Hamburg. Prof. Hermann Reichenspurner: 30 bis 40 Prozent können in deutschen Kliniken nicht belegt werden, weil die Pflegekräfte fehlen.
Auch ohne die Einschränkungen durch die Corona-Pandemie steuern die Hamburger Krankenhäuser auf einen dramatischen Personalengpass zu. Die Versorgung der Patienten vor allem auf den Intensivstationen ist gefährdet. Der renommierte Herzchirurg und UKE-Klinikdirektor Prof. Hermann Reichenspurner schreibt in einem Abendblatt-Beitrag: „Obwohl sich die Situation auf den Intensivstationen aufgrund der Pandemie wieder deutlich entspannt hat, hat sich die Situation im Bereich der Pflege nicht gebessert. Derzeit sind ca. 30 bis 40 Prozent aller Intensivbetten in Deutschland gesperrt, auch in Hamburg – wohlgemerkt nicht wegen Corona sondern wegen Personalmangel! Erstaunlicherweise wird darüber öffentlich wenig gesprochen.“
Wenn Betten gesperrt sind, können sie nicht mit Patienten belegt werden. Weil die Versorgung von akut und lebensbedrohlich Erkrankten Vorrang hat, müssen geplante Operationen verschoben werden, die Intensivbetten erfordern. Reichenspurner forderte Politiker im Bund und auch im Hamburger Senat dazu auf, die Pflegesituation schnell anzupacken.
Krankenhäuser Hamburg: Intensivbetten gesperrt
„Unsere Gesundheitspolitiker kennen nach wie vor nur Corona, obwohl die Pandemie in vielen europäischen Ländern bereits zu keinerlei Einschränkungen mehr führt. In München lief das Oktoberfest mit über fünf Millionen Besuchern ohne Maske auf engem Raum. Die Infektionszahlen sind natürlicherweise gestiegen, aber es kam keineswegs zu einer Überlastung der Krankenhäuser in München – Gott sei Dank!“
Jetzt sei es an der Zeit, sich um die „wirklichen Probleme der Krankenhäuser in Deutschland“ Gedanken zu machen: „Wir müssen die verlorengegangenen Pflegekräfte wieder zurückholen und Neue aus dem In- und Ausland für diesen tollen Beruf gewinnen! Das geht nur mit besseren Arbeitsbedingungen (an denen derzeit gearbeitet wird) und einer besseren Bezahlung – ich rede nicht von ein paar wenigen Prozenten mit Komma sondern von mindestens 20 bis 30 Prozent.“
Wer soll die Babyboomer mal pflegen?
Reichenspurner machte darauf aufmerksam, dass die alternde Gesellschaft, deren Babyboomer in den kommenden Jahren in Rente gehen werden, dringend auf Pflegekräfte angewiesen sein werde. „Die Politik muss hier aktiv werden und nicht passiv warten in der Hoffnung, einige Krankenhäuser werden schon schließen müssen, dann kann sich das Personal ja besser verteilen.“
Vor mehr als einem Jahr hatten Pflegekräfte des UKE einen Brandbrief geschrieben, dass sie überlastet und unterbesetzt seien. Zuletzt hatte auch die Gewerkschaft Ver.di beklagt: „Die Personalnot hat nicht erst mit der Pandemie begonnen und sie dauert an.“ Das Kuratorium des UKE mit Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) und die „politisch Verantwortlichen“, also auch Sozialsenatorin Melanie Leonhard, müssten handeln.
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Brandbrief der Pfleger am UKE
Die Hamburgische Krankenhausgesellschaft (HKG) fordert, die Finanzierung der Pflege neu aufzustellen. Bislang haben viele Kliniken die Kosten vorfinanziert. Der Fachkräftemangel könne nur dadurch behoben werden, dass die Arbeitsbedingungen stimmen, ausreichend Personal vorhanden sei und es voll finanziert sei. Trotz der großen Versprechungen der Politik, werde die Pflege eben nicht komplett bezahlt, wie HKG-Geschäftsführerin Dr. Claudia Brase sagte. Außerdem behinderten starre Regeln, dass sogenannte „Skill Teams“ auch mit kürzer ausgebildeten Hilfskräften sinnvoll eingesetzt würden. Auch so könne man die Pflege von einfachen Tätigkeiten entlasten.
Momentan werben Zeitarbeitsfirmen zahlreiche Pflegekräfte ab, garantieren ihnen bessere Arbeitsbedingungen und verleihen sie an die Krankenhäuser zurück. Die müssen in der Personalnot darauf zurückgreifen und zahlen so erheblich mehr.