Glänzendes Comeback: Die Hamburgerin Jasmin Ramadan legt eine harte Story über die mittleren Jahre vor. Übersext und überzeichnet.

„Nach Eimsbüttel zieht man zum Altwerden in Frieden“, heißt es einmal in Jasmin Ramadans furiosem neuen Roman „Auf Wiedersehen“. Jasmin Ramadan? Das ist die, die 2009 die literarische Vorlage von Fatih Akins Film „Soul Kitchen“ veröffentlichte. „Auf Wiedersehen“ ist ihr erster Roman nach sieben Jahren.

Und „Altwerden in Frieden“ in diesem Roman ist nicht wirklich das Thema. Schönheit auch nicht, denn wer älter wird, der bekommt Falten, Wampe, Haarausfall. Am schlimmsten hat es Hendrik getroffen, den blonden Berserker mit den Tattoos, der am Neuen Pferdemarkt halbverfettet unwillige Frauen („Seit wann und warum bist du so eine chauvinistische Ruine?“) anhechelt. Beim Cornern selbstbewusste Dramaturginnen ansprechen: Für einen arbeitslosen Single-Säufer auf ständiger Balztour muss das im Fiasko enden. Hendrik, der Tragöde mit Lust an der Selbstvernichtung, steht später besoffen an der Elbe. Gefährliches Terrain.

Jasmin Ramadans Roman „Auf Wiedersehen“: Sex beim ersten Tinder-Date

Es ist ja übrigens alles Fiasko hier, denn „Auf Wiedersehen“ ist ein irre hartes Buch über die mittleren Jahre. Vier Männer und vier Frauen, die die 40 weit überschritten haben, führen ihre Midlife-Malaisen auf – und Jasmin Ramadan, die scharfsinnige und rasante Erzählerin, die Meisterin des szenischen, dialogischen Schreibens, findet dafür eine enorm unterhaltsame Form.

Ihre Figuren sind allesamt überzeichnet, was sie nicht weniger wahrhaftig macht. Zum Beispiel Marlene, die angepasste Juristin, die aus ihrem Hausfrau-und-Mutter-Käfig ausbricht. Sie tindert dann; durchaus erfolgreich, die Neubekanntschaft Jupiter (nur junge Schanzen-Götter heißen so) hat Sex mit ihr beim ersten Date in einer Bar. Es ist derselbe Abend, an dem Verica einen Notruf an die Peergroup absetzt, weil ihr Ex schon länger verschwunden ist – eben jener Hendrik, der als blamabler Proll in der Gruppe immer unbeliebt war.

Jasmin Ramadan: Ein Feuerwerk engagierter Figurenrede

Hendriks Schicksal ist ein Spannungselement dieser großen Erzählung über alte Traumata und neue Anfänge. Den anderen Rahmen gibt ein Jahrzehnte zurückliegender dramatischer Kreta-Trip der in der Erzählgegenwart entfremdeten Jungstruppe Ben, Linus und Mats vor. Damals war es Mats’ jüngerer Bruder Milan, der auf dem Weg zu einem Rendezvous war und danach nie mehr gesehen wurde.

Im Fortgang der Handlung gibt es das Comeback ihrer Freundschaft – anlässlich eines Kreta-Revivals. Da hat Ramadan in einem Feuerwerk aus engagierter Personenrede – Wut, Zynismus und Desillusionierung sind das, was die Figuren antreibt –, Szenen- und Perspektivwechseln und Humor bereits ein Biografie-Update des Trios vorgenommen.

Roman „Auf Wiedersehen“: „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ mit Ramadan-Schliff

Linus wurde von Marlene verlassen und will nicht von ihr lassen. Mats hat Nikki verlassen und ist mit der viel jüngeren Influencerin Tula nach Berlin gezogen. Status: Mit dem immerhin sexuell willfährigen Junggemüse gibt’s auch kein Glück. Werbefilmer Ben wiederum ist von der Schriftstellerin Leila verlassen worden – sie hat zwei Gespielen gleichzeitig, er kifft sich die Birne zu und imaginiert die tote Mutter, als Wiedergängerin sitzend auf dem Badewannenrand.

Große Gefühle und neue oder wieder aufflammende Leidenschaften – klingt nach „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“? Sagen wir so, der Stoff wäre tatsächlich gut verfilmbar. Trotzdem ist „Auf Wiedersehen“ wenn schon Soap, dann mit dem Ramadan-Schliff, also smart aufs womöglich wiedererkennbare Befinden einer ganzen Generation gepolt. Beunruhigende Diagnose: Eigentlich gehört in diesem Roman ganz Hamburg in Therapie.

