Neue Vereinbarung regelt mobiles Arbeiten für Behördenmitarbeiter. Auch Senatsmitglieder profitieren. Ein Konflikt deutet sich an.

  • Bis zu 60 Prozent ihrer Arbeitszeit können Beamte außerhalb des Büros verbringen
  • Arbeit kann am heimischen Esstisch, im Park oder im Café um die Ecke erledigt werden
  • Mobile Arbeit bedarf „grundsätzlich keiner besonderen Begründung“

Vor wenigen Jahren hätte das vielleicht noch Anlass zu Diskussionen gegeben: Als sich der Senat kürzlich zwei Tage lang zu Haushaltsberatungen im Rathaus traf, war ausgerechnet Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) nur digital zugeschaltet.

Eine Corona-Infektion hatte ihn in die Quarantäne gezwungen. Auch bei der Vorstellung des Haushalts durch Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) am dritten Tag war Dressel nur auf dem Bildschirm dabei und beantwortete Fragen aus den eigenen vier Wänden heraus.

Homeoffice: Neue Regeln für Hamburgs Beamte beschlossen

Wirklich ungewohnt war das jedoch für keinen der Beteiligten mehr. Denn nach zwei Jahren Pandemie ist das Arbeiten aus dem Homeoffice – ob wegen einer Infektion oder freiwillig – nicht nur in der Wirtschaft gang und gäbe, sondern auch in Behörden und Senat. Mittlerweile kehren zwar sowohl Politiker als auch Beamte und Angestellte der Stadt nach und nach in ihre Büros zurück, doch die neue Flexibilität wollen sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer nicht mehr missen.

Daher hat der Senat kürzlich mit den Gewerkschaften eine „Vereinbarung über Dienst an einem anderen Ort“ geschlossen – so viel Behördendeutsch muss bei aller Fortschrittlichkeit dann doch noch sein. Das Papier löst die am 19. März ausgelaufene Bundesregelung nach dem Infektionsschutzgesetz ab, wonach Arbeitgeber ihren Mitarbeitern überall dort Homeoffice anbieten müssen, wo dies möglich ist.

Vereinbarung soll "Kulturwandel" einleiten

In der Hamburger Vereinbarung wird nun geregelt, dass die Beschäftigten der Stadt grundsätzlich bis zu 60 Prozent ihrer Arbeitszeit an einem anderen Ort als ihrem festen Arbeitsplatz nachgehen dürfen. Dieses Kontingent kann man an drei von fünf vollen Tagen in der Woche ausschöpfen oder auf fünf Tage verteilen.

Die Arbeit kann theoretisch am heimischen Esstisch, im Park oder im Café um die Ecke erledigt werden (daher ist offiziell nicht von Homeoffice, sondern von „mobiler Arbeit“ die Rede), die oberste Prämisse lautet: „Die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung sowie die Erledigung der Dienstaufgaben muss jederzeit umfassend gewährleistet sein.“ Mobile Arbeit bedarf „grundsätzlich keiner besonderen Begründung“, so die Verein­barung. Deren ausdrückliches Ziel sei schließlich auch, „einen Kulturwandel in der Arbeitspraxis der öffentlichen Verwaltung zu gestalten“.

Rund 45 Prozent arbeiteten in Hamburg im Homeoffice

Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) unterstützt diesen Weg: „Wie zahlreiche Unternehmen und Beschäftigte haben auch die Behörden viele gute Erfahrungen damit gesammelt, dass Aufgaben auch im mobilen Arbeiten erledigt werden können“, sagte sie dem Abendblatt. „Auf dem Weg in die Nach-Pandemie-Zeit wollen wir manche Vorteile weiter behalten – zum Beispiel die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Zwischenzeitlich Zeit für die Familie zu haben, und dann später weiterzuarbeiten – das ist eine Flexibilität, die bei manchen Tätigkeiten in Behörden unproblematisch möglich ist“, weiß die Senatorin, die auch für die Themen Arbeit und Familie zuständig ist, aus eigener Erfahrung.

Volker Wiedemann, Leiter des Personalamts der Stadt, schätzt, dass in etwa die Hälfte der 77.000 Beschäftigten grundsätzlich die Möglichkeit hat, zumindest teilweise im Homeoffice zu arbeiten. Die andere Hälfte arbeite in Bereichen wie Kundenzentren, Polizei, Justizvollzug, Feuerwehr oder Schulen, die ohne Präsenz kaum funktionieren. In den Hochzeiten der Pandemie hätten in den Bereichen mit Zeiterfassung rund 45 Prozent teilweise mobil gearbeitet. Anfang Juni seien es noch 30 Prozent gewesen.

Homeoffice-Quoten in Behörden unterscheiden sich stark

Wie eine stichprobenartige Umfrage des Abendblatts unter Ämtern und Behörden ergab, sind die Homeoffice-Quoten ebenso unterschiedlich wie die Erfassung der Daten. So kann die Finanzbehörde (400 Mitarbeiter) exakt beziffern, dass die Quote des „Dienstes an einem anderen Ort“ im Verhältnis zur Gesamtarbeitszeit der Beschäftigten zuletzt auf 48,9 Prozent gesunken ist. Von der Sozialbehörde mit ihren rund 1600 Beschäftigten (weitere 900 arbeiten beim Jobcenter) wird die
Homeoffice-Quote für die vergangenen zehn Wochen etwas gröber mit „durchgehend mehr als 50 Prozent“ angegeben.

