Hamburg. „Keine Besserung zur katastrophalen Situation im Winter.“ Dorothea Metzner rechnet vor, wie Apotheken kalkulieren und sagt, was fehlt.
Mal ist es eine Flasche, mal zwei. Apothekerin Dorothea Metzner (45) aus Hamburg-Steilshoop bestellt Fiebersaft für Kinder. Was sie jeden Tag geliefert bekommt, ist erschütternd wenig. Fiebersaft? Braucht kaum ein Junge oder Mädchen im Sommer, könnte man meinen. Die Apothekerin würde gerne einen Vorrat anlegen für den kommenden Winter und die dann erwartete Erkältungssaison. Das will einfach nicht gelingen. Nach der Corona-Pandemie haben sich die jahreszeitlichen Erkrankungen ohnehin verschoben.
Und die Zeit im vergangenen November, Dezember, Januar war für Eltern und Kinder die Hölle – nicht nur wegen der Vielzahl an Atemwegsinfekten und Viren. Es fehlte an Basis-Medikamenten wie Fiebersaft und passgenauen Antibiotika. Und Metzners Prognose für die kommenden Monate ist düster: „Solange die Krankenkassen ihren Preisdruck auf die Hersteller aufrechterhalten, werden die Lieferengpässe bleiben. Für die nächste Erkältungssaison sehe ich keine Besserung zur katastrophalen Situation des letzten Winters.“
Apotheken Hamburg: Neue Lieferengpässe bei Fiebersaft und Antibiotika
Das Gros der Hersteller sitzt in Asien, vor allem in Indien und China. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass sie ihre Produktion hochfahren. Und da andere Länder mehr zahlen als die Krankenkassen in Deutschland, geht die Ware zunächst dorthin. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und sein Gesetz gegen Lieferengpässe soll dem vorbeugen. Doch die dort geforderten Vorräte lassen sich erst gar nicht anlegen. So sieht es Apothekerin Metzner. So belegt es eine Liste des Lauterbach-Ministeriums selbst, die im Internet aktuelle Zahlen zu einzelnen Arzneien aufreiht.
Zwischen 25 und 35 neue Meldungen zu Medikamenten mit Lieferschwierigkeiten kamen im Juni und Juli 2023 hinzu, doppelt und dreifach mehr als noch im Januar oder Februar. 488 Präparate seien derzeit nicht lieferbar, heißt es. Rechnerisch mehr als sechs Stunden pro Woche beschäftigt sich eine Apotheke nur mit dem „Management“ von Lieferengpässen: mit Telefonieren, Mails schreiben, Listen checken. Bei den Kinderärzten, die Rezepte ausstellen, sieht das ähnlich aus, wenn es wieder zu Situationen wie im vergangenen Winter kommen sollte. Metzner ist mit den Ärzten im Quartier im engen Austausch. Steilshoop ist alles andere als ein Hotspot für allumfassende, fußläufig erreichbare medizinische Versorgung.
Was eine Durchschnitts-Apotheke an Gewinn macht
Die Apotheken bekommen Cent-Beträge als Honorar für diese Arbeit. Etwa 80 Prozent vom Gewinn kommen aus den rezeptpflichtigen Medikamenten, 20 Prozent machen die nicht verschreibungspflichtigen Pillen, Salben und Spezialprodukte aus. Es ist kein Geheimnis, dass einige mit dem Rücken zur Wand stehen. Der bundesweite Apotheken-Schwund ist mehr als Folklore. Auf eine Neueröffnung kommen zehn Schließungen. Das hat der Fachdienst Apotheke Adhoc ermittelt. Auf ihre finanziellen Herausforderungen wiesen die Apotheken vor einigen Wochen auch mit Protestaktionen hin.
Metzner zeigt an den Daten, dass Hamburg auf eine Apothekendichte von 19,2 auf 100.000 Einwohner gefallen ist. Deutschlandweit sind es rund 22. Metzner fürchtet: „Wir können bald unseren gesetzlichen Auftrag der flächendeckenden Arzneimittelversorgung nicht mehr erfüllen.“
Der Verband ABDA hat für eine Durchschnitts-Apotheke diese Zahlen aus dem Jahr 2022 errechnet:
- Der Umsatz betrug (ohne Mehrwertsteuer) 3,225 Millionen Euro.
