Hamburg. Die Shortlists für das „Buch des Jahres“ und das „Sachbuch des Jahres“ sind da. Katrin Seddig ist dabei, jemand anderes nicht.

Sigrid Behrens hat einen Roman über mittelalte Menschen geschrieben, man kann sie sich tatsächlich gut in Hamburg vorstellen. „Eimsbütteler, lest diesen Roman“, schrieb das Abendblatt bei Erscheinen von „Gute Menschen“ und lobte die von der Autorin messerscharf analysierte Geschichte einer Paarbeziehung. „Gute Menschen“ steht nun nicht zu Unrecht auf der Shortlist des Hamburger „Buch des Jahres“.

Schade nur, dass Jasmin Ramadans „Auf Wiedersehen“ auf ebenjener Shortlist wohl zwangsläufig nicht zu finden ist. Ramadan („Soul Kitchen“) hat in diesem Jahr ebenfalls einen Roman über Ü-40-Menschen veröffentlicht. „Auf Wiedersehen“ ist ein schnelles, komisches und tragisches Porträt von Menschen, die glauben, das Beste schon hinter sich zu haben, und von den eigenen Lebensniederlagen geprügelt sind. Schade, gutes Buch; aber die Jury (Sophia Jungmann, Frank Keil-Behrens, Anne Sauer, Frauke Schneider , Nicolai von Schweder-Schreiner) hat anders entschieden.

Literatur-Liste: Beim Hamburger „Buch des Jahres“ gibt es ein Versäumnis

Und im Übrigen zwei nicht ganz verkehrte Finalrunden zusammengestellt in den Kategorien „Buch des Jahres“ und „Sachbuch des Jahres“. Infrage kommen jeweils Autorinnen und Autoren, die in Hamburg leben. Die Romane müssen nicht in Hamburg spielen. Was aber sicher dennoch ganz nett rüberkommt, wenn es denn so ist. Auch geografische Wiedererkennbarkeit kann ein Lektüregewinn sein. Wo wir beim tatsächlichen Makel der Belletristik-Auswahl wären.

Johanna Sebauer gewann den Debütpreis des Harbour Front Festivals. Sie ist auch bei den Hamburger Literaturpreisen nominiert.
Johanna Sebauer gewann den Debütpreis des Harbour Front Festivals. Sie ist auch bei den Hamburger Literaturpreisen nominiert. © Birte Filmer | Birte Filmer

Mirko Bonnés schöner Hamburg-Roman „Alle ungezählten Sterne“ ist irritierenderweise nicht mehr im Rennen. Und wurde schon, das sei ergänzt, beim Deutschen Buchpreis übergegangen, wo man den Titel wenigstens auf der Longlist erwartet hätte. Es ist im übrigen sicher nicht das dicke Lokalkolorit, das „Alle ungezählten Sterne“ zum 2023er-Relevanzroman par excellence macht. Sondern das Thema: Mirko Bonné erzählt vom Unverständnis zwischen den Generationen, von Aktivismus und dem Wunsch, etwas in die Luft zu sprengen. Es ist ein Versäumnis, diesen Roman nicht auf die Shortlist gepackt zu haben.

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Die umfasst fünf Titel insgesamt. Katrin Seddigs starker Roman über eine Familientragödie und eine gewalttätige Frau ist unter ihnen; „Nadine“ wäre ein würdiger Preisträger. Bereits preisgekrönt ist die in Hamburg lebende Österreicherin Johanna Sebauer. Für ihren Roman „Nincshof“, eine auf Skurrilität und trockenen Witz setzende Komödie (Leseempfehlung!), erhielt die 35-Jährige im September den Debütpreis des Harbour Front Literaturfestivals.

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Zudem im Finale sind Till Raether mit seinem Roman über eine Berliner Baulöwin in den 1970ern, „Die Architektin“, und Eva Müllers Graphic Novel „Scheiblettenkind“. Im vergangenen Jahr wurde Claudia Schumachers Debüt „Liebe ist gewaltig“ zum „Buch des Jahres“ gekürt. Sie war die fünfte Preisträgerin. Vorher hatte unter anderen Saša Stanišić die Auszeichnung erhalten.

