Hamburg. Kathrin Linkersdorffs Bilder zeigen das Werden und Vergehen in der Natur, ihre wunderschönen Arbeiten sind jetzt im Phoxxi zu sehen.
Ingo Taubhorn hat sich auf seine letzte Ausstellung besonders vorbereitet: Er hat drei Wochen lang Lotosblätter erst gewässert und dann sorgfältig getrocknet, um sie dann, ganz vorsichtig, ins Phoxxi transportieren zu lassen. Dort steht nun eine ganze Wand voller wunderschöner, fächerartiger Lotosblätter, die ihren zarten Duft verströmen und dabei so unwirklich aussehen, dass man sie unweigerlich berühren will (was man aber bitte nicht tun sollte).
Die Wand ist eine Referenz an das Atelier der Berliner Fotokünstlerin Kathrin Linkersdorff, die sich seit ihrem Architekturstudium in Tokio für die japanische Art zu leben und künstlerisch zu arbeiten begeistert. „Works“ heißt, etwas lapidar, ihre Ausstellung im temporären Haus der Photographie. Ihre großformatigen Momentaufnahmen von im Wasser schwebenden Blumen, mal zart lavendelfarben, mal rubinrot, füllen die Räume mit tänzerischer Poesie. Nach 20 Jahren als Kurator an den Deichtorhallen will Taubhorn nun noch einmal die ganze Kraft und Magie des Mediums Fotografie heraufbeschwören.
Phoxxi-Ausstellung: Kathrin Linkersdorff zeigt Liebe zu Blumen und Bakterien
Mit der Ausstellung von Kathrin Linkersdorff, Jahrgang 1966, ist ein großer Wunsch für ihn in Erfüllung gegangen. Der Kurator begleitet ihre Arbeit schon seit Langem und ist fasziniert von ihrem ungewöhnlichen Zugang zur Kunst. Angefangen als Architektin und begabte Zeichnerin, wechselte sie erst später in den Fotografenberuf. Und auch dort fand sie eine spezielle Nische: das Porträtieren von Blumen und Pflanzen. Nicht etwa nur aus dekorativen Zwecken. Kathrin Linkersdorff ist eine Forscherin: „Mich interessiert, wie man Pigmente konservieren und sichtbar machen kann. Für mich sind sie das Symbol für Leben und Seele“, so die Künstlerin bei der Pressekonferenz zu ihrer Ausstellung. Die Basis für ihre Arbeit ist das japanische Prinzip des Wabi-Sabi: die Auffassung, dass Vergänglichkeit und Unvollkommenheit wesentliche und sogar schöne Bestandteile des Lebens sind.
Es ist also das Werden und Vergehen in der Natur, das ihre Arbeit antreibt. Für ihre „Fairies“-Serie sammelt Kathrin Linkersdorff mehrere Monate lang Tulpen und trocknet sie – kopfüber in Behältern und ohne Lichteinfluss, damit die zerbrechlichen Pflanzen nichts an ihrer Farbkraft verlieren. Anschließend extrahiert sie die Pigmente der Blumen und konzentriert sie zu einem natürlichen Farbstoff. Die getrockneten, durchscheinenden Tulpen werden in Wasser getaucht, wo sie ihre Blätter entfalten. Für die Fotografin gilt es dann, den einen entscheidenden Moment zu erwischen, um diesen Tanz der Moleküle einzufangen. In ihren präzisen An- und Aufsichten werden die empfindlichen Strukturen mit ihrem organischen Detailreichtum sichtbar, die sonst für das menschliche Auge verborgen bleiben.
Kathrin Linkersdorff: Fotografin, Forscherin, Chaotin in der „Wunderkammer“
Doch irgendwann wollte die Künstlerin weitergehen. Sie begann, ihre Bilder bei Instagram zu veröffentlichen und forschte nach Studien, die ihr bei der Arbeit mit Pigmenten weiterhelfen könnten. Die Mikrobiologin Regine Hengge von der Humboldt-Universität in Berlin wurde so auf sie aufmerksam. Schnell kamen sie zueinander, die Forscherin besuchte die Fotografin in ihrem Atelier. „Für mich war das eine Offenbarung. Endlich konnte mir jemand erklären, warum sich gewisse Farben entwickeln. Und noch mehr: Regine Hengge schlug mir vor, die Pigmente selbst zu produzieren. So begann ich, mit Bakterien zu experimentieren“, sagt Kathrin Linkersdorff, die mittlerweile Artist in Residence an der Universität ist.
So entstanden ihre neuesten Arbeiten der Serien „Microverse I“ und „Microverse II“, sie sind im oberen Geschoss des Phoxxi ausgestellt. Darin befasst sich Linkersdorff mit biologischen Veränderungsprozessen und Stoffkreisläufen. Entfärbte Erbsen, Peperoni oder Tulpen dienen dabei als Wachstumssubstrat für Bakterien, die darauf mit farbigen Antibiotika und fantasievoller Kolonienbildung reagieren und so zu ganz eigenartigen Kunstwerken mutieren. Auch für sie sei es „jedes Mal überraschend“, was bei diesen Prozessen herauskäme, so die Fotografin, die sich selbst als „Chaotin“ und ihr Atelier als „Wunderkammer“ mit allerlei in Gläsern verschlossenen und in Regalen zum Trocknen lagernden Objekten beschreibt.
Phoxxi-Ausstellung in Hamburg könnte das Image von Bakterien verbessern
Mit ihrer Kunst will Kathrin Linkersdorff auf unsere gesellschaftliche Misere hinweisen, denn nicht der Mangel an Ressourcen sei es, woran wir erkranken, sondern die Masse an Müll, der nicht wiederverwertet wird. Mit ihren „Microverse“-Arbeiten zeigt sie, welche Möglichkeiten ein geschlossener Stoffkreislauf bietet, wozu Bakterien fähig sind, sie macht das komplexe Zusammenspiel von Entstehung, Veränderung und Vergänglichkeit sichtbar. „Vielleicht trage ich auch dazu bei, dass Bakterien ein besseres Image bekommen“, fügt sie lachend hinzu. „Dass wir mit ihnen nicht nur die lästige Erkältung in den Herbst- und Wintermonaten verbinden.“
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Ein komplett abgedunkelter Raum im oberen Stockwerk bietet noch einen besonderen Leckerbissen: Darin werden intensiv leuchtende Blumenbilder wie die Königsberger Tulpe im Dye Transfer Druck präsentiert. Dieses Verfahren, bei dem hochwertige Fine Art Prints in Handarbeit ohne Benutzung eines Druckers oder einer Druckmaschine in kleinster Auflage hergestellt werden, wurde von dem Fotografen F.C. Gundlach entwickelt und wird nur in Hamburg angewendet. Auch damit schließt sich für Ingo Taubhorn, der dem Haus der Photographie stets eng verbunden war, der Kreis.
„Kathrin Linkersdorff. Works“ 27.10.–21.1.2024, Phoxxi (U Steinstraße, Meßberg), Deichtorstraße 1–2, Di–So 11.00–18.00, jeden 1. Do im Monat 11.00–21.00, Eintritt 8,-/5,- (erm.), deichtorhallen.de