die vom Magazin Artnews heute zu den 200 bedeutendsten Privatsammlungen weltweit gezählt wird.
Anfangs im Pumphaus am Flughafen Fuhlsbüttel untergebracht, zog sie 2001 in die Harburger Phoenix-Hallen, wo sie bis heute auf fünf großzügigen Etagen im Wechsel mit anderen Künstlerinnen und Künstlern präsentiert wird. 2019 gab es eine große Leistungsschau zum 25. Sammlungsjubiläum. Aktuell werden zahlreiche Arbeiten in Verbindung mit einer großen Retrospektive der US-Künstlerin Cindy Sherman gezeigt.
Aufbrausend ein Interview abzubrechen, war für ihn stets eine Option
Der Ruhestand hatte für Harald Falckenberg eigentlich nur auf dem Papier Bestand. 2008 schied er als Elaflex-Geschäftsführer aus, blieb der Firma aber bis zu seinem Tod als Berater verbunden. Traf man ihn zu Hause in seiner Villa in Winterhude, verging kaum eine halbe Stunde, in der er nicht ans Telefon geholt wurde, um Verabredungen oder Entscheidungen zu treffen. Er mochte das: gebraucht werden, gefragt sein, mitmischen, einen Standpunkt haben, auch streitbar sein. Ein Interview spontan abzubrechen, wenn ihn eine Frage aufbrausen ließ, war stets eine Option. Genauso schnell konnte man sich aber auch wieder mit ihm einigen und scherzen; er konnte dann nahezu besänftigend sein. Gut vorstellbar, wie turbulent es mit dem privaten Harald Falckenberg zugegangen sein muss.
Die Kultur des Dagegenseins, des Sich-Auflehnens war es dann auch, in der sich Harald Falckenberg als 50-Jähriger besonders gut widergespiegelt sah. Die sogenannte Counter Culture, die in den 1960er-Jahren als Protest gegen die Generation der Väter von amerikanischen Künstlern wie Mike Kelley und Paul McCarthy hervorgebracht worden war und später auch von europäischen Künstlern als Punk aufgegriffen wurde, bildet bis heute den Schwerpunkt der Sammlung Falckenberg, die als Dauerleihgabe in den Deichtohallen beherbergt ist.
Darunter Martin Kippenberger (den er am wenigsten mochte, mehr lag ihm die Bissigkeit des Klaus Staeck), Jonathan Meese, den er schon früh förderte, mit dem er gerne bis nachts Bier trank und der neben Kelley, McCarthy, Staeck und Büttner zu den wenigen Künstlerfreunden gehörte. „Daddy Cool“ nennt Meese den Mäzen im Gespräch mit Daniel Richter, der ebenfalls in der Sammlung Falckenberg vertreten ist, in der Arte-Dokumentation „Von der Fabrik zur Kunst. Die Sammlung Falckenberg in Hamburg“ (2022); „wenn die Künstler Spaß haben, hat Harald auch Spaß.“
Dass gleichberechtigt daneben auch bedeutende Künstlerinnen wie Astrid Klein, Hanne Darboven und Monica Bonvicini vertreten sind, war dem Kunstförderer wichtig – Frauenquote hin oder her. Es ging ihm stets um die Persönlichkeit eines Künstlers oder einer Künstlerin.
Larissa Falckenberg teilt seine Leidenschaft für Kunst und Literatur
Leben und arbeiten war im Hause Falckenberg unmöglich getrennt voneinander zu betrachten. Die Frau, die ihn durch sein neues Leben begleitete, war auch maßgeblich am Aufbau und an der Betreuung der Sammlung beteiligt. Mit der Amerikanistin Larissa Hilbig war Harald Falckenberg seit mehr als 20 Jahren liiert, am 6. Januar 2022 heirateten die beiden. Sie teilte seine Leidenschaft für Kunst und Literatur, sie behielt die Nerven, wenn sie ihm fehlten. Oft kam es vor, dass sie den Satz beendete, den er angefangen hatte zu denken, wenn er mühsam nach Worten suchte. Wenn er ein Zitat oder eine Passage aus der umfassenden heimischen Fachliteratur brauchte, war es Larissa Falckenberg, die sie fand und ihm zulieferte. Seine bessere Hälfte – das hätte Harald Falckenberg wahrscheinlich zu jedem Zeitpunkt sofort unterschrieben.
