Hamburg. Niedergelassen Ärzte eröffnen Hausarztpraxis in Eppendorf, die bis Mitternacht geöffnet ist. UKE-Ärzte räumen mit Notfall-Mythen auf.

Dr. Bettina Brandt (44) und Dr. Jan Hendrik Oltrogge (40) schoben die erste Schicht bis Mitternacht. Die beiden Allgemeinmediziner des UKE haben am Dienstag mit ihrem Dienst ein Stück weit Geschichte geschrieben und sind über „Grenzen“ gegangen. Sie sind die ersten Ärzte der neuen Notfallpraxis am Universitätsklinikum Eppendorf, die im Auftrag von Hamburgs Niedergelassenen im Krankenhaus arbeiten.

Denn Hamburgs Praxisärzte bauen ihren Notdienst weiter aus. Um Patienten mit akuten Beschwerden nicht gleich ins Krankenhaus schicken zu müssen und die Notaufnahmen dort von nicht allzu schweren Fällen zu entlasten, öffnet die neue Hausarztpraxis am UKE von sofort an montags bis donnerstags von 18 bis 24 Uhr, freitags von 17 bis 24 Uhr und am Wochenende von 8 bis 24 Uhr.

Notfallpraxis liegt direkt neben der Zentralen Notaufnahme

Die neue Notfallpraxis ergänzt die beiden bestehenden in Farmsen und an der Stresemannstraße (Altona) sowie die zuletzt eröffneten Praxen am Asklepios Klinikum Harburg sowie am Adolf-Stift in Reinbek. Am UKE liegt die Notfallpraxis direkt neben der Zentralen Notaufnahme (Hauptgebäude O10).

Der Vorstandschef der Kassenärztlichen Vereinigung, Walter Plassmann, sprach von einer „strategischen Bedeutung“ der neuen Praxis am UKE. „Das UKE ist mit Abstand das Krankenhaus mit dem höchsten Patientenaufkommen in der Stadt – auch in der Notfallversorgung. Mit der neuen Praxis machen wir den Patienten mit leichteren Beschwerden ein zielgenaues ergänzendes Versorgungsangebot: Wird ein Patient in der ZNA des UKE vorstellig, wird sofort entschieden, ob er als Notfall im Krankenhaus oder ambulant in der KV-Notfallpraxis behandelt wird.“

75.000 Patienten jährlich in Notaufnahme des UKE

Das entlaste die Notaufnahme des UKE und führe dort zu mehr Kapazitäten für die Behandlung der Menschen mit schweren oder lebensbedrohlichen Erkrankungen. In die Notaufnahme des UKE kommen jedes Jahr 75.000 Patienten. Viele von ihnen sollten eigentlich zu einem Hausarzt. Die neue allgemein­medizinische Notfallpraxis soll 20 bis 30 Prozent dieser Patienten aufnehmen. Die Ärzte des UKE werden von der KV bezahlt. Tatsächlich kommen derzeit mit dem Bus, per Fahrrad oder zu Fuß viele Patienten ins UKE, die gar keine Notfälle sind. In einer Studie hatte Prof. Dr. Martin Scherer (UKE) vor zwei Jahren festgestellt, dass sogar jeder zweite Patient der Notaufnahme sich selbst nicht als Notfall sieht. Die wichtigsten Motive, eine Notaufnahme aufzusuchen, seien unter anderem falsche Vorstellungen von den Möglichkeiten der Arztpraxen und eine gewisse Bequemlichkeit.

Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) blies ins selbe Horn: Zu viele Patienten würden auch mit einfacheren Gesundheitspro­blemen direkt in die Notaufnahme gehen. „Diese Patienten wären in vielen Fällen bei einem niedergelassenen Arzt oder in einer Notfallpraxis besser aufgehoben.“ Die neue Praxis am UKE sei „ein weiterer wichtiger Schritt, um die Notfallversorgung am Patienten zu orientieren und nicht andersherum“.

Die Praxis ergänzt das Angebot des Arztrufs Hamburg

Der stellvertretende Ärztliche Direktor des UKE, Prof. Dr. Christian Gerloff, sagte: „Wir sind davon überzeugt, dass die Notfallversorgung dadurch auf höchstem Qualitätsniveau schneller und effizienter durchgeführt werden kann, zumal die Praxis unmittelbar neben der Notaufnahme liegt und voll in das UKE integriert ist.“ Die Grenze zwischen ambulanter und stationärer Versorgung, die von Krankenhäusern und Niedergelassenen umkämpft ist, wird also aufgeweicht. Die Praxis ergänzt das Angebot des Arztrufs Hamburg der Nummer 116 117, unter der die Praxisärzte Patientenanrufe außerhalb der Öffnungszeiten annehmen und Hausbesuche sowie Termine vereinbaren. Die Nummer ist allerdings noch nicht so bekannt wie die 112 – und wie die bisherige Notaufnahme des UKE.

KV-Chef Plassmann wies darauf hin, dass der normale Weg für einen Patienten in die Praxis eines Allgemeinmediziners führen solle, nicht in die Notaufnahme. Der neue Terminservice der KV sowie die 116 117 außerhalb der Praxisöffnungszeiten sollten immer zuerst in Anspruch genommen werden. Er appelliere an die Patienten, „dieses neue Angebot verantwortungsvoll zu nutzen“. Jeder solle sich fragen: „Muss ich wirklich in die Notaufnahme?“ Plassmann sagte leidenschaftlich: „Ruft uns an!“

KVH-Vorstand Walter Plassmann zerschnitt mit Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks und den UKE-Medizinern   Christian Gerloff und Martin Scherer (v. l.) das Band zur Eröffnung der Notfallpraxis.
KVH-Vorstand Walter Plassmann zerschnitt mit Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks und den UKE-Medizinern Christian Gerloff und Martin Scherer (v. l.) das Band zur Eröffnung der Notfallpraxis. © Andreas Laible

UKE-Professor Scherer, der auch Direktor des Instituts und der Poliklinik für Allgemeinmedizin ist, sagte, die neue Praxis werde auch wissenschaftlich begleitet: „Unsere Hoffnung ist, dass die Versorgung in der Notfallpraxis zu einer Entlastung der Disziplinen in der Zentralen Notaufnahme führt. Untersucht werden auch die Wartezeiten und die Zufriedenheit der Patientinnen und Patienten mit der neuen Praxis.“ Und die UKE-Professoren Gerloff und Scherer räumten auf Nachfrage mit einem Mythos auf. Ob man bei Ohrenschmerzen nicht weiter zum HNO-Arzt gehen solle?, wurden sie am Dienstag gefragt. „Nein“, war ihre klare Antwort.

Auch wer Ohrenschmerzen habe, sei beim Hausarzt sehr gut aufgehoben. Hinter Ohrenschmerzen könne sich einfach etwas zu viel harmloser Schmalz im Ohr verbergen – oder eben auch eine verschleppte Entzündung, die sich zu einer Hirnhautentzündung auswachsen könne. Beides schon vorgekommen. Im ersten Fall hilft wahrscheinlich der Hausarzt, im zweiten muss der Patient ins Krankenhaus aufgenommen werden.

Ein Trost für all die, die mit akutem Ohrenweh in die neue Notfallpraxis der Niedergelassenen am UKE kommen: Die Allgemeinmediziner dort können mittels Labordiagnostik und Schnelltests die Beschwerden rasch abklären – und falls es doch einen Spezialisten braucht, wird eng mit den HNO-Ärzten des Klinikums zusammengearbeitet.