Das Bezirksamt Altona erhebt die Daten dagegen gar nicht. „Grob geschätzt“ würden rund drei Viertel der 1250 Beschäftigten die Möglichkeit für mobiles Arbeiten nutzen – etwa an ein bis zwei Tagen die Woche. Auch das Bezirksamt Wandsbek (1818 Mitarbeiter) hat keine Statistik zu dem Thema. Grundsätzlich könne aber jede und jeder Beschäftigte mobil arbeiten. Wie aus fast allen Behörden heißt es: „Stark genutzt und auch praktikabel ist die Möglichkeit grundsätzlich in Bereichen, die wenig direkten Kundenkontakt haben und keine oder wenig Papierakten bearbeiten.“

Auch Tjarks nutzt das Homeoffice

Die Verkehrsbehörde berichtet, dass noch im Mai mehr als 80 Prozent der 250 Beschäftigten mindestens einen Tag pro Woche mobil gearbeitet haben. Selbst in Bereichen, in denen grundsätzlich immer eine Präsenz da sein müsse, beispielsweise bei der Verkehrsgewerbe- und Taxenaufsicht, seien Homeoffice-Tage möglich.

Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) nimmt das selbst in Anspruch: „Wenn die Corona-Pandemie auch nur etwas Gutes gebracht hat, dann zumindest die Einsicht, dass man zumindest in den Büro-Jobs einen guten Teil der Arbeit aus dem Homeoffice erledigen kann“, so der Vater dreier schulpflichtiger Kinder, der in der Regel etwa einen Tag die Woche aus dem Homeoffice arbeitet. „Ich bin sicher: Diese Erkenntnis wird die Pandemie überdauern und das Arbeitsleben in den kommenden Jahren sehr stark verändern.“

Homeoffice ist keine Ausnahme mehr

In der Wissenschaftsbehörde gilt bis Ende dieses Monats noch eine Übergangs­regelung, wonach die Beschäftigten sogar bis zu 100 Prozent im Homeoffice arbeiten dürfen. Wie ausgeprägt die 390 Mitarbeiter davon Gebrauch machen, erhebt die Behörde zwar nicht detailliert. Aber es werde „umfassend genutzt“, heißt es.

Die Behördenchefin und Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) begrüßt die neue Flexibilität: „Wir haben in der Corona-Pandemie einen Kulturwandel erlebt. Der Dienst an einem anderen Ort ist mittlerweile keine Ausnahme mehr, sondern eine normale Art zu arbeiten. Ein ganz wichtiger Faktor des mobilen Arbeitens ist auch, die Vereinbarung von Beruf und Familie weiter zu verbessern“, sagte die Mutter von dreijährigen Zwillingen. Nicht zuletzt entfalle oft das Pendeln ins Büro, was Beschäftigte entlaste, für weniger Verkehr sorge und damit „auch einen Beitrag zum Klimaschutz“ leiste, so die Grünen-Politikerin.

Homeoffice: Hamburgs Arbeitgeber dürfen keine Verantwortung abgeben

Doch wie alle großen Trends hat auch die neue Flexibilität Kehrseiten. So betonen fast alle Behörden, dass ein Mindestmaß an persönlichem Austausch unabdingbar sei. Daher heißt es in der Vereinbarung von Senat und Gewerkschaften auch, dass für die Identifikation mit der Stadt als Arbeitgeberin „grundsätzlich eine nicht nur sporadische Anwesenheit in der Dienststelle“ Voraussetzung sei. Eine Art Anwesenheitspflicht light. „Mittlerweile ermutigen wir die Kolleginnen und Kollegen, wieder in die Behörde zu kommen – vieles bespricht sich von Angesicht zu Angesicht doch deutlich besser“, bestätigt die Sozialbehörde.

Deren Chefin Melanie Leonhard weist auf einen arbeitsrechtlichen Punkt hin: „Bei aller Offenheit für neue Formen der Arbeit dürfen aber über Jahrzehnte erkämpfte Rechte der Beschäftigten nicht einfach verloren gehen. Zum Beispiel können Arbeitgeber nicht einfach ihre Verantwortung für einen angemessen ausgestatteten Arbeitsplatz abgeben, und Ruhezeiten müssen weiter eingehalten werden.“ Auch dürfe es keinen „Anspruch auf ständige Erreichbarkeit“ geben.

Homeoffice-Regeln in Hamburg: Konflikt deutet sich an

Ähnliche Sorgen haben die Gewerkschaften natürlich auch, wollen aber zunächst beobachten, wie sich die neuen Regeln in der Praxis bewähren. Beschwerden gebe es bislang nicht, sagt Rudolf Klüver, Landesvorsitzender des Beamtenbunds dbb, der zudem eine ungewöhn­liche Beobachtung gemacht hat: „Man könnte sogar meinen, die Behörden gehen damit unbürokratisch um.“

Was die Arbeitsplätze angeht, deutet sich ein Konflikt aber bereits an: Denn Finanzsenator Dressel hat angesichts der angespannten Haushaltslage und der geringeren Inanspruchnahme von Büros bereits eine „Raumkostenbremse“ verkündet. Statt aktuell 33 sollen künftig nur noch 28 Quadratmeter pro Mitarbeiter der Stadt zur Verfügung gestellt werden. Die Gewerkschaften sind nicht begeistert – ebenso von dem geplanten „Desk Sharing“: Dabei teilen sich Beschäftigte, die nicht in Vollzeit im Büro sind, einen Arbeitsplatz. Für so manche Beschäftigte könnte das ein Grund mehr sein, lieber im Homeoffice zu bleiben.