Hamburg. Neue Linien, mehr Züge, Digitalisierung: S-Bahn-Chef erklärt, wie der Ausbau klappen soll – und was es mit „Geisterzügen“ auf sich hat.
Sie kommen aus Aumühle und Wedel, aus Stade und Pinneberg, wollen vom Flughafen in die City oder vom Harburger zum Altonaer Bahnhof: Mehr als 250 Millionen Menschen befördert die S-Bahn pro Jahr nach Hamburg hinein oder kreuz und quer durch die Stadt – mehr als jedes andere öffentliche Verkehrsmittel innerhalb des HVV.
Trotzdem oder gerade deswegen hat die Tochter der Deutschen Bahn ehrgeizige Pläne. „Bis 2030 wollen wir unsere Kapazitäten um 50 Prozent steigern“, sagte S-Bahn-Chef Kay Uwe Arnecke im Gespräch mit dem Abendblatt und betonte: „Die S-Bahn Hamburg ist damit das am stärksten wachsende Verkehrsunternehmen in Deutschland.“
HVV: So will die S-Bahn Hamburg um 50 Prozent wachsen
Ob das Passagieraufkommen entsprechend mitwächst, lässt sich naturgemäß nicht präzise vorhersagen. So war vor wenigen Jahren nicht absehbar, dass eines Tages so viele Arbeitnehmer im Homeoffice bleiben und kaum noch zur Arbeit fahren würden. Corona hat es dann von heute auf morgen bewirkt. Auch die S-Bahn Hamburg hat mit aktuell rund 680.000 Fahrgästen pro Tag erst wieder 90 Prozent ihres Vor-Pandemie-Niveaus erreicht.
Arnecke geht dennoch von stark steigenden Zahlen aus. „Hamburg ist eine wachsende Stadt. Und alle großen Stadtentwicklungsprojekte, von der Neuen Mitte Altona über Oberbillwerder, die Baugebiete auf der ehemaligen Wilhelmsburger Reichsstraße bis zu denen in Neugraben, liegen direkt an der S-Bahn.“ Das werde sicher für Zigtausende zusätzliche Fahrgäste sorgen. Hinzu komme: „Die junge Generation ist weniger autoaffin und will etwas gegen den Klimawandel tun – das Bewusstsein, dass der Umstieg auf Busse und Bahnen dabei hilft, wird in der Gesellschaft sicher zunehmen.“
Neuer Linienplan soll Linien entwirren und mehr Angebot schaffen
Drittens werde schlicht mehr Angebot für mehr Nachfrage sorgen: „Allein die neue S4 nach Bad Oldesloe wird uns 20 Prozent mehr Fahrgäste bescheren“, ist Arnecke überzeugt. Auch die künftige S32 von der Holstenstraße über die Science City in Bahrenfeld bis zum Osdorfer Born erschließe ganz neue Stadtteile. Zudem werde die künftige S5 (heute noch S31) bis nach Kaltenkirchen verlängert, und auf dem meistbefahrenen Abschnitt zwischen Hauptbahnhof und Harburg werde eine dritte Linie hinzukommen, die als S6 zwischen Elbgaustraße und Harburg Rathaus pendeln wird.
Gerüchten, mit dem neuen Linienplan, der schon Ende des Jahres in Kraft tritt, würden Linien abgebaut, tritt der S-Bahn-Chef energisch entgegen: „Wir streichen keine Linie, im Gegenteil: Wir schaffen mehr Angebot.“ So würden zum Beispiel auf der S3 dann nur noch Langzüge eingesetzt, und die zurückgelegte Strecke der S-Bahn-Züge in Hamburg werde um 0,5 Millionen auf 14,3 Millionen Kilometer im Jahr steigen.
S-Bahn Hamburg: Einige müssen künftig mehr umsteigen, andere weniger
Im Prinzip ist es eine Entwirrung: Aus jeweils einer Haupt- und einer Verstärkerlinie, die im Wechsel alle fünf Minuten fahren – also S3 und S31, S1 und S11 sowie S21 und S2 –, wird künftig eine einzige Linie, die im 5-Minuten-Takt verkehrt: Die S1 zwischen Wedel und Airport oder Poppenbüttel, die S2 zwischen Aumühle und Altona und die S3 zwischen Pinneberg und Neugraben. Ausnahme: Aus der S31 wird die S5 zwischen Stade und Elbgaustraße.