- Dafür mussten 2,530 Millionen Euro für Waren aufgewendet werden und 331.000 Euro für Personalkosten.
- Bei sonstigen Kosten von 215.000 Euro blieben wegen der Zuschüsse für Nacht- und Botendienste am Ende als Betriebsergebnis 163.000 Euro übrig.
- Davon müssen die Inhaber ihre komplette Altersvorsorge bestreiten und Steuern zahlen.
Corona: Apotheken verdienen an Masken, Tests und Impfzertifikaten
Während der Corona-Pandemie brachen die üblichen Umsätze komplett ein – denn es gab kaum noch Infekte. Allerdings verdienten die Apotheken an Masken, Tests und Impfzertifikaten. Einige betrieben zudem Testzentren. Manche bauten ein Finanzpolster auf, das ihnen jetzt hilft. Denn während die Rohgewinne in einem Beispiel um etwa 0,3 Prozent gegenüber 2019 stiegen, wuchsen die Personalkosten um knapp 20 Prozent und die Mietkosten um mehr als 20 Prozent. Die gestiegene Inflationsrate kam als genereller Faktor hinzu, der vor allem durch die Energiepreise getrieben war. Ob das Betriebsergebnis von Otto Normalapotheker 2023 noch bei 163.000 Euro liegt – fraglich.
Apothekerin Metzner sagt, ihre Umsätze seien aufgrund einer wachsenden Zahl abgegebener Packungen gestiegen, allerdings nicht der Ertrag. Gründe sind die gestiegenen Betriebskosten und ein höherer Abschlag zugunsten der Krankenkassen. Das hat das „GKV-Finanzstabilisierungsgesetz“ aus dem Februar gebracht, das dazu beitragen soll, dass das Milliarden-Defizit der Kassen nicht noch höher ausfällt. Und sie rechnet vor, dass selbst bei einem Spezial-Medikament für einen Einkaufspreis von 45.000 Euro man nicht annehmen könne, die Apotheke könne drei Prozent davon als Gewinn betrachten.
Teure Medikamente müssen „vorfinanziert“ werden
Neben den Nachlässen, Abschlägen und sonstigen Regelungen muss sie die Kaufsumme für ihre chronisch kranken Kunden „vorfinanzieren“. Das laufe oft über einen Kontokorrentkredit, für den sie derzeit 13 Prozent Zinsen zahle. Bis sie vom Apotheken-Rechenzentrum Geld dafür überwiesen bekommt, vergehen 45 Tage, in denen sie diesen „Geschäfts-Dispo“ zahlt. So schmälert sich der eigentliche Gewinn weiter – davon abgesehen, dass solche Medikamente besonderer Sorgfalt bedürfen. Sie kommen zum Beispiel als Pulver an, das aufwendig dokumentiert aufbereitet und gelagert werden muss.
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Metzner arbeitet gern in diesem Großquartier mit mehr Kindern, mehr Senioren, mehr Migranten und mehr Sozialleistungsbeziehern als im Hamburger Mittel. Steilshoop spiegelt die volle Vielfalt von saisonalen, chronischen, Sucht- und seltenen Erkrankungen. Und dagegen gibt es etwas in der kleinen Apotheke gegenüber dem Einkaufszentrum. Wenn es denn geliefert werden kann.
Apotheke in Steilshoop „wie ein Gesundheitskiosk“
„Aus meiner Einschätzung funktioniert die medizinische Versorgung inklusive uns als Gesundheits-Lotsen ganz gut. Dennoch sollte man über Anreize nachdenken, hier weitere niedergelassene Ärzte, insbesondere Fachärzte herzuholen.“
Metzner und ihre Mitarbeiter messen Blutzucker und Blutdruck, schauen sich gerade bei Älteren an, was die einzelnen Ärzte verschrieben haben. „Da passt nicht immer alles zusammen.“ Viele Kunden verstehen nicht, warum die neue Tablettenpackung so anders aussieht als die alte und der Name auch neu ist. Die Beratungsangebote, die in Billstedt, Horn oder Osdorf in der Vergangenheit entstanden sind, sieht sie skeptisch: „Jede Apotheke ist nach meinem Verständnis ein Gesundheitskiosk. Es ließe sich viel Geld sparen, wenn man darauf verzichtete, Parallelstrukturen zu erschaffen und eher in die schon bestehenden Strukturen des Gesundheitswesens investieren würde.“