Hamburg. Die Pandemie hat Jugendliche in Hamburg psychisch unterschiedlich getroffen. Die DAK sieht in einer Studie großen Handlungsbedarf.

Je älter die Jugendlichen in Hamburg sind, desto besser scheinen sie mit psychischen Belastungen als Folge der Corona-Pandemie umgehen zu können. Und Jungen trifft es deutlich seltener als Mädchen. Das legen neue Zahlen der DAK nahe, die dem Abendblatt vorliegen.

Die Krankenkasse hat in einer Studie untersucht, wie viele Jugendliche aufgrund von Depressionen sogar im Krankenhaus behandelt werden mussten. Eine stationäre Aufnahme in einer Klinik ist oft die letzte Lösung, wenn eine ambulante Psychotherapie nicht geholfen hat oder wenn ein Fall sich erheblich oder akut verschlimmert. Dabei sollte man bedenken, dass die Wartezeiten auf Termine und eine Therapie in einer Praxis mehrere Wochen oder Monate betragen kann.

Die älteren Mädchen im Alter von 15 bis 17 Jahren wurden im Jahr 2022 deutlich seltener (minus 41 Prozent) mit Depressionen in einem Krankenhaus behandelt. Das war laut DAK der niedrigste Stand seit fünf Jahren. Im Gegenzug seien die Klinik-Behandlungszahlen bei den 10- bis 14-jährigen Mädchen mit Depressionen in Hamburg um 20 Prozent angestiegen, wenn man als Vergleichszeitraum das Jahr 2019 nimmt, also ein Jahr vor der Corona-Pandemie.

Corona-Folgen in Hamburg: Was Mädchen und Jungen unterscheidet

Für die Sonderanalyse des Kinder- und Jugendreports hat die DAK mit Experten unter anderem der Universität Bielefeld die Abrechnungsdaten von 23.000 Kindern und Jugendlichen bis zu einschließlich 17 Jahren ausgewertet, die bei der DAK-Gesundheit in Hamburg versichert sind.

Hamburgs DAK-Landeschef Jens Juncker sagte: „Der Rückgang der Behandlungszahlen von schweren Depressionen bei jugendlichen Mädchen steht in einem krassen Gegensatz zu steigenden Zahlen bei den Jüngeren. Es zeigt sich ein ambivalentes Bild.“ Diese Krankenhausdaten seien nur die „Spitze des Eisbergs“, sie gäben nur einen Trend wieder. Erst die ambulanten Daten, also von den Praxen, könnten eine Bestätigung liefern. „Aktuell bedeutet das: Wir müssen weiter wachsam und mit unseren Präventionsinitiativen aktiv sein.“

Wartezeit auf Termine bei Psychotherapeuten verdreifacht

Eine Untersuchung des Zentralinstituts für kassenärztliche Versorgung (ZI) bestätigte das zuletzt. Mädchen waren erheblich öfter von Depressionen betroffen als Jungen. Auch der Hamburger Verband der Kinder- und Jugendärzte hat anhaltende körperliche und psychische Leiden beklagt.

Erste Erkenntnisse der Hamburger Psychotherapeutenkammer hatten bereits im vergangenen Jahr gezeigt, dass Corona die Situation für die Kinder und Jugendlichen mit seelischen Erkrankungen verschärft habe. Trotz ihrer Angststörungen, Depressionen und Essstörungen bekamen sie immer zögerlicher Hilfe. Die Wartezeit auf einen Platz bei einem Psychotherapeuten hatte sich von durchschnittlich 13 auf 30 Wochen mehr als verdoppelt, ergab eine Umfrage der Psychotherapeutenkammer.

Zwei von drei Therapeuten nannten diesen Wert. Je länger die Wartezeit, desto größer das Risiko, einer Chronifizierung, also einer Verschlimmerung des seelischen Leids. Bei Patientinnen und Patienten wurde sogar der sogenannte Drehtüreffekt nachgewiesen, den man aus der Behandlung von rückfällig gewordenen Alkoholikern kennt.

Corona-Folgen in Hamburg: Gehen die Jungen „verloren“?

Die DAK spricht da von einem „Gender Gap“, wo es erhebliche Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen gibt. Das ist insbesondere bei den Depressionen der Fall, aber auch bei den Angst- und Essstörungen, wo der Anteil an Mädchen in stationärer Behandlung erheblich höher ist.

Der Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), Dr. Thomas Fischbach, sagte: „Mädchen neigen eher zu internalisierenden psychischen Störungen als Jungen. Sie ziehen sich beispielsweise mit Depressionen und Ängsten eher in sich zurück. Bei Jungen sind externalisierende Störungen häufiger zu beobachten. Jungen zeigen tendenziell häufiger ein Verhalten, das nach außen gerichtet ist, also zum Beispiel aggressive Verhaltensmuster. Dass dies durch die Pandemiesituation nochmals verstärkt worden ist, ist unbestritten.“

Die emotionalen oder Verhaltensstörungen würden eher im ambulanten Bereich versorgt, die Angst- und Essstörungen sowie die Depressionen im Krankenhaus. Dadurch lässt sich offenbar der „Gender Gap“ zum Teil erklären. Prof. Christoph Correll von der Charité gab zu bedenken, man müsse die ambulanten Daten abwarten. Aber: „Es liegt aktuell die Vermutung nahe, dass Jungen eventuell durch das Raster fallen und uns verloren gehen.“