Die größte Umstellung für die Fahrgäste: Während Haupt- und Verstärkerlinien bislang im Wechsel entweder durch den City-Tunnel oder über die Verbindungsbahn fahren, verkehren die neuen Linien immer auf derselben Strecke. Das soll das System stabiler machen, weil sich die Züge seltener kreuzen.
Für einige Fahrgäste ist das lästig, weil sie zum Beispiel nicht mehr direkt von Blankenese zum Dammtor oder von Bergedorf zum Jungfernstieg kommen, sondern künftig einmal umsteigen müssen. Für andere wird es bequemer, weil sie nicht mehr umsteigen müssen.
Mehr als drei Milliarden Euro werden in das S-Bahn-System in Hamburg investiert
Der Kapazitätsausbau setzt gigantische Investitionen voraus, bei denen in der Regel der Bund als Eigentümer der Bahn den Löwenanteil übernimmt und Hamburg sich beteiligt. So kostet allein die S4 rund 1,8 Milliarden Euro, knapp eine Milliarde steckt die S-Bahn nur in die Digitalisierung im innerstädtischen Bereich, 200 Millionen Euro in die Umrüstung des Zugbestandes und weitere 500 Millionen in die Anschaffung neuer Züge. So soll die Flotte bis 2030 um 64 auf dann 258 Züge wachsen.
„Insgesamt werden bis 2030 mehr als drei Milliarden Euro in das Gesamtsystem S-Bahn in Hamburg investiert“, sagt Arnecke. Mehr Angebot erreiche man dabei aber nicht nur mit „Hardware“, also neuen Linien und Zügen, sondern auch mit Software: „Allein die Digitalisierung des S-Bahn-Netzes im City-Bereich schafft 30 Prozent mehr Kapazität.“
Digitale S-Bahn wird vom Computer gesteuert – aber Lokführer bleiben an Bord
Das funktioniert so: Künftig werden die Züge nicht mehr manuell vom Lokführer, sondern per Computer aus der Betriebszentrale in Hammerbrook gesteuert. Sie müssen dann nicht mehr auf Signale achten und in „Blöcken“ fahren, wobei immer nur eine S-Bahn pro Block erlaubt ist. Stattdessen sorgt das „Traffic Management System“ (TMS) dafür, dass die Züge in gleichmäßigen und sicheren Abständen zueinander fahren – so können mehr Bahnen auf dem gleichen Schienennetz unterwegs sein.
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Dass eine S-Bahn auf offener Strecke anhält, weil der nächste Bahnhof noch besetzt ist (heutzutage keine Seltenheit), soll dann nicht mehr vorkommen. Das TMS würde den Zug gar nicht erst so stark beschleunigen, dass er abbremsen müsste, sondern mit geringer Geschwindigkeit weiterfahren lassen. „Das spart übrigens auch Energie, weil man weniger anfahren muss“, sagt Arnecke. Der Testbetrieb, der seit 2022 auf dem Abschnitt zwischen Berliner Tor und Aumühle läuft, sei sehr erfolgreich, so der S-Bahnchef. „Das klappt sehr gut.“
HVV: S-Bahn Hamburg bildet 100 Lokführer pro Jahr aus
Sorgen vor führerlosen „Geisterbahnen“ müssten sich die Fahrgäste dennoch nicht machen: „Bei uns bleiben die Lokführer an Bord“, stellt der S-Bahn-Chef klar. Das Personal steuere die Züge zwar nicht mehr, könne aber im Notfall eingreifen und sei auch weiterhin behilflich, wenn zum Beispiel für Rollstuhlfahrer eine Rampe ausgelegt werden müsse.
Für den Kapazitätsausbau, aber auch wegen der normalen Fluktuation suche man sogar Personal: „Wir bilden jedes Jahr 100 Lokführer aus“, sagt Arnecke. Derzeit beschäftige man etwa 500, künftig brauche man rund 200 mehr. Auch eine auf acht Monate verkürzte „Funktionsausbildung“, in der sich Quereinsteiger zum S-Bahn-Fahrer umschulen können, biete man an. Dank hoher Jobsicherheit und Jahresgehältern von 40.000 bis 50.000 Euro habe man derzeit keine Probleme, genug Nachwuchs zu finden.