Hamburg. „Liebe ist gewaltig“ erzählt von einem Leben mit Narzissten. In ihrem ersten Roman spart Claudia Schumacher nicht an Grausamkeiten.
Die Sprache ist exakt, scharf; und manchmal beschreibt sie, beinahe jedenfalls, lustvoll das ungeheuerliche Geschehen. Man kann dem diese Formulierungen fraglos abgewinnen, zum Beispiel, wenn man eine junge Frau ist und gleichzeitig endfertig und ziemlich wütend. Wenn man anscheinend behütet aufwächst in einer Kleinstadt mit Eltern, die Juristen sind und allen vorspiegeln, wie perfekt doch alles ist. Vier Kinder, hübsch und begabt, Geld ist auch da, ein schönes Haus.
Allerdings ist der Vater ein Gewalttäter. Einer, der verbal und physisch zulangt. Ein Teufel, manipulativ, narzisstisch, heuchlerisch. Claudia Schumachers Debütroman „Liebe ist gewaltig“ handelt von einer verfaulten Jugend und, später, von Versuchen einer jungen Frau, den Prägungen zu entkommen. Die Protagonistin heißt Julia und nennt sich Jules, sie erzählt zunächst als 17-Jährige, wie die Zustände zu Hause sind.
Buchkritik: Schumachers ungeschönte Grausamkeiten
„Die Tür geht auf und Papa kommt rein. Mama und ich ziehen uns zusammen wie billiges Supermarktfleisch in der Pfanne. Wir halten den Blick starr auf den Bildschirm gerichtet, ducken uns in die Kissen. Auch das gehört zur abendlichen Choreografie in der Wagner-Straße 7. Immer dieses Parieren, Funktionieren, Gehorchen, damit das Monster nicht aus dem dünnen Nervenkostüm fährt.“
Ein „Monster“ will man diesen grauenhaften Vater unbedingt nennen, von dessen Innenleben man übrigens nichts erfährt: Seine Psychologie ist beinah gänzlich uninteressant. Obwohl Schumacher, 1986 im Schwäbischen geboren (wo der Roman auch spielt) und seit einigen Jahren in Hamburg lebend, sonst viel an Psychologie liegt. Ihr Thema ist durchaus die Vererbung von Gewalt. Mangelnde Impulskontrolle ist etwas, was auch bei ihrem Lieblingsbruder Bruno auftritt, der mehr vom Vater hat, als ihm lieb sein kann.
Schumacher erzählt von Familien-Terror
Körperlich muss er am meisten einstecken. Schumacher spart nicht an Beschreibungen der Grausamkeiten, die noch häufiger von den Worten ausgehen. „Du hast die schwülstigen Lippen einer Frau, du kleine Tunte“, sagt der Vater einmal. Er konkurriert mit seinen Kindern, er fordert sie, verlangt in Schule und Sport zwar Bestleistungen. Übertreffen dürfen sie ihn aber nicht. Kann man in so einem Haus normal bleiben?
Jules sicher nicht: Anders als ihre ältere Schwester, die sich schnell davonmacht, hält sie den paternalen Terror aus, irgendwie, ist zwischendurch mal in einer Rehaklinik für den Geist, dann wieder daheim. Es ist der Holden-Caulfield-Ton, mit dem sie den Lesenden in scheinbarer Abgebrühtheit die eigene Kaputtheit und die ihrer Eltern erklärt. Die Mutter bekommt ihr Fett noch mehr weg als der Vater, weil sie dessen Untaten deckt und später, wie der Vater selbst, leugnet.
Schumacher: Selbstbewusst und originell
So wütet sie gegen diese Eltern, die sie als „kaputte, scheiternde Narzissten“ bezeichnet, mit einer bösen Dauer-Beschäftigung: „Abfucken, Kinder quälen und sich gegenseitig die Köpfe einhauen“. Eine Erzählerin in Rage, man hört ihr gebannt zu, wie sie von hässlichen Wahrheiten hinter schicken Fassaden kündet.
Und dann ist man in einer anderen Welt, sieben Jahre später, Berlin, Jules ist der Elternhaushölle entkommen und lebt als Mathematik-Doktorandin (damit dürfte sie des Vaters notorischen Ehrgeizbefehl halbwegs angemessen ausführen) und erfolgreiche Gamerin, die wegen Turnierteilnahmen um die Welt reist, unstet: „Es war, als tuckerte mein Leben ungerührt auf offener See herum, während der Captain ausgeknockt im Ikea-Bett liegt“. Ja, so steht das da, man sollte also unbedingt mal etwas über den Formulierungsfuror Claudia Schumachers sagen, die im Hauptberuf (noch?) Journalistin ist. Schumachers Sprachzugriff ist selbstbewusst, ihre bildlichen Vergleiche sind mindestens originell und nur ganz selten zu viel des Guten.
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Der zweite Teil des Romans erzählt eine scheiternde, homoerotische Liebesgeschichte („Sanyu erlöste mich vom Gefühl, eine Amöbe zu sein), aus der Perspektive einer nun 24-jährigen Frau, die noch härter mit sich und der Welt ins Gericht geht. In der Entwicklungsgeschichte, die dieser Roman erzählen möchte, ist die Helferfigur von außen – die große, wahre Liebe, die die traumatische Herkunftsgeschichte überschreibt – plausibel. Und wie diese Liebe zerbricht und Jules zurück im tiefen Tal der einsam Elenden ist, ist eine Heartcore-Erzählung, für die die Autorin einen Ausdruck findet, der nicht alltäglich ist.
Die Herkunftswelt taucht im Fortgang der Handlung noch als Folie auf, mit einem klassischen Setting: Das Familienoberhaupt feiert einen runden Geburtstag, alle Honoratioren der Stadt sind da. Auch die Kinder müssen ihre Aufwartung machen. Es ist alles beim Alten, der schreckliche Vater spielt weiterhin den ehrenwerten Mann, und alle spielen mit. Die einen ahnungslos, die anderen bewusst wegschauend.
Lesund am 8. Juni im Nachtasyl
Die Heldin gerät dann im dritten Teil an einen Mann, der ihrem Vater, wie sie zu spät bemerkt, ähnelt – auch im Hinblick auf dessen Neigung zur Gewalt. Dieser Thilo steht mit einem Male im Mittelpunkt, aus seiner Sicht („Was er da vor sich hatte, war eine Premiumfrau. Ramponiert, das schon, doch dafür bekam er sie für lau“) wird erzählt, von Julia nur noch aus der Distanz. Eine interessante Entscheidung, die nicht zwingend ist. Das mindert der Eindruck von diesem krachenden Debüt aber nicht maßgeblich, das davon handelt, wie hartnäckig frühe Prägungen sind und wie schwer es ist, sich von ihnen zu emanzipieren.
Claudia Schumacher stellt ihren Roman am 8. Juni im Nachtasyl vor, Beginn der Veranstaltung ist 20 Uhr .