Literatur Hamburg: Das „Sachbuch des Jahres“ wird erstmals verliehen

Die Kategorie „Sachbuch des Jahres“ – ob man aus dem ursprünglichen „Buch“ künftig lieber einen „Roman des Jahres“ machen sollte? – ist neu in diesem Jahr. Eine gute Idee. Sachbücher sind ein elementarer Bestandteil des Buchgeschäfts, Sachbuchautoren tragen zur Themenvielfalt und zur gesellschaftlichen Debatte in nicht zu unterschätzendem Umfang bei. Beide Kategorien sind mit 8000 Euro dotiert. Ein ordentlicher Betrag, Literaturförderung misst sich gerade an den finanziellen Freiräumen, die sie ermöglicht.

Das Buchcover von „Die Architektin“. Till Raether ist 2023 ebenfalls für das „Buch des Jahres“ nominiert.
Das Buchcover von „Die Architektin“. Till Raether ist 2023 ebenfalls für das „Buch des Jahres“ nominiert. © btb verlag | btb Verlag

Im Premierenjahr des Sachbuchpreises sind Matthias Glaubrecht mit „Die Rache des Pangolin. Wild gewordene Pandemien und der Schutz der Artenvielfalt. Warum wir den Krieg gegen die Natur sofort beenden müssen“, Friederike Heimann mit „In der Feuerkette der Epoche. Über Gertrud Kolmar“, Moshtari Hilal mit „Hässlichkeit“, Kai-Ove Kessler: „Die Welt ist laut. Eine Geschichte des Lärms“ und Dietmar Pieper mit „Zucker, Schnaps und Nilpferdpeitsche. Wie hanseatische Kaufleute Deutschland zur Kolonialherrschaft trieben“ nominiert.

Das „Sachbuch des Jahres“ wird 2023 erstmals prämiert. Dietmar Piepers „Zucker, Schnaps und Nilpferdpeitsche“ gehört zu den Finalisten.
Das „Sachbuch des Jahres“ wird 2023 erstmals prämiert. Dietmar Piepers „Zucker, Schnaps und Nilpferdpeitsche“ gehört zu den Finalisten. © Piper Verlag | Piper Verlag

Hamburger Buch des Jahres: Die Entscheidungen werden im November gefällt

Dass es Moshtari Hilal mit ihrem mit persönlichen Erfahrungen angereichten Essay über die Hässlichkeit in dieses finale Quintett geschafft hat, ist eine gute Wahl. Die Autorin („Bevor ich den Raum betrete, tritt meine Nase ein“) mit afghanischem Hintergrund empfand sich oft als das Gegenteil von schön. Ausgehend von dieser Erfahrung; nähert sich die Künstlerin und Kuratorin der großen Frage, was Schönheitsideale mit uns machen. Ein thematischer Evergreen, dem sich Hilal auf überzeugende Weise widmet.

Moshtari Hilals Essay „Hässlichkeit“ gehört laut der Jury zu den fünf besten Sachbüchern des Jahres.
Moshtari Hilals Essay „Hässlichkeit“ gehört laut der Jury zu den fünf besten Sachbüchern des Jahres. © Carl Hanser Verlag | Carl Hanser Verlag

Gleiches gilt für Friederike Heimanns Biografie der deutschen Dichterin Gertrud Kolmar (1894–1943), in der sie auch das Berlin der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auferstehen lässt. Kolmar wurde in Auschwitz ermordet, dieses Buch erzählt also eine durch und durch traurige Geschichte. Gleiches gilt in einem bestimmten Blickwinkel auch für Dietmar Piepers Studie über den deutschen Kolonialismus. „Zucker, Schnaps und Nilpferdpeitsche“ untersucht die Rolle der hanseatischen Kaufleute beim deutschen Streben nach einem Platz an der Sonne, kommt dabei zu vielen kritischen Urteilen. Und ist, in einem Wort, ein Stresstest für Lokalpatrioten – waren Hamburgs Kaufleute wirklich so segensreich?

Die Entscheidungen über das „Buch des Jahres“ und „Das Sachbuch des Jahres“ werden im November gefällt. Kultursenator Carsten Brosda verleiht die Auszeichnungen am 4. Dezember im Literaturhaus.