Was das angeht, ist die zupackend psychologische Backstorys ausbreitende Autorin Ramadan clever genug, das Thema „Seelendeutung“ als bescheidwisserische Überreflexion des eigenen Gewordenseins explizit in die Handlung zu integrieren. Der notorische Womanizer Ben („Er liebte nicht mehr, er war auf Liebe“) erklärt der Psychotherapeutin analytisch sein Leiden am Lieben, nicht sie ihm.

Literatur, die so überkonstruiert wirkt, dass sie schon wieder gut ist

Schwache Mutter, untreuer Vater – der in seiner Kindheit deformierte Ben will Frauen erst „beschmutzen“ und dann, dass sie sich von ihm abwenden. Reihenweise. Nur Leila, die amouröse Hypernova, will er unbedingt zurückhaben. Eloquent sind die Figuren übrigens alle. So kommt es, dass auch Nikki, der Star einer Soapopera (Ramadan hat eine Schwäche für die Metaebene), enorm Tiefgründiges zu äußern imstande ist.

„Auf Wiedersehen“ ist überpsycho, übersext und überzeichnet. Und so konstruiert, dass es schon wieder gut ist. Wenn die Jugend lange her und im Schaufenster des zukünftigen Lebens kaum noch Auslegeware ist, fangen die Krisen an. Nikki verliert ihre Rolle in der TV-Serie, weil sie zu alt für die Femme fatale ist. Anders als Marlene, Leila und Mats sucht sie Erlösung nicht in erotischen Eskapaden, sondern im Schöpferischen: Sie schreibt ein Drehbuch.

Was Ramadan die Möglichkeit gibt, einen kleinen Teil der Handlung nach Cannes zu verlegen; Nikki trifft Filmleute an der Côte d’Azur. Die Männer lecken derweil ihre Wunden an der Strandbar in Griechenland. Bevor sie alle das Tröstende im Älterwerden finden, bevor wieder zusammenkommt, was zusammengehört, muss larmoyant die Trauer über die Verluste im Identifizieren des Gegners kanalisiert werden. „Wir haben alles verloren, Jugend, die besten Frauen, unseren gesunden Narzissmus“, sagt der so entschlossen scheinkluge Ben da. Und Linus antwortet: „Ach, die Jugend, scheiß auf die Scheißjugend.“

Jasmin Ramadan: „Robert Habeck ist irgendwie echt hot“

Nicht alle Figuren sind scharf gestellt, vielleicht ist auch nicht jeder Twist überzeugend – der vor die Hunde gehende, seine Würde im Nachtleben verlierende Barbar stammt eigentlich aus stinkreichem Harvestehuder Elternhaus, tatsächlich?

Aber es ist maximal erfrischend, wie beherzt Ramadan auch, was die Hamburger Milieus angeht, aus dem Vollen schöpft. Der feine Spott, mit dem Ramadan ihre Heldinnen und Helden betrachtet, schließt grundlegende Sympathie nicht aus. Schließlich ist die 1974 geborene Autorin parteiisch und dabei auch ganz unsubtil gemein.

Nikkis Mitbewohnerin Liese (kaum über 20, mag ältere Männer: „Robert Habeck ist irgendwie echt hot“) kommt noch einigermaßen gescheit daher. Aber die Influencerin Tula, auch kaum über 20, also wie Liese eine Repräsentantin des neuesten Zeitgeists? Im Urlaub mit Mats, dem viel Älteren, tun sich Gräben auf: „Ein Zimmer des Appartements hatte Tula sich als Yoga-Raum eingerichtet. Jeden Tag machte sie dort zwei Stunden nackt ihre Übungen, und sofort danach bestand sie darauf, ihm einen zu blasen. Viel mehr tat Tula nicht. Aber beinah alles, was sie nicht nackt tat, postete sie auf Instagram.“

„Auf Wiedersehen“: Es gibt auch einen Hauch Poesie

Wobei auch die Ü-40-Fraktion im Internet posiert, eh klar. Mehr Ruhe würde man den Figuren auch sonst manchmal wünschen. Wenn Ramadan wie immer forsch in ihrer Diagnostik angebliche Resilienz-Routinen („Vielleicht brachte langsam 50 werden eine solide Form der expandierenden Gleichgültigkeit mit sich“) konstatiert, ist das dankenswerterweise ein Trugschluss. Wäre dies anders, hätte „Auf Wiedersehen“ weniger Unterhaltungswert.

Der Roman hat auch einen Hauch Poesie. Die in Bussen üblichen „Fahrgastwunsch“-Knöpfe animieren Marlene zu kindlicher Logik. Ob man sich etwas wünschen kann, wenn man den drückt? Die Figuren in diesem Buch wünschen sich eher nicht zurück ins Paradies von Kindheit und Jugend, oder vielleicht doch.