Hamburg. Der Autor Dietmar Pieper sieht die alten Hanseaten kritisch. Herausgefunden hat er auch etwas über ihre Körperhygiene. Ein Interview.

Ohne hanseatische Kaufleute hätte es den deutschen Kolonialismus nicht gegeben und damit auch nicht dessen heute mehr denn je im Mittelpunkt stehenden Schattenseiten. Der Hamburger Autor Dietmar Pieper legt, auf dieser gedanklichen Grundlage fußend, nun ein Buch die hanseatische Vergangenheit vor. „Zucker, Schnaps und Nilpferdpeitsche: Wie hanseatische Kaufleute Deutschland zur Kolonialherrschaft trieben“ vermittelt ein exzellentes Bild vor allem des historischen Hamburg – und wird, das lässt sich jetzt schon sagen, ein Hamburg-Buch des Jahres sein.

Was haben Sie gegen die früheren Generationen der Hamburger und Bremer Kaufleute, Herr Pieper? Die haben doch den Grundstein für das Gedeihen der stolzen Hansestädte gelegt.

Dietmar Pieper: Das waren überwiegend hart arbeitende Unternehmer, denen ihr Vermögen nicht in den Schoß gefallen ist – es sei denn, sie haben es geerbt. An ihren Geschäften interessiert mich erstens ganz nüchtern: Wie kamen sie zustande? Wo bewegten sie sich in den kolonialen Netzwerken ihrer Zeit? Außerdem mache ich darauf aufmerksam, dass ihre Geschäftsmodelle immer wieder gegen die eigenen Ansprüche oder das damalige moralische Empfinden verstoßen haben. Und ich wende mich gegen die Glorifizierung, wie sie in der Hamburger Lokalgeschichtsschreibung üblich ist.

In der „Versammlung Eines Ehrbahren Kaufmanns“ sprach der damalige Präses 1822 einen gravitätischen Satz: „Hamburg hat Kolonien erhalten.“ Hatte Hamburg damit sein Sündenregister eröffnet?

Pieper: Da ich nicht moralisieren möchte, spreche ich auch nicht von Sünden. Das Interessante an der Aussage von 1822 ist die Geisteshaltung, die das gesamte Verhältnis zwischen Europa und den kolonisierten Ländern geprägt hat. Hamburg hatte bekanntlich keine Kolonien, betrachtete aber die gerade unabhängig gewordenen Länder Lateinamerikas als Gegenden zweiter Klasse, als Ressourcen, die man jetzt noch besser für sich nutzbar machen konnte.

Vereinfacht könnte man sagen, dass Ihr Buch beschreibt, dass der Kapitalismus nicht nur für Wohlstand, sondern auch für unschöne Hervorbringungen wie Ausbeutung und Sklaverei verantwortlich war. Das ist keine ganz neue These.

Pieper: Ja, der Kapitalismus geht aus dem Kolonialismus hervor. Erfunden wurde er im Grunde auf den Zucker- und Baumwollplantagen und kam von dort nach England, ehe sein globaler Siegeszug anfing. Aber momentan beschäftigen mich diese allgemeinen Fragen nur am Rande. Spannender finde ich die Lebenswege und Entscheidungen von Menschen mit Namen und Gesichtern. Ihnen gebe ich in meinem Buch den breitesten Raum.

Hamburger Kaufleute wie Caspar Voght, dem Sie in Ihrem Buch ein interessantes Kapitel widmen, zeigten zumindest ansatzweise humanitäre Interessen. Wie passt das mit der Sklaverei zusammen, die sie willentlich in Kauf nahmen?

Pieper: Caspar Voght war eine in vieler Hinsicht bedeutende Persönlichkeit, die zu Recht im Hamburger Gedächtnis verankert ist. Erst während meiner Recherchen bin ich allerdings auf seine weniger bekannte Seite gestoßen: Voght war ein Meister der Selbstinszenierung, er wollte als idealistischer Aufklärer und Wohltäter gesehen werden und hat dieses Image durchgesetzt – es hält sich bis heute. Gleichzeitig handelte er als knallharter Geschäftsmann, der die Sklavenarbeit, auf denen sein Reichtum zu einem erheblichen Teil beruhte, vollkommen ausgeblendet hat. Diesen Widerspruch gibt es nicht nur bei Voght, aber bei ihm zeigt er sich besonders krass.

Sie bezeichnen die einflussreichen Hanse-Patrizier als Oligarchen. Wie äußerte sich deren Macht an der Heimatfront in Hamburg? Gab es damals nennenswerte Möglichkeiten oder Bestrebungen, diese in ihrem Handlungsspielraum einzuengen?

