Hamburg. Neue Zahlen zeigen, dass Hamburgs Kliniken am Limit sind. Drei Gründe sprechen dagegen, dass sich das schnell ändern könnte.
Die Belastung der Hamburger Krankenhäuser und ihrer Notaufnahmen hat einen kritischen Zustand erreicht. In den ersten sechs Monaten des Jahres 2023 haben sich einzelne Stationen aller Kliniken insgesamt mehr als 1000-mal für mehr als zwei Stunden abgemeldet. Die Zahl dieser Sperrungen, die sogar mehr als sechs Stunden betrugen, liegt bei über 500. In diesen Zeiträumen konnten keine neuen Patientinnen oder Patienten aufgenommen werden. Diese Zahlen gehen aus einer Antwort des Senats auf eine schriftliche Kleine Anfrage der FDP-Abgeordneten Anna von Treuenfels-Frowein hervor.
Der Senat erklärte: „Die zeitlich befristete Herausnahme der Hamburger Notfallkrankenhäuser aus der Not- und Unfallversorgung erfolgt für in der Regel bis zu zwei Stunden (sogenannte ,Sperrungen‘).“ Die Abmeldungen sollen dazu beitragen, ein Haus vor einer „zeitweiligen Überlastung“ zu schützen und diene dem Patientenwohl. „Sie bezieht sich allein auf die Zuführung von Notfällen durch Rettungswagen, Notarztwagen, Rettungshubschrauber, die von der Feuerwehr Hamburg sowie den Rettungsleitstellen im Umland koordiniert werden.“
Krankenhäuser Hamburg: Kritische Überlastung der Notaufnahmen
Dieser Punkt ist wichtig, denn Kranke, die „sich selbst einweisen“, indem sie in die Notaufnahme per Auto, Bus, Fahrrad oder zu Fuß kommen, können in der Regel nicht abgewiesen werden. Eine „fehlgeleitete“ Inanspruchnahme der Notaufnahmen ist seit vielen Jahren ein großes Thema in der Notfallversorgung. Leidende Patienten entscheiden sich häufig für die Notaufnahme, wenn sie länger bestehende Schmerzen abklären wollen, anstatt auf einen Termin beim niedergelassenen Facharzt zu warten.
Die Kassenärztliche Vereinigung Hamburg (KV) hat deshalb den fahrenden Notdienst 116 117 ausgebaut und sich in Modellprojekten wie zum Beispiel mit UKE und Marienkrankenhaus zusammengetan, um die Belastung von den Kliniken zu nehmen. Allerdings hat eine große Welle von Grippe-, Corona- sowie RS-Viren seit dem vergangenen Herbst und durch den Winter bis in dieses Frühjahr Praxen und Krankenhäuser über die Belastungsgrenze gebracht. Daraus resultiert ein Teil der Abmeldungen – und auch die Ärztinnen und Ärzte sowie die Pflegekräfte waren von den Erkrankungen betroffen.
Drei Gründe für anhaltende Belastung der Notaufnahmen
Drei Gründe sprechen dafür, dass sich die Lage im kommenden Herbst und Winter kaum entspannen dürfte: Es gibt schon jetzt wieder eine vermeintlich hohe Dunkelziffer an Corona-Fällen aktuell sowie eine absehbare Grippewelle im kommenden Herbst und Winter. Zudem warnen die Apotheker bereits jetzt, dass die Lieferengpässe bei Weitem nicht behoben sind. Fiebersäfte und passgenaue Antibiotika sind immer noch schwer zu beschaffen. Und nicht oder nicht optimal behandelte Erkrankungen, vor allem bei Kindern, können sich zu neuen Belastungen für das Gesundheitssystem auswachsen.
Auch strukturell können die finanziell ohnehin belasteten Krankenhäuser das Problem kaum in den Griff bekommen. Denn durch den Mangel an Pflegekräften sind Intensivstationen häufig zu einem Teil gesperrt, in manchen Kliniken fehlt permanent ein Drittel der Betten dort.
Treuenfels-Frowein: Senat hat kein Konzept für Notfallversorgung
Fragestellerin Treuenfels-Frowein kritisiert, dass die Verantwortlichen sich über den Zustand der Notfallversorgung in Hamburg im Klaren seien, aber sich wenig getan habe. Tatsächlich schreibt der Senat: „Im Dezember 2022 erfolgte im Fachbeirat eine Erörterung zu der seinerzeit angespannten Situation in der Notfallversorgung durch die damals vorherrschende Infektionswelle unter Beteiligung der Sozialbehörde. In diesem Rahmen wurde auch die Thematik Krankenhaussperrungen thematisiert, mit dem Ergebnis, dass die Thematik multifaktoriell und komplex ist und einer engen Abstimmung zwischen den maßgeblich Beteiligten bedarf.“
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Dazu sagte Treuenfels-Frowein: „Offenbar ist Rot-Grün das Problem der unzureichenden Notfallversorgung seit Langem bekannt. Mit über 1000 Stationssperrungen für mehr als zwei Stunden und deutlich über 500 für mehr als sechs Stunden hat es ein gefährliches Ausmaß angenommen.“ Es könne nicht sein, dass sich eine Notaufnahme für mehr als 24 Stunden abmelde. „Trotzdem gibt es bis heute kein Senatskonzept, um dem entgegenzutreten, sondern wie so oft sitzt der Senat das Problem aus. Das ist fahrlässig gegenüber der essenziell wichtigen Gesundheitsversorgung der Bürger.“
Krankenhäuser Hamburg: UKE hat die meisten Abmeldungen
Das UKE hatte sich nach den Zahlen 215-mal mehr als zwei Stunden abgemeldet, ist allerdings auch das größte Haus mit allen medizinischen Angeboten. Auch das Albertinen (119), das AK Wandsbek (106), Marienkrankenhaus (98) und AK St. Georg (78) hatten häufige Sperrungen. Sie betrafen zumeist die Notaufnahmen, die Intensivstationen und die Kreißsäle.
Die Senatsantwort enthält auch einen Verweis auf die im Abendblatt berichteten Fälle von lebensgefährlich verletzten oder erkrankten Patienten, die nicht in die nächstgelegenen Krankenhäuser gefahren wurden. Drei der vier Fälle zählt die Antwort auf. „Die nächstgelegenen grundsätzlich geeigneten Krankenhäuser gaben an, temporär nicht über ausreichende Versorgungskapazität für die im konkreten Einzelfall jeweils angemeldeten Verletzungs-/Erkrankungsbilder zu verfügen.“ In den Abmeldelisten tauchen die betreffenden Krankenhäuser für die jeweiligen Fälle nicht auf.