Harald Falckenberg hatte Kontakte in die Kultur- und Kulturpolitikszene, er war stets gut informiert über die Themen der Zeit, morgens las er sich beim Frühstück quer durch die Zeitungen der Republik. Nicht selten kam es vor, dass er nach einer Veröffentlichung in der Abendblatt-Redaktion anrief und sagte: „Frau Fengler, was haben Sie denn da geschrieben?“ Man konnte herrlich mit ihm diskutieren, stundenlang, buchstäblich vom Hundertsten ins Tausendste kommen.
Dirk Luckow über den Sammler: „Fabulous-fantastisch, eigenwillig, großherzig“
Und es ist auch ziemlich sicher, dass ihn dieser letzte Text über ihn, den er nun nicht mehr lautstark oder schulterklopfend (das war eine Geste der Anerkennung) kommentieren kann, an irgendeiner Stelle gestört hätte. Denn Falckenberg war selbst leidenschaftlicher Autor, liebte es, in Essays seine Gedanken zu gesellschaftlichen Fragen zu formulieren und großformatige Künstlerbiografien in seinem Verlag Philo Fine Arts herauszubringen. 2019, rechtzeitig zum Sammlungsjubiläum, erschien die dritte Auflage seines autobiografischen Werks „Aus dem Maschinenraum der Kunst. Aufzeichnungen eines Sammlers“.
Zu seinem 80. Geburtstag und auch zum 75. Geburtstag gratulierte ihm die Stadt mit einem Senatsfrühstück. Deichtorhallen-Intendant Dirk Luckow hob damals den „Visionär des Andersdenkens, den bad boy des Sammelns“ hervor: „Fabulous-fantastisch, eigenwillig, großherzig, unkonventionell ist er ein wichtiger Rat- und Impulsgeber für die Deichtorhallen geworden.“ Es war Falckenbergs großer Wunsch, nach vielen Jahren der Dauerausleihe an die Deichtorhallen sein Lebenswerk an die Stadt zu verkaufen.
Dieser Wunsch wurde dem auch sportlich durchaus ehrgeizigen Mann, der es gewohnt war zu kämpfen und zu gewinnen, nicht erfüllt. Aus unternehmerischer Sicht wäre es einträglicher gewesen, die Sammlung versteigern zu lassen. Doch das wollte der überzeugte Hamburger nicht. Als langjähriger Vorstand des Kunstvereins, Förderer der Kunsthalle, Aufsichtsratsmitglied der Deichtorhallen und Professor für Kunsttheorie an der Hochschule für bildende Künste Hamburg (HfbK) prägte er das Kulturleben seiner Geburtsstadt; hier wollte er sein Erbe in guten Händen wissen. Und nicht bei Sammlern auf der ganzen Welt verstreut.
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Dass er „bei seinem Lebenswandel“ nicht uralt werden würde, das hat Harald Falckenberg schon geahnt. Nicht nur beruflich hat er sich viel abverlangt. Auch gefeiert wurde viel und gerne. Wann immer eine Vernissage anstand, konnte man sicher sein, dass dem „offiziellen Teil“ ein illustrer, feucht-fröhlicher Abend bis in die Nacht folgte. Und so klangen die Worte zum 25. Jubiläum seiner Sammlung Ende 2019 nicht wie eine Zäsur, vor der man „Rechenschaft ablegen muss“, so Falckenberg in einem seiner letzten großen Interviews mit dem Hamburger Abendblatt. „Wer älter wird, blickt naturgemäß mehr zurück. Man muss loslassen und sich verabschieden können.“ Das hat er nun endgültig getan.