Pieper: Vermutlich am deutlichsten hat sich die Macht der führenden Familien in der Hamburger Verfassung niedergeschlagen. Die Bürgerrechte hingen vom persönlichen Besitz ab. Darin war Hamburg erheblich konservativer als das Deutsche Kaiserreich. Zu einer Zeit, als in allen drei Hamburger Reichstags-Wahlkreisen bereits Sozialdemokraten gewählt wurden – einer von ihnen Parteichef August Bebel –, saß noch kein einziger Sozialdemokrat in der Bürgerschaft. Das lag am sehr speziellen Wahlrecht der oligarchischen Handelsrepublik.

Wie groß war das deutsche Kolonialreich? „Der Platz an der Sonne“ war ja schon weitgehend verteilt, als deutsche Großmachtträume um die vorletzte Jahrhundertwende eine gefährliche Dimension annahmen. Hatten die Hanseaten in den Jahrzehnten vorher tatsächlich weltweit einen so großen Wirtschaftsraum zur Verfügung?

Pieper: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erklärte der Chef des Reichskolonialamts: „Deutschland hat das drittgrößte Kolonialreich der Welt.“ Die meisten im Land waren damals sehr stolz auf ihr Imperium. Tatsächlich geht ein großer Teil der deutschen Kolonien auf die Gründungen hanseatischer Kaufleute zurück: Südwestafrika, Kamerun, die Südsee-Gebiete. In Ostafrika hat der Hamburger Kaufmann und spätere Senator Justus Strandes dem selbst ernannten „Konquistador“ Carl Peters die entscheidende Hilfe geleistet. Nur die kleinste und späteste Kolonie in China ging nicht unmittelbar auf die Hanseaten zurück, sondern auf Wünsche der Admiralität. Zum atlantischen Wirtschaftsraum der Hamburger und Bremer Unternehmer gehörten außerdem Brasilien, Chile, die Karibik und Nordamerika. Ja, diese Männer dachten und handelten in großen Dimensionen.

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  • Sie haben viele Selbstzeugnisse und Zeitzeugenberichte studiert. Wie groß war das über wirtschaftliche Belange hinausgehende Interesse der Pfeffersäcke an fremden Ländern?

    Pieper: Es fällt mir schwer, das zu unterscheiden. Im Einzelfall ist das Geschäftliche sicherlich hinter dem privaten Interesse zurückgetreten, das wäre ja nur menschlich. Nehmen wir aber die Kaufleute als Gruppe, dominierte ganz klar der Erwerbstrieb. Darum bekam Hamburg erst sehr spät eine vollwertige Universität. Nicht zufällig ging sie vor hundert Jahren hauptsächlich aus dem Deutschen Kolonialinstitut hervor.

    Die frühe Kaufmannswitwe Emily Ruete war eine sansibarische Sultanstochter, die nach dem Tod ihres Gatten mit ihren Kindern in Deutschland blieb. Wie nahm sie ihre Wahlheimat wahr?

    Pieper: Gerade als Emily Ruete sich in Hamburg einzuleben begann, kam ihr Mann Heinrich bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Danach war ihr die Stadt ziemlich verleidet. In den Briefen, die sie an eine sansibarische Freundin schickte, mokierte sie sich über die gekünstelte Freundlichkeit der Menschen, denen sie begegnete. Oder auch darüber, dass man nach ihrem Eindruck mehr Wert auf saubere Fußböden als auf Körperhygiene legte.

    Wie bewerten Sie den Umgang Hamburgs mit seiner kolonialen Vergangenheit?

    Pieper: Hamburg ist noch etwas verträumt, jedenfalls kommt es mir so vor. Nehmen wir das Unesco-Weltkulturerbe Speicherstadt plus Kontorhausviertel: Ich kenne keinen öffentlichen Hinweis darauf, dass es sich um das bedeutendste Monument unserer Kolonialgeschichte handelt. Hamburg war die Hauptstadt des deutschen Kolonialismus. Nicht weil hier besonders finstere Geschäftspraktiken geübt wurden, sondern weil die größte Hafen- und Handelsstadt Deutschlands zu dieser Rolle bestimmt war. Es hat sich zwangsläufig so ergeben. Aber trotz jahrelanger Bemühungen von Fachleuten und zivilgesellschaftlichen Gruppen wollen das nur wenige Hamburger wahrhaben.

    Was sind die Hamburger zivilisatorischen Leistungen heute Wert?

    Pieper: Wo soll man da anfangen? Hamburg hat seit mehr als hundert Jahren enorm viel für die Lebensqualität seiner Einwohner getan, öffentliche Einrichtungen geschaffen, Parks und Grünanlagen für alle, auf Flächen wie an der Außenalster, die in Privatbesitz waren. Wie weit der Welthandel, in dem Hamburg seit langem einen der zentralen Knotenpunkte bildet, ein Segen für die gesamte Menschheit war und ist, darüber muss sich jeder ein eigenes Urteil bilden.